Süddeutsche Zeitung

Baseball:Psssssssssst!

Die Los Angeles Dogders starten als Favorit in die Viertelfinalserie der Major League Baseball - über die Meisterschaft will das Team trotzdem nicht reden.

Von Jürgen Schmieder, Los Angeles

Pssssssst. So reagieren die Bewohner von Los Angeles zu Beginn der Playoffs, wenn sie auf den Baseballklub angesprochen werden, der auf einem Hügel im Stadtzentrum seine Heimspiel austrägt. Ja, schon klar, die Dodgers haben in der Hauptrunde die beste Bilanz der amerikanischen Liga MLB geschafft (104:58), sie sind der Favorit in der am Freitag beginnenden Viertelfinalserie gegen die Arizona Diamondbacks und durchaus auch auf den Gewinn der World Series, nach 29 Jahren ohne Titel. Die Nervosität der Fans indes ist gerechtfertigt: Die Dodgers waren auch in den vergangenen vier Spielzeiten hoffnungsfroh in die Ausscheidungsrunde gestartet - und scheiterten jeweils schon vor der Finalserie. Also, bloß nicht über eine mögliche Meisterschaft reden!

Die Dogders hatten die Chance, den Rekord der Cubs zu brechen

Die Zurückhaltung gilt übrigens auch für die Dodgers selbst. Sie haben in der Umkleidekabine pflichtschuldig ein paar Champagnerflaschen geöffnet und sich gegenseitig mit dem Inhalt übergossen, wie man das halt so macht, wenn man sich in der MLB für die Endrunde qualifiziert. Bei ausgeschalteten TV-Kameras jedoch legten die Spieler lieber ihren Finger auf den Mund: Pssssssst! "Die meisten Akteure finden das nicht mehr besonders aufregend, die Playoffs zu erreichen", sagt Werfer Kenley Jansen: "Es gibt nur ein Ziel: den Titel gewinnen."

Wer verstehen möchte, wer beim Baseball derzeit erfolgreich ist und warum es zum Titelgewinn eigentlich zwei völlig unterschiedliche Mannschaften braucht, der sollte diese Spielzeit der Dodgers näher betrachten. Jeder Verein absolviert in der Hauptrunde 162 Partien, nur die Gewinner der sechs Divisionen, aus denen sich die MLB zusammensetzt, erreichen die Playoff-Serien - vier Mannschaften kämpfen in zwei Wild-Card-Spielen um die zwei verbleibenden Viertelfinal-Plätze. Belohnt wird Konstanz, und die Dodgers hatten nach einer Siegesserie im Sommer gegen deutlich schwächere Teams gar die Chance, den 111 Jahre alten Rekord für die beste Bilanz der Geschichte (Chicago Cubs, 116:35) zu brechen.

Ende Juli, nach zwei Dritteln der Saison, verpflichteten die Dodgers den Werfer Yu Darvish von den Texas Rangers und den Schlagmann Curtis Granderson von den New York Mets. Angesichts eines 265-Millionen-Dollar-Kaders mit den Werfern Clayton Kershaw, Rich Hill und Kenley Jansen, Schlagmännern wie Justin Turner, Chris Taylor und Cody Bellinger sowie Verteidigungs-Virtuosen wie Corey Seager und Yasiel Puig war das ungefähr so, als würde der Milliardär Bill Gates ein paar Millionen Dollar im Lotto gewinnen. Die Leute fragten sich: Wer soll dieses Team nun noch besiegen?

Ende August verloren die Dodgers aufgrund einiger Verletzungen und individueller Krisen dann 16 von 17 Spielen - und die Frage lautete angesichts schrecklicher Leistungen und fragwürdiger Entscheidungen von Trainer Dave Roberts plötzlich: Gegen wen sollen die eigentlich gewinnen? Die Dodgers lagen zwar noch immer mit großem Abstand in der Division vorne, jedoch haben seit Einführung der Wild-Cards im Jahr 1995 nur fünf Klubs mit der besten Bilanz auch den Titel gewonnen.

Baseball ist aufgrund seiner Struktur (eine Partie lässt sich in etwa 300 Mini-Abschnitte aufteilen) anfälliger für einzelne Ausreißer. Konstanz bringt einen Klub zwar in die Playoffs, danach jedoch reichen elf Siege (drei im Viertelfinale, jeweils vier in den Runden danach) für den Titelgewinn; theoretisch dürfte man sich dabei sogar acht Niederlagen erlauben. Es braucht nun vereinzelte Höhepunkte wie etwa diesen einen Treffer am Schlagmal oder dieses Kunstwerk als Werfer, an einem Abend sämtliche Gegner zur Verzweiflung zu treiben.

Die Pitcher agieren mittlerweile derart variabel - sie mischen 160-Stundenkilometer-Raketen mit angeschnittenen Würfen, deren Flugbahn physikalischen Regeln zu trotzen scheinen -, dass es eher selten geworden ist, Punkte über mehrere Treffer nacheinander und cleveres Laufspiel zu erzielen. Was zu Punkten führt: über den Zaun geprügelte Bälle; es gab in dieser Saison mehr Homeruns (6105) als jemals zuvor. Es gab aufgrund dieser Alles-oder-nichts-Taktik am Schlagmal aber auch die meisten Strikeouts (40 105) der Historie.

Genau das führt nun dazu, dass die Dodgers ziemlich selbstbewusst daherkommen. Sie glauben, dass sie nicht nur konstanter sind als die anderen Favoriten Cleveland Indians (gegen New York Yankees), Houston Astros (gegen Boston Red Sox) sowie Washington Nationals (gegen Chicago Cubs), sondern dass sie auch besser geeignet sind für die Höhepunkt-Spiele in den Playoffs. Sie haben neben Cleveland das beste Orchester an Werfern sowie die diszipliniertesten und explosivsten Schlagmänner der Liga. "Wir wurden während der Niederlagenserie im August nicht nervös, weil wir wussten, dass es letztlich egal ist. Am Ende haben wir wieder acht von zehn Spielen gewonnen, wir sind gut drauf", sagt Werfer Jansen: "Wenn wir im Oktober die World Series gewinnen, dann wird jeder darüber lachen, dass wir im August einmal elf Spiel nacheinander verloren haben."

Er sagt tatsächlich nicht "falls", er sagt: "wenn", als wäre schon gewiss, dass es so kommen wird. Als ihn jemand darauf hinweist, hebt Jensen demonstrativ die Augenbrauen und legt den Finger auf den Mund: Pssssssst!

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SZ vom 06.10.2017
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