Baseball in Washington:Wenn die Superhelden werfen, macht es "fupp"

Baseball in Washington: Wer seine Würfe kontrolliert mit dem Schläger trifft, der kann auch Fliegen mit Essstäbchen fangen: Nationals-Pitcher Max Scherzer.

Wer seine Würfe kontrolliert mit dem Schläger trifft, der kann auch Fliegen mit Essstäbchen fangen: Nationals-Pitcher Max Scherzer.

(Foto: AP)
  • Die Nationals aus der US-Hauptstadt ziehen erstmals in ihrer Vereinsgeschichte in die Baseball-World-Series ein.
  • Der Hauptgrund: Ihre Werfer sind derzeit überragend.
  • 50 Jahre hat noch kein Baseballklub auf eine Finalteilnahme warten müssen.

Von Jürgen Schmieder, Los Angeles

Dock! Es ist dieses dumpfe, hölzerne Knacken, das die Leute an der Sportart Baseball so fasziniert. Sie wissen, ohne hinzusehen, dass der Ball dann mehr als 100 Meter weit fliegen wird, über den Zaun auf die Tribüne. Wer es einmal im Stadion gehört hat, dieses Geräusch, der vergisst es nie, und wenn er es dann wieder hört, gerne daheim auf der Couch vor dem Fernseher, dann glaubt er, frisch gemähtes Gras, billiges Bier und fettige Bratwurst zu riechen.

Die Anhänger der Washington Nationals haben dieses "Dock" zuletzt ein paar Mal gehört, in dramaturgisch bedeutsamen Momenten der Playoffs in der nordamerikanischen Profiliga MLB. Am Ende des entscheidenden Viertelfinalspiels gegen die Los Angeles Dodgers etwa, als Howie Kendrick den Ball über die Absperrung knüppelte. Homerun! Oder während der Halbfinalserie gegen die St. Louis Cardinals, als Michael Taylor seine Mannschaft in der dritten Partie mit so einem Schlag samt Homerun in Führung brachte.

"Wir haben nicht aufgehört, ein Team zu bauen, das den Titel holen kann"

Baseball ist ein Sport für hoffnungslose Romantiker, es geht niemals nur ums reine Ergebnis oder um Titel, es geht stets auch um Folklore, um das Erdulden mehr als 100 Jahre währender Durststrecken, um das Anflehen der Sportgötter und das gemeinsame Singen des Liedes "Take Me Out to the Ballgame" im siebten Spielabschnitt. Es gibt Gedichte und Lieder über unvergessliche Momente, und es kann sein, dass der Kanon in diesem Jahr erweitert wird: Zum ersten Mal seit 1933 steht mal wieder ein Verein aus Washington im Baseball-Finale.

Die Nationals, vor 50 Jahren als Montreal Expos gegründet und vor 15 Jahren nach Washington gekommen, stehen zum ersten Mal in der Vereinsgeschichte in der World Series - so lange, 50 Jahre, hat noch kein Baseballklub warten müssen. Die Seattle Mariners, das einzige Team ohne Finalteilnahme, sind erst vor 43 Jahren gegründet worden.

Das passende Gedicht müsste jetzt diesen Titel haben: "Fupp, fupp, fupp, fupp - dock!" Das liegt einerseits daran, dass die Nationals in den letzten acht Jahren fünf Mal die Ausscheidungsrunde erreicht haben, nun aber zum ersten Mal über die erste Runde hinausgekommen sind. "Wir haben in den vergangenen acht Jahren insgesamt die zweitmeisten Partien gewonnen", sagt Manager Mike Rizzo, der freilich weiß, dass die Anzahl der Siege in dieser Sportart irrelevant ist, wenn man das letzte Spiel der Saison verliert: "Wir haben nicht aufgehört, ein Team zu bauen, das den Titel holen kann - und nun ist es endlich so weit."

Die Werfer der Nationals werden "Fantastic Four" genannt

Dass es so weit ist, liegt vor allem an diesem anderen Geräusch, das die Baseballfans fasziniert: Fupp! Das ist zu hören, wenn ein mit viel Drall (etwa 45 Umdrehungen pro Sekunde) geworfener Ball in den Handschuh des Fängers klatscht, weil der Schlagmann nicht getroffen hat. Die vier Stammwerfer der Nationals agieren in diesen Playoffs beachtlich, in Anlehnung an die Superhelden-Gruppe werden sie "Fantastic Four" genannt. Anibal Sanchez, Max Scherzer und Stephen Strasburg erlaubten im Halbfinale zusammengerechnet zweieinhalb Spiele lang gar keinen Punkt, Patrick Corbin schaffte im letzten Spiel zwölf Strikeouts - die gegnerischen Schlagmänner schwangen also, und es machte: "Fupp!"

Wer wissen möchte, wie knifflig die Würfe der Nationals-Pitcher zu treffen sind, der sollte bei der Finalserie, die am kommenden Dienstag beginnt (der Gegner wird gerade zwischen den New York Yankees und den Houston Astros ermittelt), den sogenannten Slider von Scherzer betrachten: Der Wurf sieht so aus, als wäre er möglichst hart und ohne Drall geschleudert, doch während der Reise zum Schlagmal bricht er seitlich nach unten weg. Es ist ein schneller Flatterball, und wer das rechtzeitig erkennt und den Ball kontrolliert trifft, der kann auch Fliegen mit Essstäbchen fangen. Vereinfacht ausgedrückt sorgen die Werfer der Nationals derart oft für das "Fupp", dass sich die Offensivspieler in aller Ruhe darauf konzentrieren können, Leute auf die Laufmale zu bringen und dann ihrerseits einen Schlag zu versuchen, bei dem es "dock" macht.

Die oftmals angeflehten Sportgötter, auch diese Erkenntnis steckt in der Geschichte der Nationals, verfügen offenbar über einen bitterbösen Humor. Schlagmann Bryce Harper ist in den vergangenen acht Jahren das Gesicht der Nationals gewesen, der Megastar, der All American Hero, der letztes Jahr das Homerun-Derby mit Amerika-Flagge-Stirnband und Amerika-Flagge-Schläger gewonnen hat. Vor dieser Saison unterschrieb er einen 330-Millionen-Dollar-Vertrag bei den Philadelphia Phillies, weil er glaubte, dort größere Chancen auf den Titel zu haben. Die Nationals hatten weniger geboten, weil sie in Werfer investieren wollten - um es kurz zu machen: Am 27. Geburtstag von Harper erreichten die Nationals die Finalserie.

Sie wollen nicht über Harper reden, sie feiern lieber sich selbst - nach der letzten Partie gegen die Cardinals bis tief in die Nacht im Restaurant ihres Spielers Ryan Zimmerman, gegenüber vom Stadion in Washington. Sie konnten es sich leisten, im Gegensatz zum Finalgegner haben sie eine Woche lang Zeit zur Regeneration, was vor allem für die geschundenen Arme der Werfer bedeutsam ist. "Es ist noch nicht geschafft", sagt Zimmerman, er weiß: All die Siege sind bedeutungslos, wenn die Nationals nicht auch das letzte Spiel dieser Saison gewinnen.

Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: