Betrug in der MLB:Baseballer Mike Bolsinger verklagt die Houston Astros

Betrug in der MLB: Mike Bolsinger 2017 im Trikot der Toronto Blue Jays: Es war die bislang letzte Station des Werfer in der MLB.

Mike Bolsinger 2017 im Trikot der Toronto Blue Jays: Es war die bislang letzte Station des Werfer in der MLB.

(Foto: Mitchell Layton/AFP)
  • Der Baseballer Mike Bolsinger hat Klage gegen die Houston Astros eingereicht: Deren Betrug in der MLB habe seiner Profikarriere massiv geschadet.
  • Es ist eine bedeutsame Aktion, weil sie den Blick bei diesem Sportskandal auf die Opfer richtet.
  • Die Astros liefern derweil die frechste Reinwaschung seit Pontius Pilatus.

Von Jürgen Schmieder, Los Angeles

Mike Bolsinger hat die Baseball-Franchise Houston Astros verklagt, er fordert Schadenersatz in Höhe von 31 Millionen Dollar, die er an gemeinnützige Einrichtungen spenden will. Seine Begründung: Der Betrug der Astros habe seine Karriere als Werfer in der nordamerikanischen Baseballliga MLB beendet. Seine letzte Partie absolviert Bolsinger im August 2017 in Houston: Er kommt im vierten Spielabschnitt auf den Wurfhügel, von acht Schlagmännern erreichen sieben ein Laufmal, vier erzielen Punkte - schlechter geht es kaum.

"So eine Leistung kann das Todesurteil für einen Werfer sein", heißt es nun in der Anklageschrift, und tatsächlich: Einen Tag später wird Bolsinger entlassen, seitdem hat ihn kein anderer MLB-Klub verpflichtet. Zuletzt war er bei den Chiba Lotte Marines in Japan tätig.

Der Skandal ist einer der schlimmsten in der Geschichte dieser Sportart, die bereits Bestechung (1919) und Rassismus (1947) zu verarbeiten hatte. Sign Stealing nennen Baseballer das, wenn jemand die Kommunikation zwischen Werfer und Fänger ausspioniert. Die verabreden vor jedem Wurf Geschwindigkeit, Drall und Richtung. Wer die Handzeichen erkennt und dechiffriert, verschafft sich einen massiven Vorteil - in etwa, als würde der Fußball-Torwart beim Elfmeterschießen vorher wissen, wohin der Schütze schießen wird.

Schmerz wird gerade in USA häufig in Geld bemessen

Die Astros hatten dafür in der heimischen Arena eine Videokamera installiert, die Informationen über den nächsten Wurf gelangten zur Astros-Ersatzbank, neben der jemand auf eine Mülltonne trommelte: ein Schlag bedeutete einen langsamen Wurf, zwei Schläge einen mit viel Effet, kein Schlag war das Zeichen für einen harten Wurf. Bei der letzten Partie in der MLB-Karriere von Bolsinger sind bei zwölf seiner 29 Würfe solche Klopfzeichen zu hören, die jeweiligen Hinweise stimmen mit den Liga-Ermittlungen überein. Die MLB hat bislang Manager Jeff Luhnow und Trainer A. J. Hinch für eine Saison suspendiert (die Astros haben beide entlassen), der Verein muss fünf Millionen Dollar Strafe bezahlen und darf bei der Talentbörse in den Jahren 2020 und 2021 erst von der dritten Runde an mitmachen.

Allerdings: Den Meistertitel, den die Astros im Jahr 2017 auch wegen dieses Betrug gewonnen haben, dürfen sie vorerst behalten - und es stellt sich dann doch die Frage: Warum eigentlich?

Die Klage von Bolsinger ist insofern bedeutsam, weil sie den Fokus bei diesem Skandal auf die Opfer richtet. Es geht im Sport häufig um Tat und Täter: Was ist passiert? Wer ist schuld? Wie lautet die Strafe? Die amerikanische Turnerin Elise Rey zum Beispiel war jahrelang enttäuscht, weil sie bei Olympia 2000 im Team-Wettbewerb den vierten Platz belegt hatte. Fast zehn Jahre später wurde das chinesische Team disqualifiziert. Rey bekam nachträglich Bronze - nicht während Olympischer Spiele, sondern bei einem Wettbewerb im US-Bundesstaat Connecticut. Sie sagte, und es kann vermutlich kaum einen schlimmeren Satz von jemandem geben, der gerade eine Medaille bekommen hat, dass dies einer der traurigsten Momente in ihrem Leben gewesen sei.

Die frechste Reinwaschung seit Pontius Pilatus

Schmerz wird gerade in USA häufig in Geld bemessen, und das führt nicht nur zu Bolsinger. Es ist nicht abzusehen, ob er einen Kausalzusammenhang zwischen dieser einen Partie und seiner Karriere wird herstellen können - doch ist das in Anbetracht des Ausmaßes dieses Skandals gar nicht mal so wichtig. Es geht um viel mehr, und deshalb ist wichtig, dass Bolsingers Anwalt Ben Meiselas ist. Der vertrat bereits den Quarterback Colin Kaepernick bei seiner Klage gegen die NFL wegen Diskriminierung und den Eishockeyspieler Akim Aliu bei seinen Vorwürfen, von Trainer Bill Peters rassistisch beleidigt worden zu sein. Es geht immer ums große Ganze bei Meiselas, und das große Ganze in diesem Fall könnte noch viel größer werden.

Die Anklageschrift enthält einige interessante juristische Schachzüge, vereinfacht ausgedrückt: Es könnte nicht nur deftig werden für die Astros, sondern für die komplette Liga - weil bei einer öffentlichen Verhandlung pikante Details herauskommen könnten, die die MLB als private Firma bislang nicht veröffentlichen musste. Also: Hat sie womöglich schon vorher vom Betrug gewusst - und falls ja, warum hat sie nichts unternommen? Was ist mit den Boston Red Sox, deren Meisterschaft 2018 gerade untersucht wird? Alex Cora war eine der Schlüsselfiguren beim Betrug in Houston, er soll das System nach dem Wechsel zu den Red Sox dort als Chefcoach eingeführt haben. Er und die Red Sox haben sich deswegen getrennt, die Liga ermittelt noch gegen ihn.

Und was ist mit all jenen, die benachteiligt worden sind? Mit Franchises wie den Los Angeles Dodgers, die jeweils die Finalserie gegen Houston (2017) und Boston (2018) verloren haben? Mit Werfern wie Yu Darvish oder Clayton Kershaw, die ob ihrer Leistungen geschmäht worden sind? Mit anderen Werfern, die sich benachteiligt fühlen? Und, es geht schließlich ums große Ganze: mit all jenen, die gegen die Astros und Red Sox gewettet haben? Es gibt bereits eine Sammelklage von Leuten, die behaupten, dass sie ihre Tipps aufgrund falscher Statistiken abgegeben hätten - und dass die MLB versäumt habe, diesen Skandal - der lange als offenes Geheimnis durch die Stadien schwirrte - eher aufzudecken.

"Wir haben die World Series gewonnen und dabei wollen wir das belassen"

Es ist nun bekannt, was passiert ist; die Aufarbeitung jedoch hat gerade erst begonnen. Das zeigt sich auch daran, wie die Astros damit umgehen. Eigentümer Jim Crane flog in dieser Woche erst einmal zum Trainingsauftakt nach Florida, um mit den Akteuren eine Strategie für den öffentlichen Umgang zu besprechen. Wohlgemerkt: Er hatte knapp einen Monat lang Zeit, sich selbst was zu überlegen - und dann legte er am Donnerstag einen Auftritt hin, der als frechste Reinwaschung seit Pontius Pilatus in die Geschichte eingehen dürfte.

Die Spieler José Altuve und Alex Bregman entschuldigten sich für insgesamt 90 Sekunden, dann kam Crane auf die Bühne und behauptete erst einmal, dass der Betrug den Ausgang der Finalserie gegen die Dodgers nicht beeinflusst habe: "Wir hatten ein gutes Team, wir haben die World Series gewonnen und dabei wollen wir das belassen." Er sehe keinen Grund, sich bei den Dodgers zu melden, und dann sagte er diesen Satz, der jeden erschüttern dürfte, der an sauberen Sport glaubt: "Ich denke nicht, dass ich zur Verantwortung gezogen werden sollte."

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