Baseball:Mit den Tricks der Spinne

Gerritt Cole

"Ähm, ich..., also...": Gerrit Cole, Pitcher der New York Yankees, hat die Frage eines Reporters nach dem verbotenen Klebstoff hörbar in Verlegenheit gebracht.

(Foto: Kathy Willens/AP)

Es ist der dritte große Skandal der vergangenen Jahre in der Baseballliga MLB: Nach leistungsfördernden Mitteln und Spionage geht es nun um verbotenen Klebstoff an den Bällen.

Von Jürgen Schmieder, Los Angeles

Spinnenkleber also; das Zeug, das es Spiderman ermöglicht, über den Dächern von Manhattan zu schwingen und das Kraftsportler für besseren Grip verwenden. Wer Spider Tack in einen Lederball massiert, der kann beim Werfen höheren Drall entwickeln, und eigentlich muss man nur diese 30 Sekunden mit New-York-Yankees-Werfer Gerrit Cole kennen, um zu wissen, warum die nordamerikanische Baseballliga MLB nach leistungsfördernden Mitteln und Spionage schon wieder einen Skandal verarbeiten muss. Ein Reporter fragte Cole, ob er denn diesen Klebstoff, den zwei Bodybuilding-Tüftler aus North Carolina schon vor zehn Jahren erfunden hatten und der beim Baseball laut Reglement verboten ist, schon mal verwendet habe.

Cole sagte erst nichts, fünf Sekunden lang, er starrte in die Kamera wie ein Reh im Scheinwerferlicht, dann stammelte er: "Ähm, ich..., also ich weiß nicht, ob... ich weiß nicht." Es folgte eine weitere, sehr lange Pause, Cole atmete ein und aus, dann sagte er, endlich: "Ich weiß jetzt auch nicht, wie ich darauf antworten soll." Die Antwort könnte ja einfacher kaum sein - ja oder nein -, aber Cole verwandelte sich in ein verbales Wiesel; er sagte, dass Wissen von Werfern über Generationen vererbt werde, dass sich Training auszahle und dass dies schon ein wichtiges Thema sei. Er hätte wohl auch auf die Frage nach seinem Wohlbefinden geantwortet, dass Gesundheit ein hohes Gut sei, Medizin eine tolle Sache und ein ordentlicher Lebenswandel nicht so schlecht. Dabei wollen alle nur wissen: Ja oder nein?

Die Erfolgsquote am Schlagmal ist auf weniger als 24 Prozent gesunken, so niedrig wie seit 1968 nicht mehr

Es gibt in jeder Sportart Trends und Gegentrends, meist ist das völlig legal, Baseball jedoch hat ein massives Problem: Auf die so genannte "Steroid Era" (von Mitte der 1990er bis Mitte der 2010er, Schlagmänner verbesserten ihre Leistung mit illegalen Mitteln) folgte die technologische Revolution - völlig legal, über Videoanalyse entwickelte die Defensive neue Strategien bei der Wurfauswahl und Positionierung der Verteidiger auf dem Feld. Darauf folgte, dass einige Teams die Zeichen der Fänger an die Werfer - die tauschen sich vor dem Schlag über Art und Position des Wurfes aus - über Videokameras auf der Tribüne ausspionierten und die Infos dem Schlagmann per Trommelzeichen vermittelten; das zu wissen ist so, als wüsste der Torwart beim Elfmeter, wohin der Schütze zielen wird. Die Houston Astros mussten es zugeben, durften den Titel 2017 aber behalten - warum, wird für immer das Geheimnis der MLB bleiben.

All das führte dazu, dass Schlagmänner mittlerweile meist probieren, den Ball auf die Tribüne zu prügeln; die Analyse der Risiko-Ertrag-Quote erfordert diese Strategie. Für die Werfer gilt deshalb, das mit einer ausgefeilten Mischung aus schnellen und möglichst krummen Würfen zu stoppen - und nun kommt Spider Tack ins Spiel: Grip am Ball lässt diese regelrecht tanzen. Die Schlagmänner sehen bei ihren Versuchen oft so aus wie jemand, der versucht, eine Fliege mit Essstäbchen zu fangen. Die Erfolgsquote am Schlagmal ist auf unter 24 Prozent gesunken, so niedrig wie seit 1968 nicht mehr - was noch immer die niedrigste Quote in der 146 Jahre alten Geschichte der Liga ist. Es gab in dieser Spielzeit bereits sechs so genannte No-Hitter, ein Spiel ohne jeden Treffer von einem der beiden Teams. Das passiert ansonsten statistisch in etwa zwei Mal pro Saison, und wohlgemerkt: Diese Spielzeit ist noch nicht einmal bei der Hälfte der 162 Partien pro Verein angelangt.

Der Sport befindet sich also in einer "Dead Ball Era", wie er sie vor mehr als 100 Jahren schon mal erlebt hatte, bevor Babe Ruth die Bälle aus dem Stadion prügelte und die Langeweile beendete. Bei aller Begeisterung über Taktik und Psychologie bei diesem Duell zwischen Werfer und Schlagmann: Eine Disziplin, bei der drei Stunden lang ein Ball geworfen wird und sonst nicht viel passiert, ist gerade für junge Leute, die Ein-Minuten-Videos auf Tiktok für perfekt getimtes Entertainment halten, so interessant, als würde Spiderman mit seinen Klebefingern Murmeln aufheben und nicht Bösewichter jagen. Die Liga hat also schon allein aus Entertainment-Gründen ein Interesse daran, diesem Skandal nachzugehen.

"Mir ist klar, dass es eine reiche Geschichte an verwendeten Substanzen gibt."

Zwei Monate lang hatte die MLB benutzte Bälle analysiert, am Dienstag veröffentlichte sie ein Statement, das letztlich nichts anderes ist als die Ankündigung, die Paragraphen 3.01 und 6.02 (c) im Regelbuch nun auch ernst zu nehmen. Die besagen seit Jahrzehnten, dass Werfer keine fremdartigen Substanzen auf Bälle geben dürfen - es war jedoch allgemein akzeptiert, dass sie zum Beispiel in ihren Handschuh spucken und den Ball darin reiben, um bessere Kontrolle über die Würfe zu haben; auch über die bei vielen Werfern beliebte Harz-Sonnencreme-Mischung wurde hinweggesehen. Es ging auch um Gesundheit, ein mit 160 km/h geworfener Baseball an Schulter oder Hüfte des Schlagmanns schmerzt höllisch. "Mir ist klar, dass es eine reiche Geschichte an verwendeten Substanzen gibt", sagt MLB-Chef Robert Manfred im Statement: "Was jedoch in dieser Saison zu sehen ist, das ist objektiv völlig anders: klebrigere Substanzen, die häufiger verwendet werden. Es geht nicht mehr um Kontrolle, sondern um unlauteren Vorteil."

Die Regeln sind also, wie sie immer gewesen sind, neu ist die Vollstreckung von Montag an: Schiedsrichter dürfen jederzeit überprüfen, ob jemand was anderes als Harz (das bleibt erlaubt) benutzt. Betrüger werden vom Platz gestellt und für zehn Partien gesperrt. Interessanterweise sind die Statistiken der Schlagmänner in den vergangenen zwei Wochen - seit die MLB ihre Ermittlungen öffentlich machte - signifikant gestiegen; offenbar stellten sich viele Werfer bereits auf Veränderungen ein. Die Liga hat erreicht, was sie wollte, und MLB-Chef Manfred versuchte erst gar nicht, dieses Ziel zu verbergen: "Es mangelte an Action." Also an dem, was jeder Spiderman-Film und jede Sportart braucht, will sie kommerziell erfolgreich sein.

Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: