Baseballer der Dodgers:Ein heilsamer Titel für ganz Los Angeles

World Series 2020: Jubel auf der Bank der Los Angeles Dodgers

Die Los Angeles Dodgers jubeln, sie sind Sieger der World Series im Baseball.

(Foto: AP)

Die Dodgers schenken der gebeutelten Stadt den Triumph in der World Series. Doch im finalen Spiel muss Vereinsheld Justin Turner wegen eines positiven Corona-Tests vom Feld.

Von Jürgen Schmieder, Los Angeles

Es kann keine passendere Pointe für das Jahr 2020 in Los Angeles geben als diese: Justin Turner, Symbolfigur des Baseballvereins Los Angeles Dodgers, musste im achten Spielabschnitt der siegbringenden Partie gegen die Tampa Bay Rays ausgewechselt werden, weil er kurz zuvor von seinem zweiten positiven Coronavirus-Test innerhalb von 24 Stunden erfahren hatte. Turner, der aussieht wie das Mensch gewordene Schlagzeug-Tier aus der Muppet Show und der wie kaum ein anderer für all die Emotionen steht, die dieser Verein in den vergangenen Jahren und dieser Saison durchlebt hat, durfte beim ersten Titel seit 32 Jahren nicht mitfeiern - er wurde noch während des Spiels in Quarantäne gebracht.

"Es bricht mir das Herz, dass er nicht hier sein darf", sagte sein bester Freund Corey Seager, der zum wertvollsten Akteur dieser World Series gewählt worden ist. Die Dodgers gewannen die sechste Partie mit 3:1 und die Best-of-seven-Serie verdient mit 4:2: "Er hat sich in dieser Stadt neu erfunden, wie das so viele Leute in Los Angeles tun. Dieser Titel ist ohnehin nicht nur einer für die Dodgers, sondern für alle Angelenos, die es wirklich nicht leicht haben in diesem Jahr."

LA. Es gibt wohl keine zwei Buchstaben, die derart eng mit einer Stadt verknüpft sind wie diese beiden mit der Metropole an der Pazifikküste: Daumen und Zeigefinger der rechten Hand im 90-Grad-Winkel vors Herz halten und darauf Zeige- und Mittelfinger der linken Hand im 45-Grad-Winkel, und schon zeigt man dieses Symbol, das in weißer Schrift auf den blauen Mützen der Dodgers zu sehen ist. Bei allem Respekt vor New York und dem Logo der Yankees, das ja mindestens genauso bekannt ist, aber kein New Yorker käme auf die Idee, ein NY mit seinen Fingern zu formen.

Die Stadt Los Angeles hat es besonders hart getroffen in diesem Jahr

Dem Sport wird immer wieder tröstende oder gar heilende Energie zugesprochen. So war es, als der damalige US-Präsident George W. Bush ein paar Wochen nach den Terroranschlägen vom 11. September 2001 den ersten Pitch während der World Series im Stadion der Yankees warf oder die Houston Astros im Jahr 2017 nur neun Wochen nach dem verheerenden Hurrikan Harvey den Titel gewannen - im siebten Spiel gegen die Dodgers. Vor ein paar Wochen holten die Lakers die NBA-Meisterschaft, doch stehen die immer noch für Showtime und Glamour und damit für die wohlhabenden Viertel in dieser Stadt; alle anderen halten zu den Clippers. Die Dodgers, mit ihrem Stadion auf einem Hügel im Stadtzentrum, von dem aus man gerade bei Sonnenuntergang einen wunderbaren Blick auf diese Stadt hat, die mögen alle in Los Angeles.

Es hat diese Stadt tatsächlich besonders hart getroffen in diesem Jahr: Corona. Die Proteste gegen Polizeigewalt und Rassismus, bei denen immer wieder an Dodgers-Legende Jackie Robinson erinnert wurde, den ersten Afroamerikaner in der Profiliga MLB, der während seiner ersten Profisaison im Jahr 1947 selbst von Mitspielern rassistisch beleidigt worden war. Die Waldbrände, wegen denen erst in dieser Woche 90 000 Menschen im Südosten von LA ihre Häuser verlassen mussten. Die kleineren Erdbeben zuletzt als Erinnerung, dass The Big One überfällig ist.

Eine Geschichte, wie sie in den USA geliebt wird

Die Dodgers stehen seit ein paar Jahren symbolisch für alles, was schief laufen kann im Leben: 2017 verloren sie gegen die Astros; die hatten jedoch, wie sich später rausstellte, betrogen. Ein Jahr später wurden sie in der Finalserie von den Boston Red Sox vermöbelt, Clayton Kershaw lieferte dabei einen weiteren Beweis, zwar einer der besten Werfer der Geschichte zu sein, in Finalspielen aber zu versagen. In der vergangenen Saison: Erstrunden-Aus. In dieser Saison drohte im Halbfinale trotz der besten Bilanz der regulären Saison (43:17) das erneute Scheitern, gegen die Atlanta Braves lagen die Dodgers 1:3 zurück. "Wir haben uns schon auf Enttäuschung und Schmach vorbereitet", sagte Seager: "Es ist umso schöner, dass es nun so gekommen ist."

Nun, im Nachhinein, wird daraus freilich eine Geschichte, die sie so lieben in den USA: Wenn jemand geschmäht am Boden liegt, die Kapitulation verweigert, aufsteht, weitermacht und dann entgegen allen Wahrscheinlichkeiten obsiegt. Kershaw ist nach formidablen Playoff-Leistungen ein Held. Der zu Saisonbeginn aus Boston gekommene Mookie Betts, einziger Afroamerikaner in der World Series und wortgewaltiger Kritiker der Liga nach dem Tod von George Floyd durch hellhäutige Polizisten ("Baseball hat keine gute Figur abgegeben."), wird nach spektakulären Momenten als Reinkarnation von Dodgers-Legende Robinson gefeiert. Trainer Dave Roberts gilt als Magier, und das liegt auch an der Taktik, die er in diesem letzten Spiel gewählt hatte.

Er ließ Werfer Tony Gonsolin beginnen, um im möglichen Entscheidungsspiel am Tag danach den dann erholten Walker Buehler und für ein paar Würfe auch Kershaw zur Verfügung zu haben. Nach der frühen Führung für die Rays (Randy Arozarena prügelte den Ball auf die Tribüne) wechselte er munter durch, insgesamt setzte er sieben Pitcher ein. Rays-Trainer Kevin Cash dagegen vertraute seinem besten Werfer Blake Snell, der mehr als fünf Abschnitte lang alle Dodgers-Schlagmänner zur Verzweiflung brachte; dann aber holte ihn Cash überraschend vom Feld. "Wir waren alle froh, dass er weg war", sagte Seager. Direkt nach der Auswechslung von Snell trafen er und Betts, aus dem 0:1 wurde ein 2:1, später erhöhte Betts mit einem Homerun auf 3:1.

Plötzlich ist der positiv getestete Turner beim Feiern dabei

"Ich bereue die Entscheidung, weil es nicht funktioniert hat", sagte Cash, der nun, so ist das nun mal mit den Danach-Analysen im Sport, als Narr dieser grandiosen World Series gilt. Ein Held ist dagegen Turner, der nur eine Autostunde südlich von LA in Long Beach geboren ist und erst in Los Angeles im Herbst seiner Karriere (die Dodgers holten den damals bereits 29 Jahre alten Arbeitslosen im Jahr 2014, nachdem ihn Assistenztrainer Tim Wallach bei einem Spaßspiel in der Nähe von LA gesehen hatte) so richtig aufblühte. "Es geht mir gut", schrieb Turner kurz nach dem Spiel auf Twitter: "Ich freue mich so sehr für Los Angeles."

Es würde nicht zu Los Angeles und diesem Jahr passen, wäre die Geschichte nun vorbei; denn es kann keinen passenderen Hinweis darauf geben, wie es in dieser Stadt weitergehen könnte als diesen: Turners Quarantäne war eine Stunde nach der Partie offenbar schon wieder vorbei. Er kam aufs Spielfeld, umarmte die Kollegen und streckte die Trophäe in die Luft. Dann setzte er sich zwischen Trainer Roberts und Manager Andrew Friedman, ganz vorne in die Mitte fürs Teamfoto. Die Maske riss er sich lächelnd vom Mund.

Zur SZ-Startseite
Fans Celebrate In Los Angeles After Lakers Win NBA Finals

NBA-Champion
:Für Kobe, für Los Angeles

Die Lakers gewinnen gegen Miami die 17. Meisterschaft ihrer Vereinsgeschichte - doch sie hat nichts zu tun mit Showtime-Spektakel und La La Land, wofür der Basketballklub weltweit bekannt ist.

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: