Baseball:Das spektakuläre Doppelleben des Shohei Ohtani

Baseball: Gegen die Kansas City Royals spielte Shohei Ohtani als Schlagmann - für die Los Angeles Angels tritt er aber auch als Werfer an.

Gegen die Kansas City Royals spielte Shohei Ohtani als Schlagmann - für die Los Angeles Angels tritt er aber auch als Werfer an.

(Foto: AP)
  • Shohei Ohtani ist die neueste Attraktion der amerikanischen Baseballliga, der Japaner spielt ungewöhnlicherweise als Werfer und als Schlagmann.
  • In seinen ersten Spielen für die Los Angeles Angels gelingt ihm etwas, das zuletzt vor 99 Jahren passierte.

Von Jürgen Schmieder, Los Angeles

Es gibt zwei neue Attraktionen im kalifornischen Anaheim. Wenn Mickey Mouse und Donald Duck vom hiesigen Disneyland aus einen Baseball präzise ein paar Kilometer Richtung Osten werfen - dann könnten sie die Mauern jener Sportarena erreichen, in der die beiden neuen Figuren zu bestaunen sind. Nicht nur die Anhänger der Los Angeles Angels, auch neutrale Beobachter der nordamerikanischen Baseballliga MLB behaupten nach den ersten Wochen der neuen Spielzeit, dass sie so etwas wie Shohei Ohtani und Shohei Ohtani noch nie gesehen haben.

Natürlich ist der 23 Jahre alte Japaner eine Person, er vereint nur zwei Baseballspieler in einem: den Werfer und den Schlagmann. Das ist so, als würde Fußballtorwart Manuel Neuer alle paar Ligaspiele auch im Sturm auflaufen (und zuverlässig Tore erzielen). Ohtani, der Werfer, gewann die ersten beiden Partien seiner MLB-Karriere, und gegen die Oakland Athletics ließ er zuletzt sieben Spielabschnitte lang keinen gegnerischen Schlagmann ans erste Mal - das sogenannte "perfekte Spiel", das es in der MLB bislang nur 23 Mal gegeben hat, war bis zum Treffer von Marcus Semien greifbar nahe. Die lakonische Reaktion von Ohtani auf seine formidable Leistung ohne gegnerischen Punkt: "Schon okay. Das beste Spiel meines Lebens war das aber nicht, das habe ich in der Grundschule gemacht."

Warum Ohtani dem Traditionssport Baseball helfen könnte

Fast alle Baseball-Werfer sind Spezialisten, sie sollen mit harten und angeschnittenen Würfen die Schlagmänner daran hindern, den Ball krachend ins Spielfeld zu schlagen. Die Schlagmänner wiederum bilden ebenfalls eine Spezialeinheit, auch, weil ihre feingliedrige Bewegung einer Maschine mit hunderten Rädchen gleicht, die beim kleinsten Defekt zum Stillstand kommt. Ohtani, der Schlagmann, trat in seinen MLB-Partien bislang 30 Mal an, dabei schaffte er elf Treffer, und drei Mal schlug er den Ball bis auf die Tribüne. Homerun.

Der letzte MLB-Spieler, dem so früh zwei Siege als Pitcher und drei Homeruns als Batter gelangen, war Grunting Jim Shaw von den Washington Senators. Vor 99 Jahren. Die wenigen Nachfolger, die ein ähnliches Doppelleben wagten, scheiterten kläglich. Viele Zuschauer haben so eine doppelte Attraktion wie Ohtani also tatsächlich noch nicht erlebt. Dessen Reaktion: "Eine ordentliche erste Woche."

Es gibt bei der Beurteilung Hochbegabter stets die Begeisterten und die Bedenkenträger. Die Begeisterten heben das Talent schon mal in den Stand eines Heilands und bemühen historische Vergleiche. Im Fall von Ohtani ist das der legendäre George "Babe" Ruth, der vor 100 Jahren ebenfalls ein grandioser Werfer und noch grandioserer Schlagmann war, ehe er sich aufs Schlagen spezialisierte. Und der MLB kam der Trubel um Ohtani durchaus recht. Baseball zehrt von seinem Ruf als Traditionssport, doch vorbei sind die Zeiten, in denen die Spiele auch TV-Quoten, Schlagzeilen und Kneipengespräche bestimmten. Eine Attraktion wie Ohtani könnte das ändern.

Die Skeptiker warben derweil um Geduld für diesen bescheidenen jungen Mann, der bereits in Diensten der Hokkaido Nippon-Ham Fighters aus der japanischen Profiliga - der weltweit stärksten hinter der MLB - mit seiner dualen Karriere aufgefallen war. Manche in Los Angeles klassifizierten Ohtani zunächst als Fehlzugang, weil die Angels ihren neuen Spieler als Weltwunder angepriesen hatten, Ohtani in der Vorbereitung im März aber recht dürftige Test-Auftritte hatte. In der Los Angeles Times war zu lesen: "Er sollte seinen Schwung verändern. Er sollte überhaupt nicht als Schlagmann antreten. Er sollte effizienter werfen. Er sollte die Saison in der Nachwuchsliga beginnen."

"Ich bin selbst überrascht, wie gut es läuft", sagt Ohtani

Ohtanis neuer Arbeitgeber bewahrte aber Ruhe. Die Verpflichtung von Ausländern ist für US-Baseballunternehmen kaum riskant; die Angels müssen für Ohtani einen Bonus von 3,5 Millionen Dollar und in den kommenden drei Jahren ein Gehalt von 545 000 Dollar pro Spielzeit aufwenden. Ohtanis Teamkollege Mike Trout verdient derzeit 33,25 Millionen Dollar, pro Saison.

Die Angels ließen Ohtani also erst einmal spielen und nun staunen sie über dessen wahnwitzige Auftritte.

"Ich bin selbst überrascht, wie gut es läuft", sagt Ohtani. "Ich musste mich erst einmal an dieses neue Leben und diese Liga gewöhnen." Wie schwierig das ist, war nach den ersten Trainingseinheiten zu sehen. Die Leute wussten, dass Ohtani schon als Jugendlicher ein Juwel war, das bis zu 159 Stundenkilometer schnell warf und in der japanischen Profiliga nun den Rekord für den härtesten Wurf (165 km/h) hält. Sie wussten, dass er schlagen kann und dass ihn die MLB-Klubs seit seinem Profidebüt vor fünf Jahren heftig umwarben.

Nun stand da ein 23-Jähriger vor den Journalisten, deren Fragen noch ins Japanische übersetzt werden müssen. Ohtani lächelte und antwortete geduldig, doch wer seine Halsschlagader beobachtete, der ahnte, dass ihm das ziemlich auf die Nerven ging: diese lästigen Fragen nach den Schwierigkeiten beim Eingewöhnen. Er sprach zwar viel, doch der Übersetzer formulierte eine 30-Sekunden-Antwort zur Floskel: "Ich brauche ein bisschen Zeit."

Nun, nach den grandiosen Leistungen von Ohtani, ist wieder die Zeit der Begeisterten gekommen, die den Beginn einer neuen Ära ausrufen. Für die hat Ohtani allerdings eine wunderbare Botschaft: "Ich bin mir ziemlich sicher, dass ich irgendwann mal gegen eine Wand laufe. Wenn ich dagegen renne, muss ich härter arbeiten, damit ich über diese Mauer hinwegkomme." Das ist nichts anderes als eine Bitte an Begeisterte wie Bedenkenträger, ihn erst mal spielen zu lassen. Als Schlagmann und als Werfer.

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