Baseball:Cheerleaders vor Pappkameraden

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In Südkorea wird wieder Baseball gespielt - und sogar die USA schauen zu. Der Deutsch-Amerikaner Aaron Altherr ist dabei und erzählt, wie sich das anfühlt.

Von Lukas Brems

Die neue Normalität ist anders, vor allem leiser. Als Aaron Altherr unter der Woche seinen ersten Homerun für die NC Dinos schlug, war das dumpfe Klacken, wenn Baseball und Schläger aufeinandertreffen, zwar immer noch das gleiche, doch es fehlte das Jubeln der Fans, während der Ball über die Bande hinweg und auf die leeren Plastiksitze segelte. "Es ist definitiv schön, wieder zu spielen. Wir haben jetzt zwei Monate nur trainiert und auf diesen Moment gewartet. Trotzdem ist es bizarr", sagt Altherr, 29, im pfälzischen Landstuhl geboren und im US-Bundesstaat Arizona aufgewachsen. Er spielte fünf Jahre in der nordamerikanischen Baseballliga MLB, zuletzt bei den New York Mets, und auch schon für die deutsche Nationalmannschaft.

Seit dieser Saison steht Altherr in Südkorea unter Vertrag, wo am 5. Mai die heimische Baseballliga KBO als erste große Sportliga weltweit wieder den Spielbetrieb aufgenommen hat. Obwohl die Saison fünf Wochen später startete als geplant, wird am ursprünglichen Spielplan weitestgehend festgehalten. Alle 144 Spiele sollen ausgetragen werden, vorausgesetzt, es kommt zu keiner Unterbrechung. Wird ein Spieler positiv auf das Coronavirus getestet, verfolgen Epidemiologen die Infektionskette, im Zweifel könnte die Saison für drei Wochen unterbrochen werden.

Potemkinsche Plakate: Moderator und Kameramann sind echt im Baseball-Stadion der südkoreanischen Stadt Incheon, aber die Zuschauer sind nur eine gedruckte Fiktion – allerdings korrekt mit Maske. (Foto: Kim Hong-Ji/Reuters)

Anfang März registrierte Südkorea nach China noch die zweitmeisten Corona-Fälle, inzwischen ist die Zahl der täglichen Neuinfektionen meist nur noch einstellig. Trotzdem werden die Spiele ohne Zuschauer ausgetragen. "Es ist ein bisschen so wie auswärts einen Homerun zu schlagen. Da sind die Fans in der Regel auch recht leise, wenn man die Bases umrundet", sagt Altherr: "Auf die Fans in Südkorea habe ich mich eigentlich am meisten gefreut. Die Menschen hier lassen sich ganz schön für Baseball begeistern." Doch statt vor 22 000 tobenden Zuschauern im Changwon NC Park zu spielen, sieht Altherr auf der Tribüne nur mit Fan-Gesichtern bedruckte Pappfiguren - sie tragen, natürlich, Masken. Lediglich eine Gruppe von Cheerleadern tanzt und singt. "Die verhalten sich so, als wären Fans im Stadion. Das sorgt für ein bisschen Atmosphäre, aber es ist trotzdem komisch", findet Altherr.

Die Spieler dürfen sich ohne Handschuhe nicht abklatschen; bevor man das Stadion betritt, wird die Körpertemperatur gemessen. Auch auf den im Baseball beliebten Kautabak müssen die Spieler verzichten, damit sie weniger auf den Boden spucken. Trainer, die auf dem Feld stehen, tragen Masken, der Schiedsrichter trägt sogar zwei übereinander: Die eine soll ihn und die Spieler vor Viren schützen, die andere vor den bis zu 150 km/h schnellen Bällen. Ansonsten, so berichtet Altherr, sei sein Alltag "relativ normal". Aufgrund der geringen Neuinfektionen im Land kann die KBO, anders als etwa die Fußball-Bundesliga in Deutschland, auf regelmäßige Corona-Tests verzichten.

Der Deutsch-Amerikaner Aaron Altherr (hier 2017 im Trikot der Philadelphie Phillies) steht seit dieser Saison in Südkorea unter Vertrag. (Foto: Chris Szagola/imago/ZUMA Press)

Die größte Umstellung ist wohl die Aufmerksamkeit, die der südkoreanische Baseball derzeit erfährt. "Es ist ein bisschen surreal. Als ich rübergekommen bin, dachte ich: Für koreanischen Baseball interessieren sich eigentlich nur die Südkoreaner. Jetzt guckt uns die ganze Welt zu", sagt Altherr. Besonders in Amerika, wo die Baseballliga MLB am 26. März hätte starten sollen, stößt die KBO auf Interesse. Der Fernsehsender CBS veröffentlichte einen KBO-Fan-Guide, der Sportkanal ESPN überträgt sechs Spiele pro Woche live. Amerikas Volkssportart ist zurück, nur eben in einem anderen Land.

Laut der Webseite The Athletic erlebte die USA in diesem Jahr den ersten April seit 1883 ohne organisierten Baseball-Ligabetrieb. Selbst der wichtigste Virologe des Landes, Anthony Fauci, vermisst den Sport: Er erklärte vor kurzem, dass er sich nirgendwo besser entspannen könne als im Stadion. Die KBO könnte nun für ein wenig Ablenkung sorgen - und nebenbei der Welt zeigen, wie professioneller Spielbetrieb und Eindämmung des Coronavirus zu vereinbaren sind. Wer sich in Nordamerika noch vor Sonnenaufgang einen Wecker stellt, kann also einen kleinen Blick in die sportliche Zukunft werfen, so wie Altherrs Eltern. "Die haben schon einige Spiele gesehen, obwohl die teilweise erst um zwei Uhr morgens laufen. Ich weiß nicht, wie sie das machen."

© SZ vom 11.05.2020 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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