Champions League:Picasso auf Botticellis Bühne

Champions League: Meldete sich mit vier Toren aus der Mini-Krise zurück: Lionel Messi.

Meldete sich mit vier Toren aus der Mini-Krise zurück: Lionel Messi.

(Foto: AP)

Messi oder Maradona? Für viele ist das eine Glaubensfrage. Nun tritt Messi in unruhigen Zeiten mit Barcelona in Neapel an - wo sie einst ihren "König Diego" mit Liebe überfluteten.

Von Oliver Meiler, Rom

Die Bühne ist bestellt. Auf der Ehrentribüne haben sie sicherheitshalber einen Platz reserviert, bis zuletzt soll er freigehalten werden, man weiß ja nie. Ein Thron für Diego, auch in Neapel?

Das Stadio San Paolo wird am kommenden Dienstagabend mal wieder voll sein, eine Ewigkeit ist es her, dass das zuletzt der Fall war. Es wird eine würdig große Kulisse sein für das Spiel SSC Napoli gegen den FC Barcelona, Achtelfinale der Champions League - und für viel mehr. Nämlich für die vielleicht abschließende Verhandlung über eine elementare, irgendwie sporthistorische Frage, die zumindest die Argentinier seit geraumer Zeit in ein beinahe metaphysisches Dilemma stürzt.

Die Frage lautet: Diego Maradona oder Lionel Messi? Wer ist größer?

Als man Johan Cruyff, der beide Fußball-Granden persönlich kannte und ebenfalls ein Großer war, einmal fragte, was er von dieser Debatte halte, sagte er, das sei nur Bargeschwätz. Und natürlich hatte er recht. Es ist Unsinn, Größe zu wiegen, gerade wenn es sich um Grandiositäten aus unterschiedlichen Epochen handelt. Doch dieser Unsinn ist unwiderstehlich, in ihm schwingt eine Ode an den Sport.

Messi hätte Gründe, Barça im Sommer zu verlassen. Dass er es tut, glaubt aber niemand

Napoli gegen Barça, Gestern gegen Heute, Maradona gegen Messi - alles im Kopf. Maradona war in den Achtzigern der König von Neapel, Messi hat nun in Barcelona Heldenstatus. Es ist der ewige Wettbewerb zwischen zwei genialischen Linksfüßen mit italienischen Vorfahren, zwischen zwei Herrschaften mit tiefen Körperschwerpunkten und intuitiver Wendigkeit. Ein Kunsthistoriker verglich Messi einmal mit Picasso und Maradona mit Botticelli. Messi dekonstruiere auf dem Rasen das Spiel des Gegners wie Picasso in "Guernica": Wo er vorbeikomme, stehe danach nichts mehr. Maradonas Wege auf dem Platz seien weicher gezeichnet gewesen, seine Drehungen runder, näher am toskanischen Maler. Kubismus versus Renaissance.

Nach der Auslosung kam in Neapel das Gerücht auf, Maradona könnte anreisen zu diesem Spiel, um seinem Erben, so das Bild des Erben denn überhaupt passt, an alter Wirkungsstätte zuzusehen, von der Tribüne aus. Es ist eine Premiere, Messi hat noch nie im San Paolo gespielt. Das neapolitanische Publikum ist als Volksjury geeignet, obwohl es parteiisch ist. Mindestens drei Viertel des Mythos um Maradona entstanden in dieser Schüssel draußen in Fuorigrotta, dem Stadtteil, den sie auf die Campi Flegrei gebaut haben, den Supervulkan.

Die Erinnerungsvideos sind unscharf, die Farben blass, HD war damals nicht mal ein Versprechen. Aber was war das für eine bunte, aufregende Zeit: Zwei Mal wurde Napoli mit Maradona Meister. Es waren die ersten und bisher letzten Titel in der gesamten Vereinsgeschichte, so etwas wie die Emanzipation der Stadt über alle düsteren Mächte aus dem Norden des Landes, in Turin und in Mailand, wo man ja ohnehin nichts anderes im Sinne führt, als Neapel kleinzuhalten. So sehen das die Neapolitaner. Maradona hatte Neapel wieder so groß gemacht, wie es das als Hauptstadt des Königsreichs beider Sizilien einmal war, eine Stadt mit Weltaura.

Impressionen aus Neapel, 2011

Liebe, die den Helden am Ende erdrückte: In der Altstadt von Neapel errichteten Fans einst sogar Altare an Hauswänden für Diego Maradona.

(Foto: Johannes Simon)

Der beste Fußballer jener Zeit, er hatte sich für Neapel entschieden, das allein bescherte ihm einen fixen Platz auf dem Piedestal der Historie. Neapel war nicht gerade Provinz, aber viel fehlte nicht. "Ich wollte ein Haus, sie gaben mir eine Wohnung", sagte Maradona einmal, "ich wollte einen Ferrari, sie gaben mir einen Fiat."

Die Stadt war voller Versuchungen, auch dunkler, Camorra und Drogen - Maradona erlag ihnen. Und die Stadt war voller Liebe für Diego, für "il Dieci", die Zehn, den "Pibe de oro", den Goldjungen. Uferlose Liebe war das. Neapel umarmte ihn, als wäre er einer seiner Söhne, erdrückte ihn, fraß ihn auf. Die Geschichte endete nicht gut, sogar ausgepfiffen haben sie ihn am Schluss. Doch mit den Jahren vergaß man das wieder, die Wehmut nach dem Meistermacher ist so scharf wie HD.

Maradona hatte gewagt, was man Messi nicht zutraut: einen Sprung ins Ungewisse, zu einem Verein, der kleiner war als er; in dem er "in schwacher Gesellschaft" spielte, wie es damals hieß, als hätte man ihm stets nur zweitklassiges Personal zur Seite gestellt, während Barça seinen ganzen Kader immer an Messi orientierte. Von Maradona sagte man, er habe alle um ihn herum besser gemacht, er habe das Team auf seinen Schultern getragen, impulsiv und genial, bei Napoli wie bei der argentinischen Nationalmannschaft.

Es passieren gerade "kuriose Dinge", wie Messi es nennt

Messi dagegen, so sagen es die Maradonistas, gebreche es an Leaderqualitäten, die Mitspieler seien nur da, um ihn besser zu machen. Auch jetzt glaubt niemand ernsthaft, dass Messi den FC Barcelona verlassen könnte - im Sommer, mit 33 Jahren. Sein Vertrag läuft 2021 aus. Doch in einer Klausel hatte er sich ausbedungen, dass er schon diesen Sommer gehen dürfte, wenn er wollte, und zwar ablösefrei.

Gründe gäbe es dafür schon, es passieren gerade "kuriose Dinge", wie Messi es nennt. Nach der Entlassung von Trainer Ernesto Valverde im Januar legte sich Eric Abidal, der Sportdirektor, frontal mit der Mannschaft an. Die Lustlosigkeit in der "Umkleidekabine" habe dazu beigetragen, dass Valverde gefeuert worden sei, behauptete Abidal. Im verklausulierten Jargon bei Barça steht "vestuario", die Kabine, in aller Regel als Synonym für Messi - namentlich würde man ihn aber nicht kritisieren wollen, das grenzte an Majestätsbeleidigung. Messi antwortete Abidal auf Instagram, in aller Öffentlichkeit, scharf wie nie.

Abidal, ließ er ausrichten, möge die Spieler, die er meine, doch bitte schön beim Namen nennen, denn so bekämen alle Schlamm ab. Oder anders: Leg dich mit mir an, wenn du den Mut dazu hast!

Der Streit hat eine Vorgeschichte. Messi ist unglücklich mit fast allen Transfers des Vereins in der jüngeren Vergangenheit: Coutinho und Ousmane Dembélé - keiner von beiden war als Mitspieler seine Wahl. Im vergangenen Sommer pochte Messi darauf, dass man Neymar aus Paris zurückholt, stattdessen verpflichtete der Klub den Konterstürmer Antoine Griezmann, mit dem er noch immer fremdelt. Als sich nun Luis Suárez verletzte, Messis Freund und Sturmpartner, unterließ es der Klub, im Winter adäquaten Ersatz zu holen.

Und als ob das nicht schon reichte, liegt über allem der große Schatten der baldigen Präsidentschaftswahlen. Bei Barça ist es ja so, dass die Mitglieder des Vereins den Präsidenten wählen. Im nächsten Jahr ist es wieder so weit, sofern Can Barça, das Haus Barça, unter den Wirren und Intrigen nicht vorher einstürzt und die Wahlen vorgezogen werden müssen.

Eine Affäre, die die katalanische Presse "Barça-Gate" nennt

Die Klubspitze um Josep Maria Bartomeu soll versucht haben, mit einer orchestrierten Kampagne in sozialen Medien für eine Million Euro die interne Gegnerschaft um den früheren, nun rückkehrwilligen Präsidenten Joan Laporta schlechtzumachen. Auch Pep Guardiola und Xavi Hernández wurden übel angegangen, zwei Legenden des Vereins. Und eben: Messi.

Die katalanische Presse nennt die Affäre "Barça-Gate". Bartomeu dementiert, aber so richtig glauben mag ihm niemand. Der Präsident gegen seinen wichtigsten Angestellten, das ist kurios. Es gäbe genügend Großklubs in Europa, die sich Messis Salär leisten könnten. Manchester United, Paris, Liverpool, Juventus, auch Inter Mailand, Man City dagegen eher nicht. 50 Millionen Euro wären nötig, netto.

Aber will Messi jemals weg aus Barcelona, genauer: aus Castelldefels? So heißt der kleine Küstenort im Süden der Stadt, in dem die ganze Familie wohnt, seine Freunde, Suárez ist sein Nachbar. Das ist Messis Welt, da lassen sie den scheuen Mann mit den vielen Trophäen und Auszeichnungen in Ruhe. Er geht da in Restaurants, wo auch Leute essen, die nicht Millionen verdienen. In Neapel zum Beispiel wäre das unvorstellbar.

Messi oder Maradona?

Hätte Messi auch mal mit Argentinien was gewonnen, wenigstens eine Copa América, man würde sich vielleicht auf ein Remis einigen. Aber mit der Albiceleste gewann er nichts, das ist sein größtes Manko. Die bösen Kritiker in der Heimat sagen, Messi sei schon so lange weg, dass er gar kein richtiger Argentinier mehr sei, er singe nicht mal die Hymne mit vor Länderspielen. Ein Katalane sei er geworden, nach und nach.

Doch das Gegenteil ist wahr: Messi ist verblüffenderweise in all den Jahren Argentinier geblieben, durch und durch. Ramon Besa, der in der Madrider Zeitung El País über Barça schreibt, sagte mal: "Er lebt und redet wie ein Rosarino." Wie jemand aus Rosario, Messis Geburtsstadt. Wenn ihm hingegen mal ein "Visca el Barça, visca Catalunya!" - ein Hoch auf Barça, ein Hoch auf Katalonien - entfährt, dann ist das nur dem Zeremoniell geschuldet.

Messi oder Maradona? Jorge Valdano sagte mal: "Messi ist Maradona jeden Tag." Das Außergewöhnliche sei bei ihm normal, Alltag, das ist wohl das größte Kompliment. Heute ist das Spiel auch viel schneller als zu Zeiten Maradonas. Die Verteidiger sind besser geworden, sie stehen den Stars nicht mehr nur auf den Knochen herum, wie das Claudio Gentile und Andoni Goikoetxea damals taten.

Sogar englische Abwehrspieler sind besser geworden. Ein Solo, wie es Maradona gegen England bei der WM 1986 gelang? Es wäre so, auf diesem Niveau, wohl nicht mehr möglich. Unmöglich wäre aber vor allem die andere berühmte Szene aus dem Spiel im Aztekenstadion, die ihm zur Verklärung verhalf, zum Status des Nationalheiligen: das Tor mit der Hand, der "Mano de Dios". Selbst die Schmach aus dem Falklandkrieg war weg, ausgewetzt, dank Maradona und seiner göttlichen Hand. Es war die Revanche am Empire, nicht weniger. Aber wie wäre die Szene heute?

Der Schiedsrichter würde zum Bildschirm am Spielfeldrand schreiten, die Sequenz studieren, die Hände an den Hüften, dann zurückjoggen, stehen bleiben, mit den Händen ein Rechteck in den Himmel zeichnen - und das Tor annullieren.

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