Süddeutsche Zeitung

Barcelona gegen Real:Sehnen nach Pep und Mou

Der FC Barcelona und Real Madrid präsentieren sich beim ersten Clásico dieser Saison so uninspiriert, dass das Publikum wehmütig an die aufregenden Zeiten mit den Trainern Guardiola und Mourinho zurückdenkt. Allein Barças Neymar erreicht die Vorstufe zur Seligsprechung.

Von Oliver Meiler, Barcelona

Im Fußball ist es wie im Theater: Vieles hängt vom Drehbuch ab, vom Plot, den ihm die Trainer auf der Regiebank geben. Im Clásico, dem großen Welttheaterstück dieses Sports, dem fußballerischen und immer auch politischen Kräftemessen zwischen dem FC Barcelona und Real Madrid, den beiden umsatzstärksten Vereinen der Erde, gibt es nur das dramatische Genre, die schnelle und schockartige Phrasierung. Komödie passt schlecht zum Kampf um die Hegemonie. Dafür leben die beiden Städte dieses Spiel auch mit allzu überdrehten Emotionen.

Und doch war beim ersten Clásico der neuen Saison, den Barça am Samstagabend in einem schier tropisch feuchten Ambiente im Camp Nou 2:1 gewann, alles etwas anders. Matt und flau, so gar nicht dramatisch. Im Publikum kam man nicht umhin, den Zeiten nachzuhängen, als die beiden Regisseure noch Pep Guardiola und José Mourinho hießen, zwei wandelnde Antagonisten in Stil und Spiel. Damals wurden die ersten polemischen Szenen schon Tage, ja Wochen vor dem Clásico in den Medien aufgeführt. Und die Spannung legte sich erst Tage, ja Wochen danach, wenn überhaupt, im stets unterhaltsamen Epilog "Pep" gegen "Mou".

Nun stehen an der Außenlinie zwei Männer, denen man einen Hang zum Phlegma nachsagt und die sich selbst dann noch höflich ausdrücken, wenn ein Gefühlsausbruch durchaus angebracht wäre: Gerardo "Tata" Martino, 50 Jahre alt, Barcelonas neuer Trainer aus Argentinien, früher Coach von Paraguays Nationalelf und von Newell's Old Boys; und der 54 Jahre alte Norditaliener Carlo "Carletto" Ancelotti, ehemals Übungsleiter beim AC Mailand, beim FC Chelsea und bei Paris Saint-Germain. Nach zehn Spieltagen suchen beide noch immer nach den richtigen Akteuren für einen ansprechenden Plot.

Von Martino erwartet man, dass er das mittlerweile etwas routinemäßig abgespulte Barça-System auffrischt, ihm eine Dosis Unberechenbarkeit injiziert. Gelungen ist das noch nicht. Er lässt zwar rotieren, wechselt auch mal Lionel Messi aus, trägt den Seinen mehr Vertikalität und eine schnellere Schussabgabe auf. Revolutionäres ist aber nicht passiert. Noch immer spielt Barcelona viel mehr seitwärts als vorwärts.

Nach dem Clásico sagte Martino mit erfrischender Selbstkritik: "Mein Einfluss auf das Team ist noch immer minimal. Ich muss mehr nachdenken, mich mehr einmischen." Es war wieder keine überzeugende Vorstellung von Barça. Kürzlich, als die ersten Kritiken laut wurden, sagte Martino mit einer Spitze Sarkasmus: "Mit mir ist man weniger nett, weil ich weder Holländer noch Katalane bin." Es war eine Anspielung auf die Spielkulturen, die den Verein in den vergangenen Jahrzehnten prägten.

Wenn Barcelona dennoch mit nur zwei Verlustpunkten und unbesiegt an der Tabellenspitze steht, nunmehr sechs Punkte vor Real Madrid, dann nur deshalb, weil das Alte oft noch immer gut genug ist und manche Spieler den Ideenmangel wenn nötig mit ihrer individuellen Klasse kompensieren. Im Clásico war das der brasilianische Zugang Neymar, der zwar seit seiner Übersiedlung nach Europa bei Körperkontakt ungebührlich oft theatralisch hinfällt, zuweilen aber auch für viel Alarm sorgt auf seiner linken Außenbahn, Gegner schwindelig dribbelt und erfreulich stark zur Mitte drängt.

Nach seinem Tor zum 1:0 (18.) gehört er jetzt zum erlauchten Kreis jener, die schon in ihrem ersten Clásico Zählbares geliefert haben, eine Vorstufe zur Seligsprechung. Vor allem aber machte Neymar die gefühlte Abwesenheit von Messi wett. Der stand zwar 93 Minuten lang auf dem Platz, wirkte aber müde und angeschlagen, vielleicht sogar lustlos.

Auch Ancelotti bräuchte dringend eine Alternative zu seinem Superstar, zu Cristiano Ronaldo eben, wenn der mal nicht trifft. Man glaubte, der teure Neue, Gareth Bale, könnte die Rolle spielen. Im Clásico stand er in der Startauswahl, gehörte zu den meistfotografierten Spielern beim Warmlaufen. Und wurde dann 60 Minuten lang, bis zu seiner Auswechslung, kaum noch gesehen. Bale und Ronaldo, die beide am liebsten links stürmen, wechselten ständig die Positionen, traten sich dabei aber oft auf die Füße.

Es mutete zuweilen tragikomisch an, wie sich die beiden Ausnahmekönner auf dem Rasen verloren. Ancelotti hätte Bale wohl gar nicht erst von Beginn spielen lassen, wenn nicht die "Politik" mächtig darauf gedrängt hätte, wie es die Spanier in solchen Fällen sagen: der Präsident also. Florentino Pérez wollte diesen Bale um jeden Preis und will ihn nun präsentieren können. Es geht auch um Marketing, um die Strahlkraft Reals in der Welt.

Lässt sich Ancelotti fremdsteuern? Er hatte es schon an seinen früheren Stationen mit schwierigen, mitbestimmenden Präsidenten zu tun gehabt: mit Silvio Berlusconi bei Milan, mit Roman Abramowitsch bei Chelsea. Und er war als "Pacificador" nach Madrid geholt worden, als "Friedensstifter". Er sollte die Risse kitten, die Mourinho geöffnet hatte: mit den Fans, den Stars, dem Präsidenten. Doch nun fragt man sich, ob er sich nicht zu sehr dem Gusto von Pérez beugt. Sogar bei der Wahl der Akteure, wider seine sportlichen Pläne.

Ancelotti versucht nämlich, das klassische Konterspiel aus Zeiten mit Mourinho zu entschleunigen, predigt mehr Ballbesitz, eine Nuance mehr Barça. Doch es fehlen ihm die geduldigen Passspieler dafür. Seit dem Verkauf von Mesut Özil fehlt auch die Brücke in die Sturmspitze. Im Clásico stellte Ancelotti gleich drei Innenverteidiger auf. Sergio Ramos beorderte er aus der Abwehr ins Mittelfeld, wo mit Sami Khedira schon einer agierte, dem das Feinmotorische abgeht. Es war eine offensichtliche Fehlentscheidung, die der Trainer in der zweiten Halbzeit korrigierte. Eine Zeitung schrieb: "Ancelotti macht Real klein." Schlimmer geht's kaum. Das Madrider Blatt Marca titelte am Sonntag: "Real war ängstlich." Und das geht gar nicht gegen den Erzrivalen. Man könnte hinzufügen: verwirrt, orientierungslos, ohne Regie.

Auf der Pressekonferenz beklagte sich Ancelotti dann über einen Rempler von Mascherano gegen Ronaldo, einen satten und womöglich ahndungswürdigen Schulterstoß im Strafraum - "muy, muy, muy claro" sei der Penalty da gewesen. Alle hätten es gesehen, nur der Schiedsrichter nicht. Ramos fügte noch an, das sei nun mal immer so in Barcelona, die alte Geschichte. Und plötzlich war es wieder ein bisschen so, wie es früher immer war. Mit "Mou" und "Pep", das ganze Theater.

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Quelle:
SZ vom 28.10.2013
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