Barça kommt nach Leverkusen:Gehirnwäsche vor dem Achtelfinale

Der FC Barcelona hat zuletzt alles gewonnen, was zu gewinnen war. Das hat nun Folgen: Die Sehnsucht nach Pokalen ist nicht mehr so exzessiv wie bei Real Madrid. In der Stadt verbreitet sich vor dem Champions-League-Achtelfinale gegen Leverkusen eine defätistische Stimmung.

Javier Cáceres

Das Schöne am Fußball ist, dass es immer weiter geht. Dass es immer ein Spiel, einen Wettbewerb gibt, in dem ein Klub sich für vorherige Fehlleistungen trösten kann. Und diese Art der simplen Blick-nach-vorne-Therapie soll nun sogar dem FC Barcelona helfen. "Diese Champions League darf uns nicht entwischen", soll Trainer Pep Guardiola am Sonntag seinen Spielern zugerufen haben: "Jetzt ist der Zeitpunkt gekommen, zu zeigen, warum ihr so groß seid."

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Am Boden: Auch Lionel Messi ist derzeit nicht dort, wo er sich gerne sehen würde.

(Foto: AFP)

Ja, warum eigentlich? Die immer noch unbestrittene Größe des Klubs lässt sich jedenfalls aus der spanischen Tabelle derzeit nicht ableiten. Denn durch die 2:3-Niederlage am Samstag bei CA Osasuna, einem Stadtteilklub aus Pamplona, hat der FC Barcelona vor seinem Champions-League-Gastspiel bei Bayer Leverkusen an diesem Dienstag die spanische Meisterschaft wohl schon an Real Madrid verloren.

Auf zehn Punkte ist der Abstand zum Erzrivalen angewachsen, und es sieht nicht danach aus, als sei da noch viel aufzuholen. Die momentane Erhabenheit über jeden Zweifel war Real am Sonntagabend wieder anzusehen: Obwohl der Rekordmeister im Heimspiel gegen Levante früh in Rückstand geriet, stand der von einem wieder brillanten Mesut Özil dirigierte Sieg (4:2) zu keinem Zeitpunkt in Frage. Zudem spricht die Statistik eine deutliche Sprache: Noch nie hat eine Mannschaft in der 1929 gegründeten Primera División eine Meisterschaft verspielt, wenn sie den Tabellenzweiten auf zehn Punkte distanzieren konnte.

Derlei einheimische Fußball-Folklore war das Thema, als Barças Sportdirektor Andoni Zubizarreta am Montagvormittag vor dem Abflug nach Deutschland von den Medien nach dem Befinden konsultiert wurde - nicht das Achtelfinal-Hinspiel in Leverkusen. "Wenn Real den Rhythmus aufrechterhalten sollte, werden sie diese Meisterschaft gewinnen", sagte Zubizarreta. Die Tabellenlage müsse jetzt jedoch raus aus den Köpfen: "Jetzt geht es darum, sich (für die Champions League) neu zu rüsten. Die Meisterschaft darf uns nicht belasten."

Wie wichtig diese Art der Gehirnwäsche jetzt wird, belegt ein Blick in den Almanach. Der FC Barcelona konnte den europäischen Königswettbewerb bislang nur dann gewinnen (1992, 2006, 2009, 2011), wenn gleichzeitig die spanische Meisterschaft gewonnen wurde. Zudem ist es Barcelona zuletzt schwer gefallen, in Achtelfinalspielen der Champions League zu überzeugen. Und der Standort Deutschland flößt zusätzlichen Respekt ein: Der dürftige Auftritt in Stuttgart vor zwei Jahren ist nicht vergessen. Das Hinspiel endete 1:1, in Barcelona aber dominierten die Katalanen dann mit 4:0.

Dennoch dürfte es sich für die brillanteste Mannschaft der letzten Jahre nur gut treffen, dass sie sich in fernen Gefilden therapieren darf - und nicht zuerst daheim auftreten muss. Kaum eine Stadt reagiert stimmungsmäßig so intensiv auf die Resultate einer Fußballelf wie Barcelona, und umgekehrt reagiert kaum eine Mannschaft so sensibel auf das Ambiente, das sie umgibt. Zurzeit weht durch Barcelona ein solcher Hauch des längst überwunden geglaubten Defätismus, dass ein Marsmensch bei einer Landung auf dem Planeten Erde den Eindruck gewinnen müsste, Barça stecke seit Jahren in der Krise und habe nicht etwa 13 der letzten 16 Wettbewerbe gewonnen, an denen die Elf teilgenommen hat.

Die Prominenz schwächelt

Es scheint nicht nur in Vergessenheit zu geraten, dass die Mannschaft soeben das Pokalfinale (Ende Mai gegen Bilbao) erreicht, in der Champions League die Gruppenphase souverän überstanden und seit dem vergangenen Sommer drei Titel gewonnen hat: den europäischen Supercup, den spanischen Supercup und den Weltpokal. Sondern auch, dass sie den Fußball auf eine neue Entwicklungsstufe gehoben hat. Der Trainer Pep Guardiola wurde sogar dafür kritisiert, dass er am Samstag auf gefrorenem Geläuf nicht nur die gerade genesenen Xavi und Iniesta, die Motoren von Spaniens Weltmeisterelf von 2010, sondern auch Cesc Fàbregas für Leverkusen schonte - sowie in Sergi Roberto einen Debütanten ins Feld schickte.

Es spricht viel dafür, dass im exzessiven Erfolg der vergangenen Jahre einige Gründe für die gegenwärtige Baisse zu suchen sind. Zwar ist die Sehnsucht nach Pokalen nicht aus der Mannschaft gewichen, doch die Dringlichkeit früherer Jahre scheint gesättigt zu sein. Schließlich ist die Sammlung komplett. Alles, was jetzt kommt, ist Wiederholung.

So ist es denn auch kein Zufall, dass Guardiola für die Partie in Leverkusen fünf Spieler aktiviert, die eigentlich in der zweiten Mannschaft spielen. Der Trainer will den inneren Konkurrenzdruck erhöhen. Am Sonntag gegen Osasuna zählten Nachwuchsspieler wie Cuenca oder Tello zu den besten. Hingegen standen die Namen der Prominenz - etwa die Innenverteidiger Gérard Piqué und Carles Puyol - auf der Liste der Enttäuschungen. Wenn Puyol auf dem Rasen stand, hatte Barça zuvor 57 Spiele nicht verloren. Nun bezeichnete er die erste Halbzeit als "die schlechteste", an die er sich erinnere. Und das lag durchaus auch an ihm selbst.

Dass die Spieler mentale Abnutzungserscheinungen zeigen, ist nachvollziehbar. José Mourinho, der Trainer von Real Madrid, hat den emotionalen Stress seit anderthalb Jahren in bislang nicht gekannte Extreme gesteigert. Gleichzeitig hat er der eigenen Elf eine derart bestialische Wettbewerbsstärke (58 von 66 möglichen Punkten) vermittelt, dass sich Barcelona nicht die geringste Fehlerquote hätte erlauben dürfen.

Doch Patzer ergaben sich vor allem auswärts, dort holte Barça nur 17 von 33 Punkten; Lionel Messi hat nur vier Auswärtstreffer vorzuweisen, drei davon stammen aus einem Spiel. "Wir sind keine Maschinen, die man ein- und ausschaltet", sagt Puyol. Zumal Barcelona mit Personalproblemen zu kämpfen hat. Kaum eine Woche verging ohne Muskelverletzungen; bei Stürmer David Villa brach vor Wochen das Schien- und das Wadenbein.

Derweil trägt die permanente Schiedsrichter-Kritik Mourinhos insofern Früchte, als die Referees eingeschüchtert wirken. Zumindest irren sie sich in dieser Saison weit häufiger zu Ungunsten Barcelonas (und zu Gunsten Madrids) als noch vor Jahresfrist. Es hat sich viel angesammelt in Barcelona. Für all das soll nun Leverkusen büßen.

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