Balotelli-Wechsel nach Liverpool:Abschied vom Störenfried

Balotelli-Wechsel nach Liverpool: Mal glamouröser Superstar, mal zu Unrecht Verfemter, dazwischen gibt es nichts: Mario Balotelli.

Mal glamouröser Superstar, mal zu Unrecht Verfemter, dazwischen gibt es nichts: Mario Balotelli.

(Foto: AFP)

Erleichtert nimmt der AC Mailand den Wechsel von Mario Balotelli zum FC Liverpool zur Kenntnis. Der exzentrische Stürmer war zuletzt im Klub und im Nationalteam isoliert. Auf Balotellis neuen Trainer Brendan Rodgers kommt nun eine gewaltige Aufgabe zu.

Von Birgit Schönau

Eisig wäre schwer untertrieben: "Wir verlieren einen großen Spieler - aber wir gewinnen an Teamgeist und an Motivation." So sprach Filippo Inzaghi, der neue Trainer des AC Mailand, zum Abschied von Mario Balotelli, der nun zum FC Liverpool weiterzieht.

Inzaghi, 41, war einst einer der bekanntesten und gefürchtetsten Stürmer Europas, für Juventus Turin, Milan und die Nationalelf erzielte er Treffer wie am Fließband. Seine Finten und Schwalben waren berüchtigt, allseits bewundert seine Präzision und die Fähigkeit, traumwandlerisch sicher an der Abseitslinie zu tänzeln.

Inzaghi schaffte es nach Jahrzehnten, den Europapokal-Torrekord von Gerd Müller zu übertreffen, bis heute steht er hinter dem Spanier Raúl an zweiter Stelle. Allein in der Champions League, die er zweimal gewann, hat der dürre Norditaliener mit den vogelgleichen Gesichtszügen 50 Tore erzielt. Inzaghi ist ein Monument. Aber eine Diva war er nie - im Unterschied zu Mario Balotelli.

Bei Milan war Balotelli, 24, im Januar 2013 quasi in den Fußstapfen des Vorbilds Inzaghi angetreten. Klubpräsident Silvio Berlusconi hatte ihn für 20 Millionen Euro von Manchester City erworben. Der schillernde Exzentriker Balotelli sollte als angeblich größtes Angriffstalent seiner Generation Fans und Wähler gleichermaßen beglücken. Doch Berlusconis Rechnung ging nicht auf. Zwar lieferte Balotelli in anderthalb Jahren 29 Tore, aber sich bei Milan zu integrieren, das schaffte er nie. Bald stand er auf verlorenem Posten. Zunächst hatte es für Milan noch zu Platz drei gereicht, doch zuletzt folgte eine desaströse Saison: Platz sieben, erstmals seit Menschengedenken Ausschluss vom Europapokal.

Große Aufbauarbeit für kleines Geld

Während der Traditionsklub nach unten trudelte, sammelte Berlusconis Partei eine Wahlschlappe nach der nächsten. Als verurteilter Steuerbetrüger leistet der Präsident inzwischen Sozialstunden bei Demenzkranken, voraussichtlich bis zum kommenden Frühjahr ist Berlusconi kein freier Mann. Abends muss er zu Hause sein, zu Milan-Auswärtsspielen darf er erst gar nicht reisen. Die Mannschaft wurde dem getreuen Inzaghi übergeben, der für kleines Geld nun große Aufbauarbeit leisten soll.

Schnell war klar, dass dazu Balotelli gehen müsste. Nicht nur, weil der Stürmer als Einziger im Team die dringend benötigten Millionen in die Klubkasse bringen konnte - am Ende blieb Liverpool weit unter dem von Berlusconi avisierten Preis; Balotelli brachte nur seinen Einkaufspreis von 20 Millionen wieder ein, plus-minus-null also. Viel wichtiger jedoch ist etwas anderes, das Inzaghi auf den Punkt gebracht hat: Der ewige Störenfried ist weg, das Team atmet auf. "Wenn ein Spieler geht", so Inzaghi, "heißt das, dass sich alle Seiten auf den Wechsel geeinigt haben."

Nicht nur Milan, halb Italien zeigt sich erleichtert. Denn wenn Balotelli nicht mehr in der Serie A spielt, kann ihn auch der neue Nationaltrainer Antonio Conte leichter übersehen. Soll sich lieber der Kollege Brendan Rodgers in Liverpool künftig mit Balotelli mühen, der als würdiger Ersatz für Luis Suárez (zum FC Barcelona) geholt wurde. Nach seiner Ankunft in England sah Balotelli übrigens gleich mal als Tribünengast, wie sein neuer Klub Liverpool das Ligaspitzenspiel bei seinem Ex-Verein Manchester City 1:3 verlor.

Suarez' WM-Beißattacke gegen den Italiener Giorgio Chiellini war ja eine Schlüsselepisode bei der katastrophalen WM-Vorstellung der Azzurri. Für das frühe Aus nach der Gruppenphase machten die Italiener vor allem einen ihrer Spieler verantwortlich: Mario Balotelli.

"Balotelli lebt in einer Art virtueller Parallelwelt"

Beim Auftaktspiel gegen England war der Stürmer noch für sein Siegtor zum 2:1 bejubelt worden. Doch danach kam nicht mehr viel von Italien und vor allem von Balotelli, dessen demonstrative Lustlosigkeit und Präpotenz schließlich einen Eklat provozierten. Nach dem demütigenden Vorrunden-Aus kanzelte Kapitän Gianluigi Buffon den Jüngeren ab: "Es ging hier nicht um das, was einer hier leisten möchte oder irgendwann leisten könnte." Bei der Abschiedsfeier für Andrea Pirlo glänzte Balotelli durch Abwesenheit, den Rückflug verbrachte er isoliert von den Teamkollegen, ganz allein in der letzten Sitzreihe.

"Mario ist ein Spieler, der sich von seinen Launen treiben lässt", urteilte der nach der WM gegangene Nationaltrainer Cesare Prandelli über jenen Stürmer, den er bis zuletzt gegen jede Kritik verteidigt hatte. Schließlich hatte Balotelli im Halbfinale der EM 2012 mit zwei Toren Deutschland bezwungen, damals sah Prandelli sich für seine Mühe belohnt. Doch inzwischen ist sein Projekt gescheitert, der Trainer wagt seinen Neuanfang bei Galatasaray Istanbul - und hadert mit seinem einstigen Lieblingsspieler: "Zum Abschied habe ich ihm dringend geraten: Du musst endlich in der Realität ankommen. Balotelli lebt in einer Art virtueller Parallelwelt."

Erst twittern, dann kicken, erst klicken, dann denken. Vom Strand in Brasilien sandte er, noch vor dem ersten WM-Spiel, "Verlobungsfotos" mit seiner neuen Flamme, nach dem unrühmlichen Aus schmollte er im Internet, er sei ein Opfer des Rassismus innerhalb der Squadra.

Kampf gegen den Rassismus in seiner Heimat

Mal glamouröser Superstar, mal zu Unrecht Verfemter, dazwischen gibt es nichts, als Mannschaftsspieler unter vielen hat sich Balotelli noch nie gesehen. Deshalb machte er sich unter den Kollegen stets ebenso unbeliebt wie bei seinen Trainern - mit Roberto Mancini, seinem italienischen Coach bei Manchester City, ist sogar eine Rauferei überliefert. Öffentlich gebissen hat Balotelli aber nachweislich noch niemanden.

"Meine Rückkehr nach Italien war ein Fehler", sagte der frühere Inter-Mailand-Stürmer nun in Liverpool. Da hat Balotelli vermutlich recht. Denn stets hatte Italien zu seinem ersten schwarzen Nationalspieler ein verkrampftes Verhältnis.

Nie war klar, was schwerer wog, Balotellis aufbrausender Charakter oder seine Hautfarbe, und ob man ihm seine Eskapaden vielleicht leichter verziehen hätte, wenn er nicht leiblicher Sohn afrikanischer Einwanderer wäre. Sondern beispielsweise ein Enfant terrible aus der süditalienischen Halbwelt wie Antonio Cassano. So kämpfte Balotelli gegen den Rassismus seiner Heimat, aber auch gegen das schlechte Gewissen Italiens gegenüber einem Talent, das sein Land nie bedingungslos adoptieren wollte. In England dürfte er freier spielen.

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