Süddeutsche Zeitung

Hamburger SV:Der Fall Jatta bekommt einen überdrehten Swing

Der sonst zuweilen wirr agierende HSV tut gut daran, seinen Angestellten Bakery Jatta zu unterstützen, besonders bei unklarer Faktenlage. Die meisten Fans tun das ebenfalls.

Kommentar von Peter Burghardt

Welche Rolle spielt es im großen Weltenlauf, welchen Namen ein Fußballspieler trägt und wie alt er ist? Beim HSV-Profi Bakery Jatta aus Gambia fragt sich das gerade der interessierte Teil des Publikums. Heißt er wirklich Bakery Jatta und ist 21 Jahre alt, kam also 2015 als 17-Jähriger nach Deutschland? So steht es in seinen Papieren. Oder heißt er in Wahrheit Bakary Daffeh, ist schon 23, war bei mehreren afrikanischen Klubs - und bei seiner Ankunft bereits volljährig? Hat also geschwindelt?

Diese Vermutung äußerte zunächst die Sport-Bild, unterlegt mit Fotos und Aussagen früherer Trainer aus Afrika (wobei dem Mutterblatt Bild dann vorübergehend ein Foto des ebenfalls schwarzen HSV-Verteidigers Gideon Jung auf die Seite rutschte). Vor allem aber stellt sich nun diese Frage: Was hätte es zu bedeuten, wenn Bakery Jatta tatsächlich Bakary Daffeh wäre? Das Ende eines Märchens? Nur ein neuer Name auf einem Trikot? Klar, Zweifel konnte jeder haben. Minderjähriger unbegleiteter Geflüchteter, noch nie im Verein gespielt, Reise durch die Wüste und übers Meer, und dann: ein Bundesligavertrag, von dem so viele träumen. Ungewöhnlich, aber warum nicht? Auch beim HSV hielt mancher das Talent aus Afrika für mindestens frühreif, es gab dort anscheinend sogar Hinweise auf eine andere Identität. Ein Berater habe den Klub Ende 2016 darauf hingewiesen, ein HSV-Mitarbeiter habe in einer Mail dann geschrieben, "dass es sich bei dem Spieler tatsächlich um Bakary Daffeh handeln könnte", entnahm der Spiegel nun Dokumenten der Football Leaks. Der HSV recherchierte offenbar nicht wesentlich weiter.

Und jetzt? Jetzt ermitteln der DFB und das Bezirksamt Hamburg-Mitte, das Netz läuft heiß. Bakery Jatta bleibt bei seiner Version, er hat seinen Pass vorgelegt und seine Aufenthaltsgenehmigung. Den Pass soll er 2016 von Bremen aus beantragt haben, er ist gültig. Es wäre seltsam, wenn ein legaler Arbeitnehmer in Deutschland plötzlich seine Existenz beweisen müsste. Beweisen müsste ihm der Rechtsstaat Betrug, doch die Debatte bekam rasch einen überdrehten bis fremdenfeindlichen Swing. Wie üblich, wenn es um Migranten und Klicks geht.

Bakery Jatta hätte auf dem Platz scheitern können wie so viele andere

Natürlich wäre es ein Vergehen, wenn ein junger Mann mit einem gefälschten Pass hantiert hätte. Über die Folgen müssten die Behörden und der Verband befinden. Zu bedenken ist so oder so: Jatta floh, als seine arme Heimat eine Diktatur war. Deutschland führt in Gambia nicht mal eine eigene Botschaft, sondern betreut das westafrikanische Land von Senegal aus. Ohnehin ist eine exakte Kontrolle der globalen Migration unmöglich, auch im irren Großgeschäft Fußball. Wer kann alle Namen und Daten der Branche bezeugen? Inzwischen bezieht der HSV-Stürmer Jatta ein üppiges Gehalt, hat einen Millionenmarktwert und wird von den Zuschauern geliebt. Berater hatte er schon vor seiner Unterschrift, Berater kleben an hoffnungsvollen Spielern.

Dennoch ist der Aufstieg Jattas Verdienst. Bakery Jatta hätte auf dem Platz scheitern können wie so viele andere, er kam als Unbekannter. Hatte ihn keiner jener Späher auf der Liste, die den Weltmarkt bis zum letzten Bolzplatz abgrasen? Sonst wäre eine Täuschung wohl rasch aufgeflogen. Gegen Asylregeln hätte Jatta keinesfalls verstoßen, er hat kein Asyl beantragt. Seine Duldung und die Aufenthaltsgenehmigung bekam er erst, als er beim HSV unterschrieb.

Der sonst häufig etwas wirre Hamburger SV tut gut daran, seinen Angestellten Jatta zu unterstützen, besonders bei vorläufig unklarer Faktenlage. Die meisten Fans tun es ebenfalls. Würde der Gambier nicht gut Fußball spielen und hätte er sich in Hamburg nicht bestens integriert, dann wäre er nicht dort, wo er ist.

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SZ vom 10.08.2019
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