Süddeutsche Zeitung

Auswärtstorregel im Fußball:Schade um den schönen Tie-Breaker

Zum ersten Mal seit 1965 wird eine Europapokal-Saison ohne Auswärtstorregel ausgetragen. Der Grund der Torgewichtung wirkte zwar antiquiert - trotzdem war es falsch, sie abzuschaffen.

Kommentar von Martin Schneider

Wahrscheinlich mögen sie im Uefa-Exekutivkomitee Elfmeterschießen. Ist ja auch spannend, jedenfalls als Zuschauer. Als Spieler kann man vermutlich auf diese doch sehr spezielle Drucksituation gut verzichten, man möge bei der englischen Nationalmannschaft nachfragen. Aber das Entscheidungsorgan des europäischen Fußballverbandes hat sich bewusst für mehr Lotterie vom Punkt entschieden, als es im Schatten der Europameisterschaft Ende Juni die Auswärtstorregel für Europapokal-Partien spontan und radikal abräumte.

Die Begründung liest sich auch erst einmal schlüssig und nachvollziehbar. Die Regel, wonach bei Torgleichstand nach Hin- und Rückspiel die Zahl der erzielten Auswärtstore entscheidet, wurde 1965 eingeführt, weil Auswärtsfahrten damals eine recht beschwerliche Angelegenheit waren. Um ein Wiederholungsspiel zu vermeiden (Elfmeterschießen gibt es erst seit 1976), lag es nahe, Teams zu belohnen, die nach den Reisestrapazen mehr Treffer erzielten. Die Belastung hat sich in Zeiten von Erste-Klasse-Flügen freilich geändert.

Aber die Uefa vernachlässigte, dass die Regel der Torgewichtung auch dafür sorgte, dass Spiele meist nicht in die Verlängerung und auch nicht ins Elfmeterschießen gingen. Sondern nur dann, wenn nach Hin- und Rückspiel das Ergebnis identisch war (1:1 und 1:1 oder 2:1 und 2:1). Dementsprechend erzwang sie Entscheidungen in der regulären Spielzeit und damit Entscheidungen durch Fußballspielen statt Elfmeterausführen. Jeder Klub wusste ja vorher, dass Auswärtstore entscheidend sein können und hatte so einen Anreiz, auch in Situationen offensiv zu spielen, in denen man normalerweise nicht offensiv spielt.

Ein einziges Tor konnte alles entscheiden

Zwar ist es richtig, dass der Heimvorteil kleiner wird und vor allem unter Geisterspielen gelitten hat - aber Geisterspiele verschwinden ja irgendwann wieder, und vor Zuschauern zählt der Heimvorteil zu den gesichertsten Größen des Fußballs. Zudem sorgte die Auswärtstorregel dafür, dass ein einziges Tor eine Niederlage in einen Sieg umwandeln konnte und umgekehrt - was im normalen Ligabetrieb unmöglich ist, wo man durch einen Treffer maximal ein Unentschieden erreichen kann.

Die Regel glich zudem einen strukturellen Nachteil aus. Denn wenn ein Spiel in die Verlängerung ging, genoss eine Mannschaft zwar 30 Minuten länger Heimvorteil, die andere Mannschaft aber 30 Minuten lang länger den Vorteil der Auswärtstorregel. Das fällt nun weg. Wer das Rückspiel zu Hause hat, hat jetzt einen signifikanten Vorteil. So erging es der AS Monaco und Trainer Niko Kovac gerade in der Qualifikation gegen Schachtjor Donezk - nach der alten Regel wäre Monaco weiter gewesen, so kassierte es auswärts in der Verlängerung noch den Ausgleich.

Die Gretchen-Frage ist: Welches System hätte ich gern, um ein Unentschieden aufzubrechen? Was ist mein Lieblings-Tie-Breaker? Die Uefa hat sich für Verlängerung und Elfmeterschießen entschieden, und wer oft Fußball schaut, der weiß, dass Verlängerungen mit sehr müden Fußballern spielerisch einen meist überschaubaren Wert haben. Elfmeterschießen sind natürlich spannend. Aber genauso spannend war eine Schlussphase, in der ein Tor alles ändern konnte.

Bestens informiert mit SZ Plus – 4 Wochen kostenlos zur Probe lesen. Jetzt bestellen unter: www.sz.de/szplus-testen

URL:
www.sz.de/1.5392853
Copyright:
Süddeutsche Zeitung Digitale Medien GmbH / Süddeutsche Zeitung GmbH
Quelle:
SZ/ska/bkl
Jegliche Veröffentlichung und nicht-private Nutzung exklusiv über Süddeutsche Zeitung Content. Bitte senden Sie Ihre Nutzungsanfrage an syndication@sueddeutsche.de.