Süddeutsche Zeitung

Zverev-Aus bei den Australian Open:"Ich habe noch kein richtiges Gefühl für das Spiel"

Alexander Zverev verabschiedet sich in der zweiten Runde der Australian Open, bleibt aber nach seiner langen Verletzungspause realistisch. Durch sein Aus hat der Deutsche Tennis-Bund nur noch eine Vertreterin im Turnier.

Von Gerald Kleffmann, Melbourne

Alexander Zverev ging bei 2:2 im zweiten Satz und 0:15 an die Grundlinie, er, der Aufschläger, ließ sich einen Ball von einem Ballkind zuwerfen, als er etwas spürte. Er fasste sich auf den Kopf. Er blickte verwundert. Er rührte noch mal durch die Haare, und da begriff er: Ein Vogel hatte ihm etwas aufs Haupt fallen lassen. Er schritt zurück zu seiner Bank, wischte sich mit einem Handtuch die Stelle sauber, dann spielte er weiter.

Natürlich hätte er danach dieses Match gegen den Amerikaner Michael Mmoh, dessen muskulöser Körper an den eines Zehnkämpfers erinnert, gewinnen können. Den ersten Satz hatte Zverev ja schon dank eines furiosen 7:1 im Tie-Break mit 7:6 an sich gerissen. Dann wäre jene Szene mit dem Vogel eine nette Anekdote gewesen, mehr nicht. Doch wie das so ist, wenn sich die Dinge etwas tragischer entwickeln, so erhielt dieser nicht ganz appetitliche Moment im Nachhinein den berühmten Symbolcharakter, im Sinne von: auch das noch! Ja, für Zverev lief an diesem Donnerstagnachmittag bei den Australian Open einiges schief. Das Grand-Slam-Turnier geht ohne den 25 Jahre alten Deutschen in der dritten Runde weiter.

Zverev nahm die 7:6 (1), 4:6, 3:6, 2:6-Niederlage gefasst auf, "er hat seine Sachen sehr gut gemacht", zollte er Mmoh Respekt, der seinerseits eine herrliche Siegergeschichte mitbringt. In der Qualifikation war der ebenfalls 25-Jährige schon ausgeschieden und quasi schon beim Packen für den Heimflug, als er einen Anruf erhielt. Als Lucky Loser könne er doch noch im Hauptfeld mitmachen. Er gewann seine erste Partie gegen den Franzosen Laurent Lokoli - und rang dann, wie er betonte, "mit dem größten Sieg meiner Karriere", Zverev nieder.

"Das wirkt alles nicht real", sagte Mmoh, völlig verdattert. "Ich sollte ja schon weg sein." Mit Herz und Leidenschaft und Unmengen an Geduld hatte er die Bälle immer wieder erlaufen und zurückgespielt und seine Chancen genutzt. Wobei Zverev in seiner Analyse schon richtiglag, als er meinte, dass er weit von seinem gewünschten Level entfernt sei. Die Australian Open waren schließlich seine erste Grand-Slam-Teilnahme seit seinem fatalen Sturz bei den French Open im vergangenen Juni. "Es war nicht genug, weil ich sieben Monate Pause hatte", sagte er. Er könne sich daher "nicht eine Riesenschuld geben".

"Ich habe Probleme gehabt beim Hochspringen", sagt Zverev

Immerhin, sein rechter Fuß, in dem sieben Bänder gerissen waren und drei operiert werden mussten, hielt der Belastung stand, schon in Runde eins hatte Zverev ja gegen den Peruaner Juan Pablo Varillas über fünf Sätze gehen müssen. Oft ist er streng mit sich selbst, weil seine Ansprüche hoch sind. Diesmal nicht. Diesmal sagte er nachsichtig: "Ich kann nicht von mir selber erwarten, dass ich rausgehe und jede Chance nutze." Zumal auch leichte Oberschenkelprobleme aufgekommen waren, Ende des ersten Satzes. "Ich habe Probleme gehabt beim Hochspringen, was mir die Power beim Aufschlag genommen hat", erklärte er. Eine Ausrede war das nicht für ihn, "am Ende war es von meiner Seite nicht genug", sagte er und bekannte nachvollziehbar: "Ich habe noch kein richtiges Gefühl für das Spiel. Ich habe noch kein richtiges Gefühl, was ich in welchen Situationen machen muss, um ehrlich zu sein."

Konkret sahen seine Defizite so aus: "Ich versuche auf Winner zu gehen, wo ich es nicht brauche. Teilweise spiele ich zu passiv, wo ich vielleicht etwas mehr machen muss. Das ist alles noch so ein bisschen fehl am Platz. Das wird auch noch eine Weile dauern." So gesehen war Zverev auch froh, dass das nächste Grand-Slam-Turnier, die French Open, erst in vier Monaten stattfindet. Er wolle bis dahin viele Matches spielen. "Es liegt harte Arbeit vor mir, um dorthin zurückzukommen, wo ich war", ahnte er.

Laura Siegemund ist die letzte Deutsche im Turnier

Vielleicht können ihm seine Trainer, von denen er gleich drei hat, bis dahin etwas mehr Struktur auf dem Platz mitgeben, manche Entscheidung, die Zverev gewählt hatte, war von außen tatsächlich schwer verständlich. Das erste Break im vierten Satz überreichte er Mmoh mit einem Doppelfehler, bei dem er mit dem zweiten Aufschlag den Ball mit 208 km/h übers Netz drosch. Ein Risiko, das sicher in dem Moment unangemessen war. 57 Winner, also Gewinnschläge, waren zudem zwar respektabel gegen Mmoh, 58 unerzwungene Fehler eher weniger. Seine Vorhand war diesmal die größte Schwachstelle. Rasche Korrekturen wären auch deshalb hilfreich, weil er schon Anfang Februar, das plant er weiterhin, beim deutschen Davis-Cup-Spiel in Trier gegen die Schweiz mitwirken will.

Zverevs Abschneiden rundete das dürftige Ergebnis der deutschen Fraktion sowohl bei den Männern als auch bei den Frauen ab, und wäre Laura Siegemund in ihrem Duell mit der Rumänin Irina-Camelia Begu nicht ein 5:7, 7:5, 6:3-Sieg geglückt, der DTB stünde jetzt sogar ganz ohne Vertreter in der dritten Runde der Einzelkonkurrenz da. "Schade, schade ist das", befand Siegemund, die Veteranin aus Metzingen. "Jetzt bin halt ich noch drin und versuche, das Beste für unser Land rauszuholen." In ihrer kommenden Partie gegen die Französin Caroline Garcia, die Ende 2022 die WTA Finals gewonnen hatte, ist sie allerdings in der Rolle der Außenseiterin, wobei das eine wie Siegemund wenig interessiert. Sie geht in ihrer ganz eigenen schwäbisch-robusten Art ja stets unbeeindruckt in ihre Spiele.

Die vergangenen Tage etwa waren sehr anstrengend für die Profis in Melbourne, die Wetterkapriolen hatten Kraft gekostet. Für Siegemund kein Anlass zum Jammern. "Ja, da muss man ein bisschen die Arschbäckle zusammenkneifen, und dann guckt man, dass man das Ding irgendwie robbt. Und das habe ich gut gemacht." Begu hatte sie genau mit diesem Ansatz am Ende etwas zermürbt. Siegemund hat vielleicht nicht die weltbeste Schlagtechnik, und sie ist auch nicht mehr 22, sondern 34. Aber sie ist hartnäckig, eine Nervensäge, ein "pain in the neck", wie es im Englischen heißt. In der Partie gegen Begu half diese Einstellung mal wieder vortrefflich. "Ich habe defensiv auch gut gearbeitet", sagte sie. "Ich habe Punkte herausgeholt, die kann man auch verlieren." Fest steht für Siegemund, dass sie sich in dieser Saison stärker aufs Doppel konzentrieren will. Aber eine Erkenntnis hat sie, im Einzel auf dem 158. Weltranglistenplatz geführt, trotzdem jetzt in Melbourne für sich bestätigt gesehen: "Ich weiß, dass ich sehr gutes Tennis spielen kann."

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