Australian Open:Zurück auf der Welle

WTA-Tour - Australian Open

Macht wieder einen ziemlich entschlossen Eindruck: Anquelique Kerber bei ihrer Partie gegen Maria Scharapowa.

(Foto: Vincent Thian/dpa)

Angelique Kerber spielt sich in die Rolle der Titel-Favoritin, indem sie Maria Scharapowa zur Statistin degradiert.

Von Gerald Kleffmann, Melbourne

Am Morgen in Melbourne fuhr eine der vielen Trams durch den Central Business District, voll besetzt war sie an diesem Samstag, wie die meisten anderen auch. Die Menschen begannen früh ihre Wochenend-Sightseeing- und Shoppingtouren durch Australiens wunderbar lebhafte Metropole. Eine Frau um die 60 stand mit Freundinnen zusammen, sie unterhielten sich so selbstverständlich über Tennis, als würde es zurzeit kein anderes Thema auf der Welt geben. "Wisst ihr, worauf ich mich richtig freue?", fragte also die Dame, und dann verriet sie es: "Ich will Angelique Kerber unbedingt sehen."

Ob sie später, am Abend, als sich langsam die Sonne verabschiedete im Melbourne Park, tatsächlich in der Rod Laver Arena war oder doch eher vor einem Fernseher saß, ist nicht überliefert. Aber sollte die Dame aus der Tram Kerbers Drittrunden-Partie verfolgt haben, bekam sie großen Sport geboten. Maria Scharapowa wird das bezeugen können. Die Russin hatte die beste Einsicht - auf der anderen Seite des Netzes, unten, auf dem blauen Hartplatz.

Schon nach 64 Minuten ist alles vorbei

6:1, 6:3, 58 Punkte für Kerber, 33 für Scharapowa, sieben unerzwungene Fehler für Kerber, 26 für Scharapowa, insgesamt 64 Minuten Spielzeit - die Einseitigkeit dieses Vergleichs, von dem nicht wenige Beobachter in der Tenniswelt vermutet hatten, es könnte ein hochdramatischer werden, spiegelte sich auch den Zahlen wieder. "Ich habe versucht, den Moment von 2016 mitzunehmen", sagte Kerber später, die damals ja überraschend ihren ersten Grand-Slam-Titel errungen hatte, genau hier in diesem Stadion nahe des Yarra Rivers, in den sie dann auch noch gesprungen war. "Der Platz ist speziell für mich", sagte sie, und so wie sie weitersprach, erinnerte wirklich einiges an die Zeit des Scoops vor zwei Jahren. Sie ist zurück auf der Erfolgswelle.

Kerber hat wieder die Scheuklappen angelegt. Sie schaut nicht links und nicht rechts, was ihr offenbar bestens hilft. An diesem Samstagabend waren ja zwei besondere Aspekte zu ignorieren. Der erste betraf die spezielle Gegnerin. "Ich habe vom ersten Ball an versucht, auch beim Einspielen, mich nur auf mich zu konzentrieren. Ich habe auch nicht auf die andere Seite gesehen." Scharapowa, die im vergangenen Jahr in Melbourne gefehlt hatte aufgrund ihrer 15-monatigen Dopingsperre, kann ja durchaus einschüchternd wirken mit ihrer coolen, oft regungslosen Art und dem stechenden Blick, wenn sie sich im Wettkampfmodus befindet.

Das wahre Drama des Tages liefern Simona Halep und Lauren Davis

Der zweite Aspekt betraf die plötzlich wiedererlangte Favoritenrolle von Kerber. Elf Siege in Serie hatte sie 2018 bislang erzielt, in Perth, Sydney und Melbourne zusammengerechnet. Nun sind es zwölf. "Ich weiß, wie ich das ausblenden kann", versicherte Kerber. Sie zuckte bei dem Wort Turnier-Favorit, als sie es vernahm, tatsächlich kein bisschen zusammen, und sie schaute auch nicht ausweichend, sondern sprach ganz entspannt weiter und sah den Fragestellern direkt in die Augen. "Ich fand immer schon, dass sie eine Selbstvertrauensspielerin ist", sagte Scharapowa, die Kerber zwangsläufig Respekt zollen musste. Vom ersten Moment an lief die Russin hinterher und hatte - aussagekräftig für Kerbers Dominanz - selbst keine Zeit, ihr eigenes aggressives Spiel aufzuziehen. Nur ein einziges Mal führte die 30-Jährige, und das auch nur, wenn man den zweiten Satz eigenständig betrachtet - mit 15:0 im ersten Spiel.

Hochdramatisch im sportlichen Sinne war an diesem nach zwei Hitzetagen deutlich kühleren Samstag ein anderes Spiel auf dem Hauptplatz gewesen: Die an Nummer eins gesetzte Simona Halep erzwang den Einzug ins Achtelfinale mit einem 4:6, 6:4, 15:13 gegen die Amerikanerin Lauren Davis, die drei Matchbälle vergab. Die Partie dauerte 3:44 Stunden, der letzte Satz allein 2:22 Stunden.

All das blieb Kerber erspart. Sie trifft nun in der Runde der letzten 16 in der Nacht am Montag auf Hsieh Su-Wei, gewann gegen die Polin Agnieszka Radwanska 6:2, 7:5. Die Weltranglisten-34. Aus Taiwan spielt Vorhand und Rückhand beidhändig, rennt unermüdlich und variiert pausenlos mit Slice und Topspin. In der zweiten Runde hatte sie so die Wimbledon-Siegerin Garbiñe Muguruza zermürbt. "Ich kann mich immer auf meine Beine verlassen", sagte aber Kerber ihrerseits unerschrocken. Sie muss in diesem Feld niemanden mehr fürchten. Eine erstaunliche Entwicklung nach dem enttäuschenden Jahr 2017 für sie.

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