Süddeutsche Zeitung

Australian Open:Das Einreise-Debakel

Das Vorhaben, 1200 Tennis-Profis und Teammitglieder nach Melbourne einfliegen zu lassen, misslingt. 72 Spieler müssen zwei Wochen lang in Quarantäne - die Veranstalter sind im Krisen-Modus.

Von Gerald Kleffmann

Ein paar lustige Filmchen gibt es auch, immerhin. Der Uruguayer Pablo Cuevas veröffentlichte bei Twitter eine Aufnahme, wie er auf dem Bett steht und einen Surfer imitiert. Die Russinnen Daria Kasatkina und Anastasia Pawljutschenkowa montierten Tennisschläge, die sie jeweils in ihren Hotelzimmern vollführten, bei Tik Tok zusammen - es sah aus, als spielten sie gegeneinander. Für Erheiterung sorgte eine Sequenz, die Julia Putintseva online stellte. Die Kasachin musste ihren Raum mit einer Maus teilen. Nach einigen Stunden erhielt sie eine neue Unterkunft, dieses Problem wurde gelöst. Ansonsten? Sind die Veranstalter der Australian Open und die nationale Politik im Krisen-PR-Modus. Die lange geplante Einreise-Aktion, bei der alle Teilnehmer dieser Mammutveranstaltung unter strengen Auflagen und auf einen Schlag eingeflogen werden sollten, um das Risiko zu minimieren, das Coronavirus einzuschleppen, hat sich zum Debakel entwickelt.

Konfusionen hatte es bereits vor dem Start der ersten Maschine aus Los Angeles am Donnerstag gegeben. Der Amerikaner Tennys Sandgren, zuvor positiv getestet, durfte einsteigen. Nach einem letzten Check war entschieden worden, sein Befund sei Ausläufer einer überstandenen Corona-Infektion. Binnen drei Tagen wurden dann in 17 Charterfliegern mehr als 1200 Profis und Teammitglieder aus sieben Städten nach Melbourne transportiert sowie einige Auserwählte nach Adelaide; dort wurde für die jeweils besten drei Frauen und Männer der Weltrangliste eine eigene, komfortablere Blase organisiert - was, wenig überraschend, eine Debatte zum Thema Vorzugsbehandlung auslöste unter Spielern.

Voraussetzung zum Boarding war für alle ein negativer Test, nicht älter als 72 Stunden. Doch die vorläufige Bilanz am Sonntag glich einem Gau: fünf positive Corona-Fälle wurden nach der Landung ermittelt - drei im Flugzeug aus Los Angeles (Trainer der Kanadierin Bianca Andreescu, ein Crewmitglied, ein Rundfunkmitarbeiter), einer im Flugzeug aus Abu Dhabi (ein nicht genannter Trainer), einer im Flugzeug aus Doha am Sonntag (kein Spieler). Vorerst 72 Spielerinnen und Spieler sind nun in kompletter Quarantäne und dürfen ihr Zimmer nicht mehr verlassen. Auch Angelique Kerber, die 2016 in Melbourne triumphierte, ist unter den isolierten Personen, sie saß im Flieger aus Abu Dhabi. Sie wisse nicht mehr, als dass sie nun 14 Tage in Quarantäne müsse, schrieb sie bei Twitter und wünschte "Good night".

Viele schlagen Softbälle gegen die Wände als Trainingsersatz

Ob alle derzeit gut schlafen, ist zu bezweifeln. Vor allem auf Spielerinnenseite setzte Wehklagen ein. Der Vorwurf: Die Profis seien nicht darüber informiert worden, dass im Falle eines Covid-Falles alle Flug-Insassen in Quarantäne müssten, wie die Schweizerin Belinda Bencic kundtat. Viele waren davon ausgegangen, dass im Falle der Fälle lediglich voneinander getrennte Sitzgruppen in einer Größe von zehn Personen isoliert werden würden. Die Rumänin Sorena Cirstea beklagte ihrerseits den sportlichen Nachteil - "wir können keinen Wettbewerb spielen, nachdem wir 14 Tage auf der Couch geblieben sind", textete sie und konfrontierte Craig Tiley mit seiner Aussage aus dem Oktober; vor den Australian Open finden ja noch kleinere Turniere in Melbourne statt. Demnach hatte Tiley, Turnierdirektor der Australian Open, gesagt, man könne Profis nicht zumuten, nach 14 Tagen Isolation ohne Tennisschlag ein Turnier zu bestreiten. Jene Athleten, die auch nach Ankunft negativ getestet wurden, müssen zwar auch in Quarantäne - sie dürfen aber für fünf Stunden täglich das Hotel verlassen. Sie werden ab diesem Montag, verteilt auf drei Anlagen in Melbourne, auf dem Platz trainieren und in Fitnessräume gehen können.

Tiley betonte am Sonntag, dass am um drei Wochen verschobenen Starttermin der Australian Open am 8. Februar festgehalten werde. Man wolle jene, die derzeit in ihren Zimmern eingesperrt seien, unterstützen und Trainingsgeräte bereitstellen; in Sozialen Medien ist bereits zu sehen, wie Akteure Softbälle gegen Wände schlagen. Tiley bedauerte die Lage, versicherte aber, man hätte vorher allen klar gemacht, "dass es ein Risiko gibt". Damit widersprach der gebürtige Südafrikaner, zugleich Chef des Verbandes Tennis Australia, den Beschwerden Bencics und erhielt auch Unterstützung, etwa von Artem Sitak. Es hätte vor einem Monat ein Telefonat mit Tennis Australia gegeben, äußerte der neuseeländische Doppelspieler bei Twitter. Es hätten nur nicht viele Profis teilgenommen. Dabei sei den Profis mitgeteilt worden, dass es im Falle eines positiven Befundes der australischen Gesundheitsbehörde obliegt, zu entscheiden, ob alle Spieler im Flieger in Quarantäne müssen oder nur eine Fraktion.

Allein für die erste Runde gibt es 100 000 Australische Dollar Preisgeld (63 800 Euro). "Ich war auf dieses Risiko vorbereitet", meinte Sitak und ordnete ein: "Viele Australier können aufgrund der strengen Einreiseregeln nicht einreisen. Wir als Ausländer kämpfen hier bei einem Grand Slam um viel Geld. Wir können immer noch glücklich sein, hier zu sein." Rund 37 000 Australier sollen zurzeit im Ausland festhängen.

Auch die nationale Politik ist deshalb schwer unter Druck geraten: Die für Quarantäne-Angelegenheiten im Bundesstaat Victoria zuständige Behördenchefin Emma Cassar musste sich im Fernsehen erklären, sie versicherte, der Staat achte mit aller Strenge auf die Einhaltung der Sicherheitsregeln. Zwei Spieler sollen bereits unerlaubterweise ihre Zimmer kurz verlassen haben; bis zu 20 000 Australische Dollar drohen als Strafe. Der Weltranglisten-Erste Novak Djokovic setzte sich derweil schriftlich bei Tiley für erleichternde Maßnahmen für die in den Zimmern Isolierten ein, so forderte er etwa, dass jene Profis in private Häuser mit Tennisplatz umquartiert werden sollten.

Als wäre alles nicht schon kompliziert genug, geriet der Serbe selbst in die Kritik. Zum einen zählt er wie Rafael Nadal und Serena Williams zu den wenigen Privilegierten, die in Adelaide mit einem ganzen Tross anreisten und angenehmere Bedingungen vorfinden. Zum anderen wurde er dabei gefilmt, wie er ohne Maske im Bus saß.

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