Tennis:Der Sound der Australian Open

Australian Open

Nick Kyrgios begeistert die Fans im Spiel gegen Ugo Humbert.

(Foto: Asanka Brendon Ratnayake/Reuters)

Das beste Match des bisherigen Grand-Slam-Turniers liefert Nick Kyrgios. So ekstatisch wie beim Sieg des Australiers gegen den Franzosen Ugo Humbert klang Tennis seit Beginn der Pandemie nirgendwo.

Von Gerald Kleffmann

Die letzten Match-Ansetzungen der Night Sessions am Mittwoch sahen vor, dass Alexander Zverev im größten Stadion der Australian Open spielte und gleichzeitig Nick Kyrgios im zweitgrößten. Während dem Duell des deutschen Tennisprofis mit dem amerikanischen Qualifikanten Maxime Cressy höflich klatschende Zuschauer in der Rod Laver Arena beiwohnten, herrschte gut 300 Meter weiter eine völlig andere Atmosphäre. Es war laut, schrill, giftig. Wie beim Catchen sprangen Fans auf, Chöre ertönten, Fahnen wurden geschwenkt. Wenn Kyrgios die zum hundertsten Mal umgetaufte Mehrzweckhalle betritt, die jetzt John Cain Arena heißt, passiert ja immer etwas Außergewöhnliches. Dann sind die Australian Open so, wie sie im Idealzustand aussehen: ein fröhliches, leidenschaftliches Sportfest.

Kyrgios, diese komplexe Persönlichkeit, die mal ausrasten kann, Konflikte nicht scheut (wie seit Langem mit Novak Djokovic), dann wieder die Herzen erwärmt mit seinem spielerischen Talent und sozialen Engagement, kommt dabei in seiner Heimat seit Jahren die Rolle des Local Hero zu. Mit ihm fiebert das Land, nun umso mehr, da er selbst sich aufgrund der Pandemie ein Sabbatical verordnet hatte. Sein letztes Match vor diesem Grand-Slam-Event hatte er im Februar 2020 in Acapulco bestritten. Er hat sich nicht verändert. Mal flirtet er mit dem Publikum, das in Australien in begrenzter Zahl (am Mittwoch kamen 19 900) erlaubt ist, dann ist er der verzweifelte Cowboy (und wagt Alles-oder-nichts-Schläge), später böser Bube (wenn er Stuhlschiedsrichterin Marijana Veljovic anstänkert), Trickser, Kämpfer - und, am Ende, der Held, was seinen zweiten Auftritt bei den Australian Open abrundete. So wie Roger Federer auf den Center Court nach Wimbledon gehört, gehört Kyrgios in diese Arena. Manche Athleten sind für gewisse Orte geboren.

TENNIS AUSTRALIAN OPEN, Nick Kyrgios of Australia celebrates after winning his second Round Men s singles match against

Ergriffen: Nick Kyrgios war nach seinem Sieg sprachlos und ließ minutenlang den Applaus über sich ergehen.

(Foto: Dave Hunt/AAP/Imago)

Dass Alexander Zverev mit einem 7:5, 6:4, 6:3-Sieg gegen Cressy fast schon sachlich in die dritte Runde einzog, wo er auf den unbequemen Franzosen Adrian Mannarino trifft, spricht für seine Weiterentwicklung. Auch wenn seine starken Return-Leistungen gegen den 1,98 Meter großen, aufschlaggewaltigen Amerikaner, der ein exzellenter College-Akteur war, an Tag drei der Australian Open nur eine Fußnote blieben: Effizienzsiege beherrscht er nun auch.

Für Extraschichten waren andere zuständig, etwa der Champion von 2014: Der Schweizer Stan Wawrinka vergab drei Matchbälle gegen den Ungarn Marton Fucsovics und verlor 5:7, 1:6, 6:4, 6:2, 6:7 (9). 3:59 Stunden dauerte dieses Duell. Der Weltranglistenerste Novak Djokovic mühte sich beim 6:3, 6:7 (3), 7:6 (2), 6:3 gegen den tapferen Amerikaner Frances Tiafoe fast genauso lange, aber leicht fiel ihm der Sieg nicht, der Serbe tüftelt noch am richtigen Rhythmusgefühl auf dem diesmal offenbar schneller zu spielenden Hartplatzbelag.

Koepfer war gegen Thiem relativ chancenlos

Zverev könnte schon im Viertelfinale auf den achtmaligen Australian-Open-Gewinner treffen, er ist nun der einzige verbliebene deutsche Mann im Feld. Seine Bauchmuskelverletzung, die ihn zuletzt behinderte, hat sich gebessert, auch wenn er vorsichtshalber mit einem Wärmepflaster agierte. Dominik Koepfer, 26, war gegen Dominic Thiem beim 4:6, 0:6, 2:6 indes recht chancenlos, was ihn zu einer Art Selbstgeißelung veranlasste. "Eine schlechte Körpersprache" habe er gehabt, er sei "sehr negativ auf dem Platz" gewesen, sagte die deutsche Nummer drei enttäuscht. Was ihn vom aktuellen US-Open-Sieger und letztjährigen Melbourne-Finalisten unterschied, konnte er gut erklären: "Er macht alles zwischen den Punkten, um für den nächsten Ballwechsel topfit zu sein", sagte er über Thiem. Selbst habe er hingegen "zu viel Energie" verschwendet beim Frust-Monologisieren. Seit Langem sei das sein Problem.

Tennis: Lautstarke Unterstützung: Nick Kyrgios wurde in der John Cain Arena immer wieder leidenschaftlich von Tennisfans angefeuert.

Lautstarke Unterstützung: Nick Kyrgios wurde in der John Cain Arena immer wieder leidenschaftlich von Tennisfans angefeuert.

(Foto: Hamish Blair/AP)

Wie man sich aus emotionalen Tälern kämpft, kann er sich bei Kyrgios abschauen, der zumindest am Mittwoch in seiner Lieblingshalle - nicht zum ersten Mal - eine verloren geglaubte Partie drehte. Im vierten Satz schlug der Franzose Ugo Humbert bei 5:4 zum Sieg auf, zwei Matchbälle hatte er. Kyrgios, aufgestachelt von den Fans, schaffte mit Mut die Wende, nach dem 5:7, 6:4, 3:6, 7:6 (2), 6:4 war er sprachlos. "Das war eines der verrücktesten Spiele von mir", sagte er. Das will was heißen. Einmal, in Rom, hatte er auf dem Platz einen Stuhl herumgeschleudert.

"So gut wie heute hat Tennis seit Beginn der Pandemie noch nie geklungen", ordnete Jim Courier, der Ex-Champion und Platz-Interviewer, die Stimmung der Australian Open ein, die nur leicht getrübt wurde, als Courier am Mikrofon erzählt, Kyrgios treffe nun auf Thiem als nächsten Gegner. "Ooooooh", riefen da viele. Gut möglich, dass dann das Turnier für den 26-Jährigen aus Canberra vorbei ist. Aber er selbst versprach, wieder alles zu geben. Als er ging, lief Musik aus den Boxen, die auch im Fernsehen zu hören war. "Down Under" sangen Men At Work. Kyrgios hat den Australian Open ihren ganz speziellen Sound zurückgegeben in dieser außergewöhnlichen Zeit.

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