Australian Open:Wie im Dschungelcamp

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Hinter Glas: Tennis-Profis in Hotel-Quarantäne in Melbourne. (Foto: William West/AFP)

Der Tennis-Tross muss sich in Australien den strikten Corona-Regeln fügen. Manche Profis verlieren die Geduld und reklamieren Ausnahmen für sich.

Von Barbara Klimke, Melbourne/München

North Adelaide erstreckt sich hinter der St.-Peter-Kathedrale, ein wohlhabendes Viertel mit idyllischen Straßen, die sich in ein akkurates Raster fügen, mit Villen, Pubs und Boutiquen. Der Botanische Garten liegt gleich um die Ecke. Dort, in einem üppig begrünten Appartement-Hotel, residiert vorübergehend der Weltranglistenerste, Novak Djokovic, 33, der sich zwischen den Abstechern von seinem gläsernen Balkon zum Tennisplatz mitfühlend für seine weniger privilegierten Kollegen engagierte. Djokovic schrieb einen Brief an den Chef des Australischen Tennisverbandes, Craig Tiley, und bat im Namen jener 72 Spieler, denen strikte Quarantäne mit Stubenarrest verordnet wurde, um Vollzugslockerung. Ob man sie nicht in Privathäusern mit einem Tenniscourt im Garten unterbringen könne, war eine Idee. Ob sich zudem die Isolation von 14 Tagen vor den Australian Open im Falle eines Negativ-Tests nicht vielleicht verkürzen ließe?

Die Reaktion von Tennisprofis Nick Kyrgios, 25, aus Canberra, auf diese wohlgemeinten Vorschläge war nur ein Wort: "Tool!" - was sich wahlweise als "Idiot" oder "Selbstdarsteller" übersetzen ließe.

Nun sind die Beziehungen zwischen Djokovic und Kyrgios nicht die besten, seit Kyrgios den Serben nach dessen verunglückter Adria-Tour, einem Spreader-Happening, im Sommer verhöhnte. Aufhorchen lässt indes, dass der Premierminister des Bundesstaats Victoria, Daniel Andrews, ähnlich kurz angebunden war: "Jeder darf jederzeit eine Liste mit Forderungen vorlegen. Aber die Antwort lautet: nein." Andrews ist gewissermaßen Hausherr in Melbourne in Victoria, wo vom 8. Februar an die Australian Open stattfinden. Die Regeln seien bekannt gewesen, sie gälten für alle, richtete er den Spielern aus. Keine Sonderrechte. Basta.

Ex-Champion Mark Edmondson meinte, die heutige Spielergeneration lebe im Wolkenkuckucksheim

Turnierdirektor Tiley, langerprobter Tennisdiplomat, versuchte zu relativieren: Keinesfalls, so erklärte er dem Sender 9News, habe Djokovic Forderungen gestellt, er habe nur Vorschläge unterbreitet, um Wettbewerbsverzerrung zu vermeiden. Denn nur für jene 72 Profis, die in Flugzeugen anreisten, in denen nachweislich Corona-Infizierte saßen, gilt 14 Tage Ausgangssperre. Alle anderen haben erleichterten Stubenarrest mit fünf Stunden täglich frischer Luft beim Training. Und manche wie die nach Adelaide ausgelagerten Filzball-VIPs Djokovic, Rafael Nadal oder Naomi Osaka verfügen sogar über einen Balkon.

Das alles wird im Land interessiert verfolgt. Denn die Australian Open sind nicht nur das wichtigste Turnier der südlichen Hemisphäre, sondern auch ein wichtiger Wirtschaftsfaktor für den Staat Victoria und Werbung für den Tourismuszweig des Kontinents. In diesem Jahr allerdings werden sie zur Staatsaffäre.

So war es den Nachrichtensendern einen Beitrag wert, als sich die kasachische Spielerin Julia Putinzewa, Nummer 28 der Weltrangliste, auf Instagram vor einem geschlossenen Hotelfenster mit einem Schild ablichtete, auf dem stand: "Wir brauchen Luft zum Atmen." Vom Spanier Roberto Bautista Agut wurde ein Videoausschnitt gezeigt, in dem er Regierung und Organisatoren Unwissen vorwarf und die Situation im Hotel mit einem "Aufenthalt im Gefängnis" verglich. Agut, normalerweise ein Mann gemäßigten Temperaments, entschuldigte sich später; die Bemerkung sei im privaten Kreis gefallen und aus dem Zusammenhang gerissen. Von Abenteuerlust, auch das wurde deutlich, jedenfalls konnte bei einem Teil der Profis keine Rede sein; auch deshalb klang manche Äußerung nach dem Rettungsruf im Dschungelcamp: "Ich bin ein Star - holt mich hier raus!". Diese Haltung rief die Kritik von Mark Edmondson, 66, hervor, dem letzten Australier, der im Jahre 1976 die Australian Open gewann: Die heutige Spielergeneration, sagte er dem Sender 7 News Melbourne, lebe im Wolkenkuckucksheim: Sie sollte sich mal in der Realität umsehen.

Viktoria Asarenka mahnte "Verständnis, Mitgefühl und Kooperation" an

Die Wirklichkeit sieht so aus, dass die mehr als tausend Tennisspieler und Begleiter, die Tiley nach Australien holte, tatsächlich privilegierte Reisende sind: Noch immer ist es wegen der strengen Covid-19- Restriktionen Australiern in bestimmten Zonen des Kontinents untersagt, sich etwa nur von Sydney nach Melbourne zu bewegen. Victoria hatte zum Jahresende die Bundesstaatengrenze dichtgemacht. Zudem hatten zuletzt rund um den Globus Australier darauf gewartet, nach Hause fliegen zu dürfen. Im Gegensatz dazu schwebten die Tennisprofis per Charterflug ein.

"Verständnis, Mitgefühl und Kooperation" hat die zweimalige Australian-Open-Siegerin Viktoria Asarenka deshalb bei ihrer Kollegenschar angemahnt. Asarenka gehört zu jenen 72, die wie Angelique Kerber klaglos die Quarantäne ohne Ausgang aussitzen. Aber die meisten Spieler, erklärte Turnierdirektor Tiley, seien ohnehin sehr dankbar und verständnisvoll.

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