Australian Open:Clint Eastwood führt die US-Renaissance an

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Mit Schmackes ins Halbfinale: Tommy Paul ist der erste Amerikaner seit Andy Roddick 2009 im Quartett der Besten in Melbourne. (Foto: Ng Han Guan/AP)

Nach Jahren der Krise befindet sich das US-Männertennis im Aufschwung. In Melbourne erreicht Tommy Paul dank der Zusammenarbeit mit einer Koryphäe das Halbfinale - dort erwartet ihn die höchste Hürde.

Von Gerald Kleffmann, Melbourne

Er zupfte immer wieder an seinem Tennishemd, rauf und runter, sein durchtrainierter Bauch kam zum Vorschein; so nervös war Tommy Paul in den vergangenen zehn Tagen nie zu sehen gewesen. "I'm pumped", meinte er zu John Fitzgerald, dem früheren australischen Profi, der sieben Grand-Slam-Titel im Doppel errang, und das sah man, wie aufgeladen Paul jetzt war.

Paul hatte schon einige Pressekonferenzen abgehalten, sie waren nett, eine Drei plus, aber jetzt lachte er, er quasselte regelrecht, eine glatte Eins, und als Fitzgerald mit dem Platzinterview eigentlich schon Schluss machen wollte, zeigte Paul noch auf die Tribüne. Dort oben sei seine Mutter, "sie fuhr gestern direkt von der Arbeit zum Flughafen", erzählte er, an diesem Mittwochmorgen kam sie an. Genau rechtzeitig, um ihren Sohn siegen zu sehen. Auf seine Freundin verwies Paul auch noch, sie habe an diesem Donnerstag Geburtstag, auf Instagram hat sie 400 000 Follower, so ist das in dieser Generation. Paul kostete den Moment aus, das war natürlich nachvollziehbar.

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Paul, der äußerlich an den jungen Clint Eastwood erinnert, steht nun erstmals im Halbfinale eines Grand-Slam-Turniers, so weit bei einer Veranstaltung dieser höchsten Kategorie zu kommen, "das ist doch jedermanns Traum, wenn er mit dem Tennis anfängt", frohlockte er. Aber, das wurde bei seiner Nachbetrachtung auch klar, es ging ihm nicht nur um sich selbst. Er ist Teil einer größeren Geschichte. Denn die Amerikaner, die maßgeblich die Tennishistorie geprägt haben mit Größen wie Jimmy Connors, John McEnroe, Pete Sampras, Andre Agassi, Andy Roddick, haben schon länger nicht mehr geglänzt. In jüngerer Zeit aber und besonders eben bei diesen Australian Open setzen sie ein starkes Zeichen.

Erstmals seit 2005 haben in Sebastian Korda, Ben Shelton und Paul drei US-Profis im Viertelfinale in Melbourne gestanden, es geht jetzt oft um solche Einordnungen, die mit den Worten beginnen: erstmals seit. Korda, Sohn von Petr Korda, der 1998 Gewinner der Australian Open war, hat dann aber verletzt gegen den Russen Karen Chatschanow aufgeben müssen. Und Paul hat nun den 20-jährigen Ben Shelton besiegt, der auch eine der herrlichen Feelgood-Storys bot, wie sie im Amerikanischen dazu sagen. Papa Bryan war mal die Nummer 55 der Welt, Ben hat dessen Talent geerbt: Der Linkshänder, der 2022 nationaler College-Meister in der Heimat wurde, genoss viele Sympathien bei seinem Durchmarsch in die Runde der letzten Acht. Paul allerdings war zu gut und setzte sich mit 7:6 (6), 6:3, 5:7, 6:4 durch.

Jeder Fünfte in den Top 50 ist Amerikaner, 15 befinden sich in den Top 100

Paul ist der erste Amerikaner seit 2009, der im Halbfinale in Melbourne steht, Andy Roddick, das Schlitzohr mit dem gewaltigen Aufschlag, hat einen Nachfolger gefunden. "Es ist nicht nur für die amerikanischen Fans aufregend", sagte Paul, der in New Jersey geboren wurde, in North Carolina aufwuchs und nun in Boca Raton, Florida, lebt. "Es ist aufregend für alle Fans in der Welt. Ich freue mich für Ben, ich freue mich für alle anderen, die jetzt aufrücken. Foe war im Halbfinale der US Open, ich bin es nun hier. Da kommt definitiv eine gute Gruppe nach." Mit Foe meinte er den 25-jährigen Frances Tiafoe, der im vergangenen Spätsommer in New York sogar Rafael Nadal besiegt hatte.

Nette Worte am Netz: Die US-Amerikaner Tommy Paul (links) und Ben Shelton nach dem Matchball ihres Viertelfinals. (Foto: Aaron Favila/AP)

Aus allen Ecken kommt gerade ein US-Profi nach dem anderen nach oben, so wirkt es, das belegen auch die Zahlen. Jeder Fünfte in den Top 50 ist Amerikaner, 15 stehen in den Top 100. Zum Vergleich, die Deutschen haben dort drei Vertreter in Alexander Zverev, Oscar Otte und Daniel Altmaier. Der Aufwand, den die United States Tennis Association (USTA) betrieb, war aber auch nicht unerheblich, Millionen wurden in Nachwuchsprojekte gesteckt, um Anschluss zu finden an die ruhmreichen früheren Zeiten, die nach Pauls Sieg kurz wieder auflebten.

Platz-Interviewer John Fitzgerald hatte auf Brad Stine in der Box von Paul verwiesen und daran erinnert, dass der ja schon "ein paar Mal in den Yarra River gesprungen" ist. Der 65-jährige Stine war einst Jim Couriers Coach und hatte ihn zu zwei Titeln in Melbourne geführt. Und zwar, Fitzgerald lachte, "vielleicht sogar, bevor du geboren wurdest". Ganz sicher sogar, denn Courier siegte 1992 und 1993, Paul ist Jahrgang 1997. Stine gilt als Erfolgstrainer, und wenn so eine Koryphäe mit einem Talent wie Paul zusammengeführt wird, endet das eben schon mal in einem Grand-Slam-Halbfinale. Seit mehr als dreieinhalb Jahren arbeiten sie zusammen. "Jeder hat seinen eigenen Weg", sagte Paul und bezog sich auf seine US-Kollegen, "meiner war vielleicht der langsamste." Er hatte 2015 die French Open bei den Junioren gewonnen und hatte sich dann doch immer im Schatten seines Weggefährten Taylor Fritz bewegt, den er damals in Paris im Finale besiegt hatte.

Aber nun ist er derjenige, der auf der großen Bühne angelangt ist. Wieder ein US-Profi mehr. Nach den Australian Open wird Tommy Paul erstmals zu den besten zwanzig Spielern in der Welt gehören. Am Freitag steht er vor der größten Hürde im Männertennis: Novak Djokovic, der neunmalige Melbourne-Sieger, der beim 6:1, 6:2, 6:4 gegen Andrej Rublew seine beängstigend ansteigende Form zur Schau stellte. Aber Tommy Pauls Mutter ist nicht nach Australien gereist, um ihren Sohn kampflos ausscheiden zu sehen.

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