Süddeutsche Zeitung

Männerfinale der Australian Open:Der Thron wackelt

Lesezeit: 3 min

Von Barbara Klimke, Melbourne

Auch an diesem Sonntagabend versammelte sich bei Einbruch der Dunkelheit eine Menschenmenge vor der großen Leinwand im Melbourne Park, gegenüber der Rod-Laver-Arena. Die meisten hatten rote oder blaue Kleider und T-Shirts im Schrank gefunden, manche hüllten sich in die serbische Trikolore. Novak Djokovic, 32, geboren in Belgrad, wohnhaft in Monte Carlo, hat mitunter leise anklingen lassen, dass ihm grundsätzlich seltener eine Welle der Wärme und des Wohlwollens entgegenschwappt als seinen ebenso berühmten Tenniskollegen Roger Federer und Rafael Nadal. Aber wenn er eine treue Fangemeinde hat, dann hier in Australien, dem Einwandererland, auf der anderen Seite der Welt.

Hunderte waren gekommen; und wer kein Stadionticket ergattert hatte, stand vor den Bildschirmen im Freien. Die anderen sorgten mit Sprechchören in der 15 000 Zuschauer fassenden Arena dafür, dass er durch die Höhen und Tiefen auch dieses Finales in Melbourne getragen wurde: des achten Endspiels der Australian Open seit 2008, das Novak Djokovic, 32, gewann.

Im ersten Satz kann Djokovic noch abwehren

Djokovic ist schwer zu schlagen in diesem Stadion, seiner Festung, seiner Burg. Und wenn ihn Dominic Thiem, 26, sein unterlegener Gegner aus Österreich am Sonntag, den "König von Australien" nannte, dann hatte das seinen Grund: Nie hat Djokovic, nunmehr 17-maliger Grand-Slam-Sieger, ein Endspiel in der Rod-Laver-Arena verloren. Auch diesmal sicherte sich der Rekordchampion den schweren Silberpokal, den Norman Brooks Challenge Cup, nach einem hart erkämpften Fünfsatzsieg mit 6:4, 4:6, 2:6, 6:3, 6:4. "Aber Dominic Thiem hatte mich hart am Rand der Niederlage", gab er zu. Er habe sich zeitweise nicht gut gefühlt auf dem Platz. "Meine Energie war völlig weg. Ich habe teilweise alles oder nichts gespielt und hatte Glück."

Der Thron hat also mächtig gewackelt, aber Thiem gelang es nicht, ihn umzustürzen. Im ersten Satz schien Djokovic den Angriff des Herausforderers noch problemlos abwehren zu können. Er ging 4:1 in Führung, aber bereits das zweite Spiel hatte einen Vorgeschmack auf die Härte des Schlagabtauschs gegeben, als die beiden Kombattanten sich aus Nahdistanz am Netz duellierten. Thiem glich noch aus zum 4:4, und wenn er in diesem Durchgang eine Schwäche zeigte, dann nur beim zweiten Aufschlag: Er verlor den Satz, indem er sein Service zweimal hintereinander in die Maschen drosch.

Dann begann die Phase, in der der Österreicher seinen Gegner mürbe spielte. Immer häufiger zwang er Djokovic zu Fehlern. Als der Titelverteidiger bei eigenem Aufschlag und 4:4 mit 0:40 zurücklag und beim Aufschlag trödelte, kassierte er den Regeln entsprechend eine Zeitstrafe von Referee Damien Dumosis. Djokovic verlor den Punkt, die Selbstbeherrschung und gleich eine zweite Verwarnung wegen zu lange Wartens beim Aufschlag. Beim Seitenwechsel ging er am Schiedsrichterstuhl vorbei, klopfte Dumosis auf die Füße, setzte sich auf seine Bank und fauchte ihn an: "Sie werden zur Berühmtheit! Gut gemacht!" Kurz darauf verlor er auch den dritten Satz, diesmal 2:6.

Es bedurfte eines Kraftakts, ehe der schwächelnde König erst den vierten Satz gewann und dann im fünften Thiem früh den Aufschlag abnahm. Beim Matchball nach vier Stunden schlug Thiem eine Vorhand ins Aus. "Ich bin gesegnet, diese Trophäe wieder in der Hand zu halten", sagte Djokovic, als er auch diesen Umsturzversuch abgewehrt hatte.

Noch immer hat es kein Herausforderer geschafft, die Vorherrschaft der so genannten Großen Drei im Tennis zu brechen: Federer (20 Grand-Slam-Titel), Nadal (19) und Djokovic (17), die seit nunmehr drei Jahren ohne Unterbrechung, seit dem US-Open-Sieg des Schweizers Stan Wawrinka 2016, die Titel der vier Major-Turniere in Melbourne, Paris, Wimbledon und New York unter sich aufteilen.

Thiem ist der Kronprinz

Aber von all den Jüngeren, die seit Jahren am Podest der Drei rütteln, ist Thiem ohne Zweifel am besten zum Putsch befähigt. Nicht nur, weil er geduldiger ist als beispielsweise sein deutscher Freund Alexander Zverev, 22, den er im Halbfinale von Melbourne bezwang. Er ist auch vier Jahre älter und hat all den Hochbegabten, die die Männer-Tour als "Next Generation" vermarktet - dem Griechen Stefanos Tsitsipas oder dem Russen Daniil Medwedew - ein paar Gefechte voraus. Djokovic sieht in Thiem keinen Emporkömmling mehr, sondern einen Ebenbürtigen. "Er ist ein etablierter Spitzenspieler. Er gehört zu den Besten der Welt", sagte er über Thiem.

Und anders als Zverev, der noch nie ein Grand-Slam-Finale erreichte, darf sich Thiem als der Kronprinz fühlen. Nach der Niederlage vom Sonntag mehr denn je. Dreimal hat er nun in einem Endspiel dieser kräftezehrenden Marathonveranstaltung gestanden und dreimal verloren: 2018 und 2019 bei den French Open jeweils gegen den Sandplatz-Matador Nadal. Nun gegen den Hartplatz-König Djokovic. "Deine Zeit wird kommen", beschied ihm Djokovic: "Du wirst deine Grand-Slam-Trophäe bekommen, und noch viele mehr."

Er selbst hat sich nun wieder zur Nummer eins der Weltrangliste aufgeschwungen. Dann ging er kurz hinaus zu seinen Fans und ließ sich feiern. Und wenn sein Triumph in diesem Jahr ein klein wenig verhaltener ausfällt als früher, dann auch, weil Djokovic ihn einzuordnen wusste in die Zeitabläufe. Australien habe durch die Brandkatastrophe der vergangenen Monate schwer gelitten, sagte er: "Es gibt Wichtigeres im Leben als diesen Sieg."

Bestens informiert mit SZ Plus – 4 Wochen kostenlos zur Probe lesen. Jetzt bestellen unter: www.sz.de/szplus-testen

URL:
www.sz.de/1.4782115
Copyright:
Süddeutsche Zeitung Digitale Medien GmbH / Süddeutsche Zeitung GmbH
Quelle:
SZ vom 03.02.2020
Jegliche Veröffentlichung und nicht-private Nutzung exklusiv über Süddeutsche Zeitung Content. Bitte senden Sie Ihre Nutzungsanfrage an syndication@sueddeutsche.de.