Zum Beispiel der Aufschlag: Novak Djokovic platziert seinen rechten Fuß bei diesen Australian Open weiter hinten; er geht früher tief in die Knie und rotiert die Hüfte stärker. Die Schlägerfläche zeigt deshalb beim Heben des Armes (sein Ellenbogen ist heftiger angewinkelt) auf die andere Seite des Netzes. Dann zieht er durch: Mit durchschnittlich 193 km/h schickte er bislang seinen ersten Aufschlag auf die Reise; acht mehr als 2024, als er im Halbfinale an Turniersieger Jannik Sinner gescheitert war. Zweiter Aufschlag: 160 km/h im Schnitt, sechs mehr als im vergangenen Jahr.
Es sind winzige, kaum erkennbare Nuancen, die Djokovic geändert hat; doch auf diese Details dürfte es ankommen am Dienstag beim ersten Spektakel-Männermatch in Melbourne: Novak Djokovic gegen Carlos Alcaraz. Der sagte: „So ein Spiel sollte nicht das Viertelfinale sein.“

Jannik Sinner bei den Australian Open:Schwächeanfall, Netz kaputt, trotzdem gewonnen
Jannik Sinner leidet im Achtelfinale an der Hitze, wird vom Platz geführt, kommt zurück - und schlägt Holger Rune in einem turbulenten Match. Der Sieg ist eine Botschaft an die Konkurrenz.
Stimmt schon: Sieben Mal haben die beiden bislang gegeneinander gespielt, Djokovic führt seit dem Sieg im Olympiafinale von Paris 4:3, sie sind sich nie vor dem Halbfinale begegnet. Es ist das erste Best-of-five-Duell auf Hartplatz; das erste auf dem ultraschnellen Belag in der Rod Laver Arena. „Das wird anders als auf Rasen oder Sand“, sagt Alcaraz: „Jeder Spieler hat Schwächen, die auf dem einen oder anderen Belag mehr oder weniger zur Geltung kommen – die Schwächen selbst bleiben aber gleich. Ich weiß genau, was ich im Viertelfinale zu tun habe.“ Das ist dann, weil es auch auf mentale Details ankommt, eine kleine Botschaft an Djokovic: Ich kenne dich, und ich bin darauf vorbereitet.
Alcaraz ist nämlich ebenfalls mit neuer Aufschlagbewegung nach Australien gekommen. Er nimmt den rechten Arm rascher hoch und zieht das rechte Bein schneller nach vorn für einen schnelleren, kräftigeren Absprung; die Geschwindigkeit ist nun immerhin im 2024-Djokovic-Bereich. Schnell genug, findet Alcaraz. Nach seinem Zweitrundensieg kritzelte er auf das Glas der Kamera am Spielfeldrand: „Am I a serve bot?“ Bin ich ein Aufschlagroboter?
„Wenn ich daran denken würde, was er schon alles gewonnen hat, könnte ich nie gegen ihn antreten“, sagt Alcaraz
Gerade mal zehn Breakbälle erlaubte er seinen Gegnern bislang, und genau das braucht es gegen Djokovic: dem Schwächeschnüffler so wenige Momente wie möglich liefern, in denen er spürt, dass er dem Gegner jetzt Zweifel zufügen könnte als bester Return-Spieler der Geschichte. Wenn er sich in Punkte reinfuchst, sie gewinnt und dem Gegner durch Positionierung beim nächsten Punkt zeigt: Na, dann schubs’ den Ball mal übers Netz und schau, was dann passiert. „Ich sehe alles bei meinem Gegner: wie er atmet, den Ausdruck in seinem Gesicht“, sagt Djokovic: „Nicht nur auf dem Platz übrigens, sondern schon vorher. Wir können uns in den Katakomben ja nicht aus dem Weg gehen. Der Kampf beginnt, bevor wir das Spielfeld betreten.“
Das Mentale ist eines der Lieblingsthemen von Djokovic, deshalb könnte man auch – geht in Zeiten der Aufmerksamkeitshascherei ja immer – über den Furor von Djokovic nach dem Achtelfinale reden: Er fühlte sich und seine serbischen Landsleute durch einen (tatsächlich geschmacklosen) Beitrag eines australischen TV-Reporters beleidigt, der Djokovic „überschätzt“ und „abgehalftert“ genannt und die Fans des Serben verhöhnt hatte. Djokovic verweigerte das Interview auf dem Platz und forderte eine Entschuldigung. Die gab es mittlerweile, also kann man sich dem Sport zuwenden.

Alcaraz will mit einem Australian-Open-Sieg noch vor seinem 22. Geburtstag den Career Grand Slam vollenden, den Gewinn aller vier großen Pokale. Er wäre der Jüngste der Geschichte. Bis 2027 hat er Zeit für diesen Rekord, den derzeit Nadal hält. Den Grand Slam hat Djokovic längst, seit dem Olympiasieg hat er Tennis sozusagen zu Ende gespielt: Er hat alles gewonnen, was man gewinnen kann – den Rivalen Roger Federer und Rafael Nadal fehlen jeweils ein paar Kleinigkeiten. Es geht ihm nun darum, über dem Mount Rushmore des Tennis einen zusätzlichen Berg zu errichten nur mit seinem Konterfei; der 25. Grand-Slam-Titel würde ihn geschlechterübergreifend einzigartig machen und laut Trainer Andy Murray „zu einem über alle Disziplinen hinweg besten Sportler der Geschichte“.
Apropos Murray: Genau deshalb hat Djokovic den einstigen Rivalen ins Team geholt: wegen Nuancen wie der Bewegung beim Aufschlag, die letztlich das große Ganze beeinflussen sollen. Selbst am Montag beim Training tüftelten sie an der Perfektionierung der Fußstellung beim Aufschlag von rechts: ein bisschen offener für mehr Hüftrotation und damit die paar km/h mehr, die es braucht, um Alcaraz möglichst gar nicht erst in einen Ballwechsel kommen zu lassen.
Natürlich hat Djokovic keine Angst vor langen Ballwechseln, ganz im Gegenteil. Er zieht daraus Energie, wenn er sich und Gegner leiden lässt. Nur: Mit 37 Jahren will er möglichst wenig davon bei eigenem Aufschlag spielen, denn es gibt noch ein interessantes Detail aus den ersten Partien bei den Australian Open. 4,5 Schläge dauerten die Ballwechsel von Djokovic bislang im Schnitt. Insgesamt hat er somit 2079 Mal auf den Ball geprügelt, der 16 Jahre jüngere Alcaraz erst 1439 Mal – 30 Prozent weniger. Alcaraz war bislang auch mehr als drei Stunden weniger auf dem Platz als sein Gegner am Dienstag.
„Ich erwarte in puncto Intensität ein Duell wie früher gegen Nadal, wir hatten bereits einige lange Gefechte mit langen Ballwechseln. Er ist dynamisch, explosiv; toll, ihm zuzusehen – nicht so toll, gegen ihn zu spielen“, sagt Djokovic. Wenn er sich jedoch wohlfühle, dann sei ihm relativ egal, wer da auf der anderen Seite des Netzes sei: „An einem guten Tag, und ich hatte nun zwei sehr gute Runden, kann ich jeden schlagen.“ Es hat längst begonnen, dieses Duell, das weiß natürlich auch Alcaraz – und der sagt: „Wenn ich daran denken würde, was er schon alles gewonnen hat, könnte ich nie gegen ihn antreten. Aber: Ich kenne meine Stärken. Ich weiß, dass ich gegen ihn gutes Tennis zeigen und ihn schlagen kann. Das ist alles, woran ich denke, wenn ich gegen ihn spiele.“