Australian Open:Kerbers Aufschlag zerbröselt wie Zucker

Australian Open: Angelique Kerber: In der dritten Runde in Melbourne

Angelique Kerber: In der dritten Runde in Melbourne

(Foto: AP)

Bei den Australian Open gewinnt Angelique Kerber auch gegen Carina Witthöft - ihr Spiel aber erleidet zwischendurch einen merkwürdigen Bruch.

Von Gerald Kleffmann, Melbourne

Einen Moment herrschte Orientierungslosigkeit, dabei lief alles bis zu dieser Stelle ganz gut. Dann passierte das Malheur. Der eine Teil in der Rod Laver Arena sang "Aaaangie". Andere summten irgendetwas, das als "Kööörböör" zu identifizieren war. Viele setzten komplett aus und wussten offenbar nicht, wie das richtige Wort nun lauten sollte bei jenem Einsatz, als es hieß: "Happy Birthdaaay, dear ..." Den Geburtstagssong für Angelique Kerber hatten die acht-, neuntausend anwesenden Zuschauer eben nicht zusammen einstudiert. Gefallen hat er ihr trotzdem. Die nun 29-Jährige konnte gar wieder zufrieden schauen - und lächeln.

In den gut zwei Stunden zuvor war das weniger oft der Fall gewesen. Da hatte Kerber erstaunlich oft genervt und verzweifelt geschaut, als schaffe sie es partout nicht, sich selbst vor dem Untergang zu retten. Tat sie dann aber natürlich doch.

Ihr zweites Match bei den Australian Open gewann Kerber mit 6:2, 6:7 (3), 6:2 gegen Carina Witthöft. Wie in Runde eins, als sie auch erst im dritten Satz die Ukrainerin Lesia Zurenko besiegt hatte, war ihr Spiel phasenweise nicht hochklassig. Bezeichend: Ihr Aufschlag war vorübergehend porös geworden wie ein befeuchteter Zuckerwürfel und auseinandergefallen. "Ich habe viele Fehler in den wichtigen Momenten gemacht", gab sie zu, aber sie konnte sich eben auch mit der Erkenntnis trösten: "Am Ende habe ich gewonnen, und nur das zählt für mich."

Der Stressfaktor ist für Kerber nun ein anderer

Die Rollenverteilung war relativ klar gewesen. Sie ist ja jetzt immer klar. Kerber ist nun die Nummer eins der Welt; damit ist sie die Favoritin. Die 21-jährige Witthöft ist die Nummer 89 gerade. In Wimbledon trafen sie zweimal aufeinander. Das erste Mal gewann Kerber 6:0, 6:0. Das zweite Mal 7:6, 6:1, vergangenes Jahr war das. Da wurde es schon enger. Dieses Mal sah es zunächst auch nach einem Zweitsatz-Sieg aus, wie in der ersten Runde Kerbers, als sie nach vergebenem Matchball noch in den dritten Satz musste.

Auch am Mittwoch gab es diesen seltsamen Bruch in ihrem Spiel, ganz schleichend. Irgendwie scheint sie schneller als gewohnt zu verkrampfen, hinterher legte sie das aber positiv aus. "Druck ist ein Privileg", sagte Kerber in ihrer ersten Reaktion auf dem Platz, als sie zum obligatorischen Sieger-Interview antreten musste. Allerdings weiß sie auch, warum der Stressfaktor für sie nun ein anderer geworden ist: "Die Situation ist völlig neu für mich." Sie verteidigt zum ersten Mal einen Grand-Slam-Titel.

Schon der erste Satz war keine Offenbarung gewesen, was aber vor allem an Witthöft lag, die 25 leichte Fehler beging und sechs Doppelfehler verbuchte. Kerber hätte in der Zeit auch in die höchst interessante David-Hockney-Ausstellung in der National Gallery of Victoria in der Innenstadt Melbournes gehen können. Die 21-Jährige aus Hamburg überreichte Kerber, dieses Bild drängte sich geradezu auf, höchstpersönlich das beste Geschenk. Im zweiten Satz gelang der Favoritin dann gleich das Break, sie nahm Witthöft das Aufschlagspiel ab, dann 2:0, eigentlich eine Führung, die einen selbstsicherer werden lassen könnte. Doch zwei Aspekte änderten sich. Witthöft änderte ihr Spiel, sie steigerte sich. Fabrizierte weniger Fehler. Setzte clever vermehrt die Rückhand-Slice ein. Wurde aggressiver und schickte Kerber in die Ecken. Zwar unterliefen ihr immer noch 25 Fehler, aber ihr gelangen auch 19 direkte Punktgewinne, zwei Asse - und sie kassierte keinen Doppelfehler mehr. Besorgniserregend verlief der Tie-Break - für Kerber.

"Ich glaube, sie war mental angeschlagen"

Sie brach regelrecht ein. Auch Witthöft war das aufgefallen, die erfrischend direkt sagte: "Ich glaube, sie war mental angeschlagen." Sie habe, auch dies sagte Witthöft, sogar von Beginn an gemerkt, dass sich Kerber nicht sonderlich wohl gefühlt hatte auf dem Platz und dass sie mit dem Druck der Titelverteidigerin nun gegen sie, eine deutsche Kollegin, spielen müsse.

Dabei hatte sie 3:1 geführt diesmal. Es hatte sich nur schon angebahnt, dass sich ihr Aufschlag rapide verschlechtert hatte. Sie schubste hektisch nur noch den ersten Aufschlag übers Netz. Oder versuchte es. Denn der Ball blieb trotz der Vorsichtsmaßnahmen oft genug im Netz hängen. Sie schlug in dieser Phase auf, als habe sie einen Yips, diese Muskelzuckung, unter der Golfprofis manchmal leiden. Kerber verlor sechs Punkte hintereinander, weh taten besonders ihre Aufschläge beim 3:2. Von vier Versuchen in Serie landete keiner gültig im Feld - zwei Doppelfehler hintereinander.

Witthöft kann ihr Niveau nicht halten

Im dritten Satz ließ sich erkennen, warum Kerber und Witthöft doch sehr viel trennt, denn die Außenseiterin, die tatsächlich mehr von den Zuschauern angefeuert wurde, konnte ihr Niveau nicht halten. Und Kerber ihres steigern. Nur sieben leichte Fehler unterliefen ihr, Witthöft streute wieder mehr, 19 Fehler. "Die Mischung hatte nicht mehr gestimmt", sagte Witthöft, die gut erklärte, was Kerber so stark macht, trotz offensichtlicher Schwächephasen: "Entweder du machst zu viel, was dann mal gutgehen kann. Aber dann machst du halt auch viele Fehler. Oder du machst zu wenig und sie verteilt die Bälle gut."

Kerber betonte indes mehrmals, sie habe "keine große Sorge, keine Panik", weil ihr Aufschlag nicht so gut funktioniert habe. Sie führte das auch auf den Stand der Sonne zurück, sie spielte ja zur Mittagszeit. Gleichwohl gab sie zu, sie wolle diesen Schlag noch mal mit ihrem Trainer Torben Beltz analysieren. Am Freitag wird die Tschechin Kristýna Plíšková ihre Drittrundengegnerin sein, der Zwilling der US-Open-Finalistin Karolína, die Kerber im vergangenen Herbst in New York besiegt hatte. Für den Abend stand erst einmal ein Essen auf dem Programm. Sie freue sich darauf, einfach mit ihrem Team und Freunden zusammenzusitzen und "ein bisschen zu relaxen". Stress hatte sie an diesem Mittwoch wahrlich genug.

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