Australian Open:Kerber lässt ihr Herz auf dem Platz

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Angelique Kerber war fix und fertig - doch sie hat sich an die Spitze zurückgekämpft. (Foto: dpa)
  • Angelique Kerber liefert sich mit Simona Halep bei den Australien Open ein zuerst kurioses, dann spannendes, dann dramatisches Match mit irrwitzigen Ballwechseln und außerordentlichen Wendungen.
  • Im Grunde scheiterte die Deutsche an einer Kontrahentin, die noch erfolgsgetriebener ist als sie selbst zurzeit.
  • Nach dem Halbfinal-Aus in Melbourne verfiel Kerber aber keineswegs in Weltuntergangsstimmung.

Von Gerald Kleffmann, Melbourne

Nach diesem "battle", wie sie dieses Match nannte, das 2:20 Stunden gedauert, sich aber wie fünf Stunden angefühlt hatte, betrat Angelique Kerber die Umkleidekabine. Als ihr deutscher Profikollege Alexander Zverev sein Drittrundenspiel gegen den jetzigen Halbfinalisten Hyeon Chung aus Korea verloren hatte, war der 20-Jährige dem 19-maligen Grand-Slam-Champion Roger Federer begegnet. Der Schweizer hatte ihn aufgebaut. "Ich habe keinen getroffen", verriet Kerber nun an diesem Donnerstag, zum Ende der zweiten Turnierwoche dieser Australian Open.

"Die Kabine ist relativ leer mittlerweile." Sie lächelte trotzdem. Mit ihren 30 Jahren, nach zuletzt zwei entgegengesetzten Spielzeiten mit Höhepunkten und Tiefschlägen, wusste sie auch ohne prominente Beratung diese Partie, dieses Turnier einzuordnen. "Ich habe viel gelernt. Ich weiß, dass ich zurück bin", befand Kerber. "Ich weiß, ich kann wieder sehr gutes Tennis vor großer Kulisse spielen." Das sagte sie, obwohl sie gerade im Halbfinale ausgeschieden war, mit 3:6, 6:4, 7:9 gegen Simona Halep. Es war ein zuerst kurioses, dann spannendes, dann dramatisches Match mit irrwitzigen Ballwechseln und eben außerordentlichen Wendungen.

Kerber lag rasch 0:5 zurück. Im zweiten Satz führte Halep mit Break. Im dritten Satz schlug sie zum Sieg auf, bei 5:3. Sie ließ die Chance ungenutzt und hatte doch im folgenden Spiel zwei Matchbälle. Sie vergab sie, weil Kerber mutig agierte und die Wende schaffte. Plötzlich benötigte die Kielerin bei 6:5 und 40:15 selbst nur einen Punkt. Konnte ihn aber nicht machen. Weil jetzt Halep aufdrehte.

Vom ersten Grand-Slam-Turnier dieses Jahres bleiben vielleicht ein halbes Dutzend Duelle übrig, die von der Dramaturgie her wirklich herausragend waren. Dazu zählte auch jene Partie, in der Kerber ihre erste Niederlage nach 14 Erfolgen in Serie seit Anfang Januar einstecken musste.

Zwar hat sie ihr viertes Grand-Slam-Finale verpasst, am Samstag kämpfen die 26-Jährige aus Constanta in Rumänien und Caroline Wozniacki aus Odense in Dänemark um den Titel, es wäre für beide der erste große. Aber Kerber kann mit der Situation umgehen. "Sie werden nervös sein", prognostizierte Kerber, die früher in ähnlichen Momenten nur ungern über andere geredet hat. In diesem Moment indes strahlte sie innere Ruhe aus - und das war dann auch ein Zeichen dafür, dass sie wohl wirklich "mit 2017 abgeschlossen" hat, wie sie betonte. Dass sie nicht mehr zurückblickt, zumindest nicht auf jene zwölf Monate, die wie ein Absturz wirkten.

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Angelique Kerber kennt die großen Erfolge, doch auch die Last, eine Nummer eins zu sein. 2018 gelingt ihr die Rückkehr auf die große Bühne - und der lang ersehnte Triumph in Wimbledon. Ihre Karriere in Bildern.

Von drei Grand-Slam-Finals und zwei großen Titeln 2016 auf null. Von Weltranglisten-Platz eins auf 22. Diese Erfahrungen musste Kerber nach ihrem Ausnahmejahr verarbeiten, und das zehrte an ihr. Oft genug strahlte sie nach Niederlagen das Gefühl aus, das Schlimmste der Welt sei passiert. Sie wirkte verzweifelt. Am Ende hat sie gar den langjährigen Trainer ausgetauscht, der loyale Torben Beltz musste gehen, der Belgier Wim Fissette kam.

Am Donnerstag in Melbourne verfiel Kerber keineswegs mehr in Weltuntergangsstimmung. "Du hast Tage, an denen du dich nicht gut fühlst", gab sie zu. Müdigkeit spürte sie diesmal, nach drei intensiven Turnieren in den vergangenen vier Wochen, beim Hopman Cup in Perth, beim Sieg in Sydney und nun in Australiens Metropole im Südosten des Kontinents. "Aber ich habe das Herz auf dem Platz gelassen", sagte sie auch. Zudem, mit ein bisschen Glück, das man in zwei Wochen eines solchen Turniers braucht, bei wechselnder Opposition und Witterung, "hätte es selbst gegen Halep anders ausgehen können". Alles halb so wild.

Im Grunde ist Kerber an einer Kontrahentin gescheitert, die noch erfolgsgetriebener ist zurzeit. Und es ist vielleicht ein Zufall, vielleicht aber auch nicht, dass die zweite Finalistin ebenfalls endlich einen letzten Schritt schaffen will: Halep ist die Nummer eins, Wozniacki (Nr. 2) war es mal, 2011. Halep stand 2014 und 2017 im Finale der French Open, Wozniacki erreichte 2009 und 2014 das Endspiel der US Open. Aber reüssiert haben beide nie auf diesem Niveau, obwohl sie schon die Hand nah dran hatten am Pokal. Halep hatte vergangenen Juni mit Satz und Break im zweiten Satz im Finale von Paris gegen die Lettin Jelena Ostapenko geführt.

Und verlor. Wozniacki, das plauderte sie in ihrer typisch offenen Art nach dem 6:3, 7:6 (2) gegen die Belgierin Elise Mertens aus, erinnerte sich zum Ende des zweiten Satzes, als sie erst eine hohe Führung vergab und plötzlich Satzbälle gegen sich hatte, an ein altes Match. Eines, das sie auch verlor. "Ich dachte an 2011, als ich im Halbfinale hier auch zum Match aufschlug und Matchball hatte." Dann siegte doch Li Na, die Chinesin, die erst im Finale gegen Kim Clijsters verlor.

Um Großes gewinnen zu können, das eint Halep wie Wozniacki, mussten sie nicht das Siegen lernen. Sie mussten das Verlieren lernen. Und fühlen sich nun gereift und bereit für den nächsten Titelversuch. "Wenn es nicht am Samstag passiert", sagte Halep - und sie strahlte bei diesen Worten regelrecht -, "bleibe ich stark und träume eben von anderen." Wozniacki, die im vergangenen Herbst die WTA Finals in Singapur gewann, ihren größten Titel bislang, erkannte: "Manchmal muss man einfach gewisse Hürden nehmen."

Für eine wird am Samstag der Traum weiter ein Traum bleiben. Für die andere wird er in Erfüllung gehen. Ein "interessantes Endspiel" erwartet Kerber. Sie hat ja das Glück, dass sie schon zwei Grand-Slam-Pokale zu Hause stehen hat.

© SZ vom 26.01.2018 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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