Australian Open - Herren:Die Hierarchie wird neu justiert

Der Südkoreaner Hyeon Chung und der Brite Kyle Edmund haben sich an die Weltspitze herangepirscht. Sogar Roger Federer freut sich auf die neuen Gesichter im Halbfinale.

Von Gerald Kleffmann, Melbourne

Australian Open - Herren: Neuling Nr. 1 in einem Grand-Slam-Halbfinale: der Südkoreaner Hyeon Chung.

Neuling Nr. 1 in einem Grand-Slam-Halbfinale: der Südkoreaner Hyeon Chung.

(Foto: Peter Parks/AFP)

Er stand auf dem Platz in der Rod Laver Arena und sollte nach seinem aus südkoreanischer Sicht historischen Sieg alle vorstellen, die bei ihm in der sogenannten Box saßen, oberhalb der Grundlinie. Also begann Hyeon Chung, einen Unterstützer nach dem anderen zu benennen. Als Erstes war Neville Godwin an der Reihe, sein neuer Trainer. Der Südafrikaner feiert gerade seinen zweiten Erfolg nacheinander: Bei den vergangenen US Open hatte er seinen Landsmann Kevin Anderson ins Finale geführt, ehe er sich dem 21 Jahre alten Südkoreaner anschloss. "Der im roten T-Shirt", fuhr Chung fort, sei sein anderer Trainer aus der Heimat, "der mit der Brille, das ist mein Agent Steve." Er erwähnte seinen "großen Bruder", der winkte ebenso wie seine Eltern; Mutter Kim Young-mi formte mit den Händen ein Herz. "Dahinter sind koreanische Freunde", schloss Chung den Vortrag ab, lachte und präzisierte: "Das sind zu viele." Waren es in der Tat.

Im Männer-Tennis startet gerade ein junger Spieler richtig durch, da wollen ein paar Leute dabei sein. Sogar sein nächster Gegner ist schon "aufgeregt", wie dieser betonte. Ein gewisser Roger Federer, mit 19 Grand-Slam-Titeln geschmückt und am Freitag der Duellant um den Einzug ins Endspiel der Australian Open, bezeichnete Chungs Spiel als "beeindruckend".

Das erste Grand-Slam-Turnier der Saison in Melbourne nähert sich dem finalen Wochenende, und wie das so ist jedes Jahr bei dieser gewaltigen Tennismesse, manifestieren sich Trends. Vor zwölf Monaten starteten die eine Ära prägenden Roger Federer und Rafael Nadal ihr phänomenales Comebackjahr als Vintage Boys, diesmal kommt es zu anders gearteten Justierungen in der Hierarchie. Spieler einer jüngeren Generation nutzten die Chance, die sich ihnen bot, weil Größen wie Novak Djokovic und Stan Wawrinka nach langen Verletzungspausen noch nicht ganz fit waren und früher als erwartet verloren. Es passte auch ins Bild, dass der Schotte Andy Murray wegen einer Hüft-OP von vornherein fehlte und zudem am Mittwoch gemeldet wurde, dass Nadal schon wieder pausieren muss, für drei Wochen; der Hüftbeuger ist verletzt. In der Nacht zuvor hatte der Spanier, immerhin der Weltranglisten-Erste, im fünften Satz gegen den ungemein druckvoll aufspielenden Kroaten Marin Cilic beim Stand von 0:2 aufgeben müssen.

Überspitzt formuliert lässt sich sagen: Die Big Four gehen weiter an Krücken - wäre da nicht Federer, der makellos die Stellung hält. Der Schweizer steht nach dem nur zu Beginn brenzligen 7:6 (1), 6:3, 6:4- Sieg gegen den Tschechen Tomas Berdych im Halbfinale; in Melbourne ist er bisher noch ohne Satzverlust. Gegen Chung hat Federer noch nie gespielt, "es ist gut, neue Namen in der Szene zu sehen", befand der 36-Jährige. Er sprach mit Recht im Plural: Im zweiten Halbfinale trifft Cilic, der US-Open-Sieger von 2014, auch auf einen Grand-Slam-Halbfinal-Novizen.

Aufgrund der ähnlichen Spielweise firmiert Chung bereits als "Mini-Djokovic"

2018 Australian Open - Day 9

Neuling Nr. 2 in einem Grand-Slam-Halbfinale: Der Brite Kyle Edmund hat sich in Melbourne erstmals so richtig groß in Szene gesetzt.

(Foto: Mark Metcalfe/Getty Images)

Kyle Edmund, in Johannesburg geboren, inzwischen mit Wohnsitz Bahamas und unter britischer Flagge spielend, gelingt gerade ein Abnabelungsprozess. "Es ist wahrscheinlich das erste Mal, dass ich alleine so gut war und im Fokus stehe", gab der 23-Jährige zu, ein höflicher Mann, der zu Turnieranfang ebenso ehrlich wie typisch britisch einräumte, er habe sich nicht genügend eingecremt und deshalb einen Sonnenbrand davongetragen. Gewöhnlich hat Murray aufgrund seiner Erfolge stets die britische und auch die internationale Aufmerksamkeit auf sich gezogen. Diesmal ist es anders, diesmal ist Edmund Solist. Der 49. der Weltrangliste, bislang noch ohne Turniersieg, hat eine krachende Vorhand und ist laufstark, was im Viertelfinale der Bulgare Grigor Dimitrov zu spüren bekam. Der Sieger der ATP-Finals von London verlor in vier Sätzen. Federer traut Edmund durchaus Großes zu: "Er ist im Halbfinale, da fehlen ihm ja nur zwei Schritte."

Federer selbst muss erst mal auf das Match mit Chung achten. Natürlich hat auch der 36-Jährige im vergangenen November mitbekommen, dass der bullige Grundlinienspieler mit der weißen Sportbrille, in Suwon geboren, in den USA teils auch tennismäßig ausgebildet, die Premiere des Next-Gen-Finales gewann; bei der Veranstaltung traten die besten Jungprofis zu einer Art WM an. Ansonsten aber hat Federer noch nicht mal richtig mit Chung geredet, verriet er. Tiefschürfend wäre dieses Gespräch vor ein paar Jahren wahrscheinlich noch nicht gewesen, Chungs Englisch war zunächst eher schlecht, inzwischen ist es so gut, dass die Zuhörer in Melbourne mitbekommen haben, dass er bescheiden, nett, aber auch humorvoll ist.

Dass ihn alle Welt aufgrund der ähnlichen Spielweise als Art Mini-Djokovic bezeichnet, stört ihn nicht. "Ich versuche, ihn zu kopieren", sagte er vielmehr; er spielte mit der öffentlichen Wahrnehmung und lachte dabei. Chung setzte seinen spektakulären Durchmarsch am Mittwoch mit einem soliden 6:4, 7:6 (5), 6:3-Erfolg gegen Tennys Sandgren durch; der 26 Jahre alte Amerikaner aus Tennessee hatte ebenfalls überrascht: Ohne je zuvor eine Grand-Slam-Runde gewonnen zu haben, stand er diesmal im Viertelfinale. Darüber hinaus war seine offensichtliche Nähe zu rechtsradikalen Personen über Kontakte in den sozialen Medien ein Thema, das auch aufschlug. Nach der Niederlage gegen Chung verlas er ein Statement und stilisierte sich als Medienopfer; Fragen ließ er nicht zu und drohte einmal gar, den Raum vorzeitig zu verlassen.

Mit seiner Niederlage ist dieses seltsame Kapitel erst mal zu Ende, Chung und Edmund dürfen sich dafür weiter beweisen, ein Jugendtrend, wie er schon zart bei den vergangenen US Open sichtbar wurde. In New York hatte sich der 20 Jahre alte Russe Andrej Rublew bis ins Viertelfinale gekämpft. "Ich finde es eine gute Sache", sagte Federer zum Anpirschen der Jugend an die Weltspitze, "sie müssen diesen Schritt machen. Ich finde es enttäuschend, wenn sie ihren Durchbruch mit 27 haben, weil wir sie dann schon sieben Jahre oder so kennen. Ich mag es, wenn wir sie nicht kennen."

Chung hat auch in diesem Punkt schon mal alles richtig gemacht.

Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: