Australian Open:Graf wurde geliebt, Kerber wird respektiert

Tennis Australian Open 2016

Angelique Kerber: Ihre neue Karriere hat begonnen

(Foto: dpa)

Die Vergleiche mit dem Tennis-Boom der Achtzigerjahre hinken. Sie werden Angelique Kerber nicht gerecht.

Kommentar von Gerald Kleffmann

Es gab mal zwei Tennisspieler in Deutschland, die gewannen richtig große Turniere. Boris Becker rauschte als 17-jähriger Rotschopf ins Bewusstsein seiner Heimat, als er in Wimbledon triumphierte. Steffi Graf schaffte ihren Durchbruch auch, ehe sie 20 wurde, 1987 in Paris bei den French Open. Beckers Erfolg wirkte für viele wie aus dem Nichts, er war bis dahin ein Jungprofi gewesen mit sehr guten Ansätzen und einem gewieften Manager, der an Graf Dracula erinnerte und auf den ulkigen Namen Ion Tiriac hörte.

Graf galt schon vor ihrem ersten Grand-Slam-Sieg als ein Wunderkind, sie wurde jedenfalls in diese Schublade gesteckt. Becker und Graf leben schon seit Jahren im Ausland, Becker in London, Graf in Las Vegas. Bei beiden sind es verschiedene Gründe, wie es endgültig dazu kam, dass sie ihren Wohnsitz nicht mehr in ihrem Geburtsland haben. Aber dass sie sich oft genug missverstanden fühlten und vereinnahmt, ist kein Geheimnis. Becker und Graf faszinierten so viele auch deshalb, weil ihnen etwas Undurchschaubares anhaftete. Das animierte die Öffentlichkeit, die Medien, möglichst viele Details auszuleuchten. Zumindest diese Gefahr besteht für Angelique Kerber nicht. Und das hat nicht mal damit zu tun, dass sie in ihrer zweiten Heimat wohnt, in Polen.

Für Angelique Kerber beginnt eine neue Karriere

Sie wird mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit kein Volkseigentum werden, wie es ihren prominenten Vorgängern ergangen ist, die mit ihren Tennissiegen einen Boom in den Achtziger- und Neunzigerjahren ausgelöst hatten. Kerber wird vornehmlich als sehr fähige Tennisspielerin wahrgenommen werden. Jetzt endlich mehr denn je. Derart entspannt und natürlich, wie sie auftritt, würde es indes überraschen, wenn sie völlig andere Seiten an sich hätte. Geheimnisvoll wirkt sie nicht. Einfach nur freundlich, ja nett.

Zudem ist sie, anders als Becker und Graf damals, im fortgeschrittenen Alter. Sie hat den größten Sieg ihrer Karriere im Alter von 28 Jahren errungen. Das heißt: Sie ist erfahrener. Die lose Freundschaft zu Graf wird ihr sicher auch helfen. Eine Herausforderung ist ihre neue Karriere, die an diesem 30. Januar 2016 beginnt, trotzdem.

Faszinierend ist ihr Arbeitseifer

Kerber fliegt am Sonntag bereits nach Deutschland, sie wird eine Nacht zu Hause verbringen, dann stößt sie zum Fed-Cup-Team, das in Leipzig am Wochenende gegen die Schweiz antritt. Sie wird gefeiert und bejubelt werden, zu Recht. Aber schon danach wird die Euphorie abebben, nicht, weil ihr Erfolg dann weniger wert ist, sondern weil sie ihrem Beruf als Tennisspielerin nachgehen wird. Und den übt sie zumeist in allen möglichen Ländern aus, aber eher selten in Deutschland, wo sie sich nun ins Bewusstsein der breiten Öffentlichkeit gesiegt hat. Sie wurde ja lange etwas übersehen, weil ihr der eine große Titel fehlte und andere Kolleginnen wie Andrea Petkovic und Sabine Lisicki extrovertierter auftreten, jede auf ihre Art.

Kerber ist eine andere Persönlichkeit, sie betonte in Melbourne: "Ich bin so, wie ich bin." Das darf man ihr abnehmen. Das Faszinierende an ihr ist ihre Bereitschaft, auf und neben dem Platz alles für den Erfolg zu tun, der ihr nicht zuflog. Sie hat nicht den einen Zauberschlag. Sie ist eher die Arbeitsbiene. Deshalb wird jetzt der Respekt in Deutschland überwiegen und weniger die Liebe einer ganzen Nation. Becker und Graf waren damals in einer ganz anderen Situation, als sie die Bühne betraten.

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