Australian Open:Durchgebraten wie ein Steak

Bei den Australian Open durchleiden die Tennisprofis Hitzequalen - einige verlieren dabei die Orientierung.

Milan Pavlovic

Maria Scharapowa legt großen Wert auf ihre Äußeres, deshalb sollte ihr besser niemand zeigen, wie sie am Dienstagmittag aussah. Die hochgewachsene Russin wollte ihr fesches, neues und zitronengelbes Kleid vorführen. Im Mittelpunkt standen jedoch ihre entblößten Schultern, die nach einer Stunde begannen, an das angegriffene Fleisch leichtsinniger englischer Touristen zu erinnern: rosig wie Roastbeef und ungesund. Das war ein Problem, aber nicht das einzige.

Denn die 19-Jährige aus Sibirien wurde von mehreren Seiten gegrillt. Ihre 1,62 Meter kleine Gegnerin Camille Pin aus Frankreich, eine Ballschubserin wie einst der legendäre Gianluca Pozzi, ahnte ihre Chance. Und die australische Sommersonne bruzzelte zwar unbarmherzig auf beide ein, aber die Gefahr einer Blamage heizte die Situation der Favoritin zusätzlich an.

Der Dienstag war nicht der heißeste Tag in der Geschichte der Australian Open - er fühlte sich nur so an. 40,1 Grad wurden am Mittag im Schatten gemessen, allerdings war auf den meisten Plätzen keiner zu finden.

Wüstenähnliche Bedingungen

Als Konsequenz der durch das Ozonloch verursachten, manchmal wüstenähnlichen Bedingungen wurde 1998 in Melbourne eine Bestimmung eingeführt: die extreme heat policy, die zur Aussetzung der Spiele auf den Nebenplätzen führt - inkonsequenterweise jedoch nur derjenigen, die nicht begonnen haben.

Der Rest muss beendet werden, ob durch Sieg, Niederlage oder Aufgabe. Und während von der zweiten Partie des Tages an über den beiden großen Arenen schützend die Dächer geschlossen wurden, mussten Scharapowa und Pin ihr Match beenden, wie sie es eröffnet hatten: unter einer Sonne, die ein Steak durchgebraten hätte.

Das führte zu Szenen, die allenfalls Sadisten und Darwinisten beglückt haben dürften. Männer krümmten sich auf den Außenplätzen, Frauen taumelten und sahen so aus, als würden sie gleich einer Fata Morgana nachgehen, und alles Wasser und Eis von Melbourne konnte die Athleten nicht angemessen abkühlen. Es galt, doppelt zu beachten, was gut tat oder schadete.

"Eis ist bei diesen Bedingungen manchmal gar nicht so gut", erklärte der Argentinier David Nalbandian nach seiner Partie, in der er sich literweise Wasser über den Kopf geschüttet hatte, "weil es mitunter viel schwerer ist, nach einer Eisbeutel-Kur wieder auf den Platz zu gehen."

Sein Gegner, der Serbe Janko Tipsarevic, berichtete nach stundenlanger Behandlung vom aussichtslosen Kampf gegen zwei Gegner: "Im dritten Satz" - der Serbe führte 7:6, 6:4, 5:2 und hatte zwei Matchbälle - "habe ich total die Linie verloren. Ich konnte nicht mehr gehen, stehen oder atmen. Irgendwann wusste ich gar nicht mehr, wo ich war." Das war im fünften Satz, und Tipsarevic gab auf.

Es waren brutale, makabre Bilder, eine Mischung aus Zirkus und Experimenten mit Menschen. Das Zuschauen hatte einen perversen Reiz, aber es berührte auch peinlich. Schließlich war es schon unangenehm, in dieser Hitze zu gehen oder zu sitzen. Die Spieler aber mussten ja auch noch spielen.

"Menschen sind nicht gebaut, um in solchen Bedingungen drei Stunden Sport zu treiben", sagte Maria Scharapowa nach ihrem 6:3, 4:6, 9:7-Sieg. Die Russin machte sich das Leben selbst schwer, indem sie ein 5:0 im dritten Satz vergeudete. "Ich war so durcheinander, dass ich mich gar nicht ärgern konnte, diese Führung verspielt zu haben.

Ich konnte einfach gar nicht geradeaus denken." Camilla Pin, die zwischenzeitlich 7:6 und 30:15 führte, sah das anders: "Als mir zwei Punkte zum Sieg fehlten, hat Maria ein paar Punkte gespielt, wie sie nur die ganz Großen hinbekommen. Da war eine enorme Entschlossenheit in ihrem Blick und ihrem Spiel. Und obwohl ich gewinnen wollte und selbst litt, sagte ich mir: Chapeau!"

Am besten ist es, in der Hitze gar nicht nachzudenken. Mischa Zverev, ein 19 Jahre alter Hamburger mit russischen Wurzeln, hatte keine Zeit, über Schwächen zu grübeln. "Mir kam nicht in den Sinn, dass ich Krämpfe bekommen könnte", erzählte er, nachdem er Michael Berrer im Duell der deutschen Qualifikanten in drei Stunden 6:4, 7:6 (1), 3:6, 6:4 niedergerungen hatte. "Ich war bloß müde, und das wusste er.

Aber dann merkte ich, dass er sich noch schlechter bewegte. Und dann dachte ich mir: ,Toll, dann kann ich doch noch in vier Sätzen gewinnen.'" Das tat er. Doch dann begann der richtige Kampf: "Auf dem Platz ging alles noch automatisch", berichtete Zverev drei Stunden nach dem Spiel. "30 Minuten nach dem Match merkte ich, wie sehr mein Körper am Ende war.

Als die Krämpfe kamen, habe ich vier Bananen nacheinander gegessen, eineinhalb Liter getrunken, aber trotzdem begann es zu zwicken: in der Schulter, in den Beinen, in den Füßen." Zverev konnte sich nicht setzen und seine Kleider nur mit fremder Hilfe ausziehen, "die anderen haben herzlich über mich gelacht".

Zverev, der am Donnerstag auf Robby Ginepri trifft ("Den kenne ich aus dem Fernsehen"), konnte schon wieder lachen, als er von seinem Abenteuer erzählte. Das war wie bei David Nalbandian. Der Argentinier benutzte sogar Worte wie widerlich, unvernünftig, schrecklich, unzumutbar. Aber er hatte gewonnen und lächelte wie jemand, der einen Fisch aus dem Rachen eines Krokodils entwendet hat. Wem so etwas gelungen ist, der sieht das Leben ein wenig entspannter.

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