Australian Open:Djokovics goldene Gelegenheit

Australian Open: Novak Djokovic erreicht sein zehntes Endspiel in Melbourne - die bisherigen neun hat er alle gewonnen.

Novak Djokovic erreicht sein zehntes Endspiel in Melbourne - die bisherigen neun hat er alle gewonnen.

(Foto: Manan Vatsyayana/AFP)

Der Serbe erreicht zum zehnten Mal das Finale von Melbourne und könnte gegen Stefanos Tsitsipas seinen 22. Grand-Slam-Titel gewinnen. Auf der Tribüne verfolgt Thomas Tuchel die Partien - der Fußballtrainer hat gute Kontakte in die Tenniswelt.

Von Gerald Kleffmann, Melbourne

Ende des dritten Satzes wurde es richtig laut, und manche der Zuschauer, die Stefanos Tsitsipas an diesem Freitagnachmittag unterstützten, litten jetzt, das war ihnen anzusehen. Der 24 Jahre alte Grieche war kurz davor, dieses Halbfinale zu gewinnen, es fehlten ihm mehrmals nur wenige Punkte. Bei einer 7:6 (2), 6:4, 5:4-Führung schlug er zum Sieg auf - er nutzte die Gelegenheit nicht. Es ging in den Tie-Break, wer zuerst sieben Punkte hat, dem gehört der Satz. 6:4 für Tsitsipas, die 15 000 Menschen in der Rod Laver Arena johlten, viele standen. Ein Mann mit griechischer Fahne faltete die Hände und flehte den Himmel an. "The greek god of tennis", das stand auf einem Schild, das eine junge Frau im Hauptstadion der Australian Open hochhielt.

Dann passierte das Unerwartete: Der Gegner von Tsitsipas, der Russe Karen Chatschanow, 26, nahm allen Mut zusammen und ging in die Offensive, erster Vorhandwinner, 5:6 aus seiner Sicht, nächster Ballwechsel, wieder ein Gewinnschlag mit der Vorhand. Zwei Punkte später riss Chatschanow die Arme hoch. Er hatte sich in den vierten Satz gerettet. Die Menge tobte.

Ein Mann aber saß ruhig auf seinem Sitzplatz. Er beugte sich leicht vor und unterhielt sich mit seinen Sitznachbarn. Später, bei einem Gespräch mit der SZ im Spielerrestaurant, erklärte Thomas Tuchel mit einem Lächeln, wie sehr er, als alle ausflippten, als sich alle Beteiligten in der Box von Tsitsipas erhoben hatten, Papa Apostolos, der zweite Trainer Mark Philippoussis, Patricio Apey, der Manager, exakt diesen Augenblick genossen hatte. "Die Leute sagten ja schon mal zu mir, bleib ruhig", erzählte der Fußballtrainer, "aber man sieht, das ist nicht so leicht, wenn man selbst involviert ist." Er lächelte. Tuchel sah herrlich entspannt aus.

Australian Open: Thomas Tuchel ist großer Tennisfan und machte mit dem Besuch der Australian Open seinen persönlichen Grand Slam voll.

Thomas Tuchel ist großer Tennisfan und machte mit dem Besuch der Australian Open seinen persönlichen Grand Slam voll.

(Foto: Frank Molter/dpa)

Der 49-Jährige, im vergangenen September als Trainer beim FC Chelsea entlassen und zurzeit ohne Verein, ist für einige Tage in Melbourne, er reiste eigens für das Tennisevent an; Olaf Meinking, sein Berater, sowie ein Jugendfreund begleiten ihn, es ist ein besonderer Besuch: Tuchel hat nun den Grand Slam geschafft - als Zuschauer. Die Australian Open fehlten ihm noch. Bei den French Open, den US Open und in Wimbledon war er bereits.

Er selbst spielt inzwischen begeistert Padel-Tennis, wenn er dazu kommt. Im März zum Beispiel ist Tuchel womöglich wieder auf Achse. Tommy Haas hatte ihn gerade getroffen und nach Indian Wells eingeladen. Der frühere deutsche Spitzenspieler ist Turnierdirektor der Veranstaltung in Südkalifornien. "Man nennt Indian Wells ja das fünfte Grand-Slam-Turnier, da würde ich gern mal hin", sagte Tuchel. Wann man ihn wieder als Fußballtrainer im Einsatz sehen wird, beantwortete er freundlich mit den Worten: "Da kümmert er sich drum, schauen wir mal." Er zeigte auf Meinking, der schmunzelnd nickte.

Das Finale vor allem bei den Männern dürfte eines der stimmungsvollsten werden

Das Ungewöhnliche ist, dass Tuchels Geschichte in Melbourne und die Geschichten, die die Australian Open nach zwei Wochen Dauertennis hin zum Ende erleben, ineinanderfließen. Das liegt daran, dass Tuchel beste Kontakte zu einem der erfolgreichsten Tennisspieleragenten hat. Bei den Eintrittskarten hat ihm Nasser Al-Khelaifi geholfen, der katarische Präsident von Paris Saint-Germain, der selbst ein hervorragender Tennisspieler war. In Melbourne wiederum hat Tuchel Kontakt zu Patricio Apey. Der Chilene, der früher Alexander Zverev betreute, hat inzwischen ein Portfolio an Profis, um das ihn viele Berater beneiden. Und diese glänzen gerade.

Australian Open: Finalgegner von Novak Djokovic: Stefanos Tsitsipas.

Finalgegner von Novak Djokovic: Stefanos Tsitsipas.

(Foto: Loren Elliott/Reuters)

Im Frauenfinale am Samstag steht die Wimbledonsiegerin Elena Rybakina - sie ist eine Apey-Spielerin. Im Männerfinale am Sonntag steht Tsitsipas, der noch den vierten Satz gegen Chatschanow und damit das Halbfinale gewann, mit 7:6 (2), 6:4, 6:7 (6), 6:3 - auch er ist ein Apey-Spieler. Im Viertelfinale hatte auch Sebastian Korda gekämpft. Der 22-jährige US-Profi, Sohn von Petr Korda, der 1998 bei den Australian Open reüssierte, musste verletzt aufgeben - ein weiterer Apey-Spieler. Und weil Tuchel eben einen guten Draht zu dem Agenten hat, sitzt er in der Rod Laver Arena in Rufweite zu Apey und der Spielerbox. "Es ist wirklich klasse, hier zu sein", befand Tuchel, der die Dramatik der finalen Akte somit aus der Nähe bezeugen kann.

Das Finale bei den Männern dürfte eines der stimmungsvollsten werden. Zum einen leben in keiner Stadt außerhalb Griechenlands so viele Griechen wie in Melbourne, gut 180 000. "Die Franzosen haben Roland Garros, die Briten haben Wimbledon, die Amerikaner haben die US Open", sagte Tsitsipas. "Ich würde es als meinen Home-Slam bezeichnen." Er könnte mit einem Sieg nicht nur seinen ersten Grand-Slam-Titel holen, sondern auch die Nummer eins der Weltrangliste werden. "Ich spiele großartiges Tennis, ich genieße mich selbst", gab sich Tsitsipas zuversichtlich.

Zum anderen hat Djokovic in Melbourne zahlreiche serbische Anhänger, die ihn auch beim 7:5, 6:1, 6:2-Erfolg gegen den erstmals in einem Grand-Slam-Halbfinale stehenden Amerikaner Tommy Paul, 25, unterstützten. Djokovic wirkte lange fahrig, selbst eine 5:1-Führung hatte ihm keine Stabilität verschafft. Später gab er zu, die Aufregung um seinen Vater hätte ihn natürlich beschäftigt.

Die Djokovics seien gegen jede Form des Krieges, sagt Novak zur Verteidigung seines Vaters

Srdjan Djokovic hatte sich nach dem Viertelfinalsieg seines Sohnes gegen den Russen Andrej Rublew mit Putin-nahen russischen Fans, die am Mittwochabend Fahnen schwenkend für einen Eklat gesorgt hatten, filmen lassen. Ein Mann, der neben Vater Djokovic stand, trug den Buchstaben "Z" auf dem Shirt, der in Russland als Zeichen der Unterstützung des Krieges gegen die Ukraine gilt. Die Behörden ermittelten gegen vier Männer, doch um die Lage zu beruhigen, überraschte Srdjan am Freitag mit der Erklärung, dass er das Halbfinale seines Sohnes nicht im Stadion verfolgen werde. Sein Vater sei in bester Absicht zu den - wie er dachte - serbischen Anhängern gegangen, versicherte Djokovic. Er betonte, seine Familie habe selbst den Bürgerkrieg in den 1990ererlebt, die Djokovics seien selbstverständlich gegen jede Form des Krieges. Srdjan? "Er wurde in dieser Situation von einer Gruppe Leute missbraucht."

Für Djokovic und Tsitsipas gibt es nun ein Grand-Slam-Finalwiedersehen, sie waren sich erstmals bei den French Open 2021 im letzten Turniermatch gegenübergestanden, Djokovic hatte nach 0:2-Satzrückstand gesiegt. Nun könnte er mit einem Triumph in der Bestenliste mit Rafael Nadal gleichziehen, der mit 22 Grand-Slam-Titeln noch alleine führt. Djokovic sieht nun eine "goldene Gelegenheit".

Tuchel wird wieder mit seiner kleinen Reisegruppe zusehen, er wurde in der Rod Laver Arena bislang oft erkannt, vor allem die Trainerstationen in Paris und Chelsea haben ihn international berühmt gemacht. Mit Tsitsipas hat er kurz geredet, ansonsten lässt er ihn und Rybakina, die zwei aus dem Team Apey, in Ruhe, "es ist ihre Bühne hier, ich halte mich zurück". Djokovic hatte noch gesagt, er hoffe, dass alle "wegen des Tennis kommen und es feiern". Da kann er bei Tuchel sicher sein. Coachen müssen ja andere hier.

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