Süddeutsche Zeitung

Australian Open:Meisterleistung des alten Maestros

In einem schillernden und dramatischen Finale gewinnt Roger Federer gegen Rafael Nadal sein erstes großes Turnier seit fast fünf Jahren. Er wollte der Welt zeigen: "Ich kann es noch."

Von Gerald Kleffmann, Melbourne

Um 23.16 Uhr herrschte eine Stimmung in der Rod Laver Arena, als wäre die Luft gefüllt mit Schwarzpulver. Ein Funke, alles könnte hochgehen. Es herrschte eine Stille, die den Atem raubte. Gleich, das war klar, könnte die Stille durchbrochen werden von einem Lärmpegel, den es selbst im lauten Melbourne Park zwei Wochen lang nicht gegeben hatte. Und es wurde doch schon so viel gejubelt und geklatscht und geschrien. Um 23.16 Uhr ging Roger Federer an die Grundlinie. Er hatte seinen zweiten Matchball. Er schlug auf.

Und dann gab es den Funken.

Später sollte Federer sich erinnern, dass er in jener Sekunde, als das Stadion in Lärm versank und fast alle der 15 000 Menschen aufsprangen, viele Gefühle gleichzeitig hatte: Erleichterung, Freude, Glückseligkeit, "es war eine Mischung aus allem". Was man eben so fühlt, wenn man Tennisgeschichte fabriziert, völlig überraschend noch dazu. Auch für den Sieger selbst.

Roger Federer, der 35 Jahre alte Schweizer aus Basel, der Elder Statesman des Tennis, hat im Duell der Vintage-Profis seinen ewigen Widersacher und Freund Rafael Nadal, 30, mit 6:4, 3:6, 6:1, 3:6, 6:3 besiegt.

Der verwandelte Matchball nach 3:38 Stunden war so kurios wie die Dramaturgie ihres 35. Aufeinandertreffens. Eine Vorhand Federers strich Richtung Linie, Nadal beantragte den Videobeweis (wie Federer kurz zuvor zweimal). "Ich war sicher, der war nicht aus", erzählte Federer. Der Ball war tatsächlich noch auf der Linie: "Ab da gab es kein Halten mehr." Schon schossen ihm Tränen in die Augen. "Das hätte ich mir in meinen wildesten Träumen nicht ausmalen können", sagte Federer.

Der Maestro war wirklich fassungslos. Sechs Monate hatte er auf der Tour gefehlt, eine Knieverletzung, die vor einem Jahr sogar eine Operation nötig gemacht hatte, wollte er richtig auskurieren. 35 ist er, "ja, so alt bin ich", sagte er belustigt, das Erreichen des Viertelfinales hätte er schon als Erfolg akzeptiert. Nun hat sich Federer am meisten überrumpelt. Er ist der zweitälteste Grand-Slam-Sieger nach dem Australier Ken Rosewell, der 1972 in Australien mit 37 gewann. Er hat, wie passend, in seinem 100. Match in Melbourne seinen 18. Grand-Slam-Titel errungen, dem er seit dem Wimbledon-Triumph 2012 hinterherlief. Rod Laver, der Einzige, der zweimal den Kalender-Grand-Slam schaffte (1962, 1969), überreichte Federer den Cup. 2009 hatte er ihm das Silbertablett für den Verlierer geben müssen. Damals hatte Federer wild geschluchzt. Diesmal benötigte er die Schulter des nun 78-Jährigen nicht.

Spätestens als am Freitagabend festgestanden hatte, dass Federer und Nadal um den ersten großen Titel 2017 kämpfen würde, hatte sich das Schwarzpulver in Melbourne ausgebreitet, das Duell der Vintage-Cracks, wie sie hier genannt wurden, elektrisierte alle. Manche stilisierten das Finale gar zur Klärung der größten aller Fragen: Am Sonntag würde man endgültig wissen, wer der beste Spieler der Geschichte sei. "Darum geht es nicht", erwiderte der anerkannte Experte Darren Cahill, ein schlauer Trainer aus dem Gastgeberland; man müsse ja auch Laver berücksichtigen.

Die Massen scherte das nicht. Sie strömten mit dem Öffnen der Pforten um 15 Uhr auf die Anlage, sogar das zweitgrößte Stadion, die Margaret-Court-Arena, wurde erstmals für ein Finale geöffnet, für 30 Dollar konnte man auch dort mitfiebern, dank der riesigen Screens. Später schaute Federer auch hier vorbei, er ließ keine Station auf seiner Tour d'Honneur aus, auch, um sich zu bedanken. Er hätte ja nicht nur alleine gesiegt, sondern auch für sein Team, die Fans, die Schweiz. "Die ganze Arbeit ist es jetzt wert gewesen", sagte er.

"Roger hat es am Ende vielleicht ein bisschen mehr verdient gehabt als ich", zollte Nadal seinen Respekt, er war den Umständen entsprechend recht gefasst, dabei war er seinem 15. Grand-Slam-Titel schon sehr nahe gekommen. Nachdem die ersten vier Sätze wie ein Pingpongmatch hin und her gewechselt waren, führte der Spanier mit 3:1 im fünften Satz. "Roger spielte dann superaggressiv", sagte Nadal, dem aber auch, wie er andeutete, die Kraft fehlte. Während Federer schon am Donnerstag seinen Landsmann Stan Wawrinka besiegt hatte im ersten Halbfinale, reüssierte Nadal, so war die Ansetzung, erst am Freitagin einer aufreibenden Fünf-Stunden-Partie gegen den Bulgaren Grigor Dimitrov.

73 Gewinnschläge spiegeln den Offensivgeist von Federer wieder

Für Nadal ist seine Niederlage auch deshalb bitter, weil er schon 2012 mit einem Break vorne lag (4:2 im fünften Satz gegen Novak Djokovic ) und in fast sechs Stunden verlor. Er führte aber seinen Verschleiß nicht als Entschuldigung an für den "geringeren Speed"in den Bewegungen, wie ihm aufgefallen war. "Am Ende geht es nur ums Mentale", wusste Federer. Er bot diesbezüglich eine Meisterleistung. Es hat schon seine Gründe, warum die Welt irgendwann anfing, ihn Maestro zu rufen.

Federer ist ja nicht nur cool, wie Steve McQueen es war, er ist auch ein ausgebuffter Stratege mit Schläger. Im letzten seiner drei Fünfsatz-Matches, die er bei diesem Turnier alle für sich entschied, hatte er Nadal regelrecht ausgecoacht, er hatte erkannt, wo er ihm wehtun kann. Er rückte tief ins Feld, "ich sagte mir, geh drauf". Er sagte sich, "serviere und renne, serviere und renne". Er sagte sich: "Glaube dran." Und nie habe er diesen Glauben an den Sieg verloren, auch nicht, als er in den Sätzen zwei und vier manchen erstaunlichen Fehler fabrizierte und in Satz fünf zurücklag. Federer zwang Nadal sein aggressives Spiel auf. 73 Winner, direkte Gewinnschläge, spiegelten seinen Offensivgeist.

2,6 Millionen Euro erhält Federer für seinen fünften Australian-Open-Triumph, in der Weltrangliste ist er als Zehnter wieder in den Top Ten. Nette Nebeneffekte für den reichen Profi. "Mir ging es um mein Comeback", sagte er. Ein episches Match wollte er bieten zum Schluss. Der Welt und sich zeigen: "Ich kann es noch."

Nach sechs Monaten, in denen er weg war, weiß die Welt also: Im Tennis ist dieser Roger Federer schon noch ganz gut.

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Quelle:
SZ vom 30.01.2017/schm
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