Australian Open:Das Leben ist zu kurz

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Schnelles Karriereende abgewendet: Caroline Wozniacki kämpft sich in der zweiten Runde noch einmal zurück. Nach Melbourne soll aber Schluss sein. (Foto: Hannah Mckay/Reuters)

Caroline Wozniacki, die große Defensivkünstlerin, beendet nach den Australian Open mit 29 Jahren ihre Tennis-Karriere. Sie hat noch andere Dinge vor.

Von Barbara Klimke, Melbourne

Das war's dann also!, dachte Caroline Wozniacki. Ihr Rückstand nach 28 Minuten betrug 1:5, sie war bei einem mächtigen Vorhandschlag ihrer Gegnerin gerade wieder einmal ins Leere gelaufen. Aus, Ende, Verbeugung, Schlussvorhang. Schluss...? Tatsächlich? Sie tilgte die Bilder von Blumen, Küsschen, warmen Worten aus ihrer Vorstellung. Ein halbes Stündchen war ja vielleicht noch drin. Sie ließ den Ball dreimal ticken. Warf ihn hoch und katapultierte ihn in einem fast unerreichbaren Winkel ins Aufschlagfeld. Einen Satz später stand fest, dass es noch eine Zugabe ihrer Vorstellung geben wird.

Zweimal hat sich Caroline Wozniacki am Mittwoch zurückgekämpft ins Spiel, in ihre Karriere, in das, was seit Kindertagen ihr Leben war. Den ersten Durchgang gewann sie 7:5, den zweiten nach 0:3 ebenfalls 7:5, und für viele Kommentatoren lag anschließend die Beobachtung nahe, dass dieses Match in der zweiten Runde der Australian Open gegen die 19-jährige Dayana Yastremska aus der Ukraine passenderweise ein Spiegelbild ihrer Laufbahn war. Es war eine Vermutung, die sie amüsierte.

Caroline Wozniacki, 29, geboren in Odense, über weite Strecken ihres Berufslebens trainiert von ihrem Vater Pjotr, der als Fußballprofi eine Weile für Waldhof Mannheim aktiv war, galt als klassische Verteidigungsspielerin dank ihres siebten Sinns für die Flugbahnen der Bälle, ihrer Beweglichkeit, Schnelligkeit und hervorragenden Fußarbeit. Als weltbeste Counter-Puncherin, ein Begriff aus der Boxsprache, wurde sie in Ermangelung eines griffigen Synonyms für derartige Rückschlagqualitäten auf dem Tenniscourt eine Zeitlang geführt. Die Vergangenheitsform ist angemessen, denn dass die Australian Open 2020 das letzte Turnier sind, bei dem sie die Haare zum Zopf bindet und mit dem Racket in der Hand in Defensivstellung geht, das hatte sie schon im Herbst unmissverständlich klargemacht.

Tag für Tag hat sie Schwerarbeit auf dem Platz verrichtet. Nun ist es genug

Es gibt Gründe, selbstverständlich. Allen voran: "Das Leben ist kurz." Sie habe dem Tennis, das sie 67 Wochen lang von ganz oben, als Nummer eins der Weltrangliste regierte, "alles gegeben", hat sie bei ihrer Ankunft in Melbourne erläutert. Nach ihrem Triumph in der Rod-Laver-Arena 2018 kehrte sie nach einer Spanne von sechs Jahren noch einmal kurz an die Spitzenposition ihres Sports zurück. Tag für Tag habe sie Schwerarbeit auf dem Platz verrichtet. Nichts gegen Schwerarbeit, aber sie wolle "gern auch noch andere Dinge im Leben ausprobieren".

Im Juni des vergangenen Jahres heiratete sie den früheren Basketballspieler David Lee, 2015 NBA-Champion mit den Golden State Warriors. Die Hochzeitsreise steht noch aus. Ein weiterer, wenn auch nicht explizit angesprochener Faktor in der Chronik ihres angekündigten Rückzugs ist wohl eine Diagnose, die ihr die Ärzte vor anderthalb Jahren unterbreiteten. Sie leidet an rheumatoider Arthritis, einer chronisch verlaufenden Autoimmunerkrankung. "Anfangs war es ein Schock", hatte Caroline Wozniacki gesagt, als sie sich 2018 beim Finale der Frauen-Tour in Singapur erstmals öffentlich dazu äußerte. "An manchen Tagen wachst du auf und kommst kaum aus dem Bett. Aber an anderen Tagen geht es dir gut, dann spürst du die Krankheit nicht." Sie lernte, damit umzugehen.

Der exakte Zeitpunkt ihres Karriereendes in der vierten oder fünften Kalenderwoche des Jahres 2020 indes stand nicht zur Verhandlung. Darüber, dass die Australian Open ihr liebstes Turnier sind, dass sie gern vor Melbourner Publikum Bälle schlägt, hat sie nie einen Zweifel gelassen. Sogar die Farbe ihrer Fingernägel ist bis in die Nuance mit dem Acrylblau der hitzebeständigen Hartplätze von Tennis Australia abgestimmt. Mit dem Titelgewinn vor zwei Jahren setzte sie das letzte Puzzlestück in das Geduldspiel eines sportiv geprägten Lebens. Jahrelang hatte es Kritiker gegeben, die ihre Karriere trotz der kontinuierlichen Meisterschaft am Ball, trotz der 30 Einzelsiege als unvollendet diskreditieren, weil sie die Weltranglistenerste ohne Pokal bei einem der vier wichtigsten Turniere, der so genannten Grand Slams in Melbourne, Paris, Wimbledon und New York, gewesen war. Dänemarks Verteidigungskünstlerin ist bis heute, am Umfang ihrer Trophäensammlung gemessen, die erfolgreichste aktive Tennisspielerin nach Serena Williams, deren älterer Schwester Venus Williams und Maria Scharapowa.

Aus diesem Quartett ist sie nun die Jüngste, die geht. Und sie verlässt die Bühne selbstbestimmt, ohne dass Verletzung oder Verdruss, Alter oder ein Abrutschen im Ranking sie zu dem Schritt zwingen. Das Tennisspiel sei enormen Veränderungen unterworfen gewesen in zwei Dekaden, in denen sie ihr Verteidigungsspiel perfektionierte, hat sie dieser Tage erzählt und einige Beispiele erwähnt: Die Akteurinnen seien größer gewachsen, auch schneller und fitter; der Speed der Ballwechsel sei höher, die Karrieren dauerten länger. Und die Älteren drängten die Jüngeren zu einem taktisch und technisch verbesserten Spiel. Sie hat am Mittwoch gezeigt, dass noch locker mithalten kann mit der Elite, wenn sie will. Auch das ist beim Abschied ein erhebendes Gefühl. Eine Zugabe noch am Freitag gegen die Tunesierin Ons Jabeur. Vielleicht eine zweite Zugabe in der nächsten Runde gegen Serena Williams. Vielleicht eine dritte, eine vierte. Spätestens am Sonntag, dem 2. Februar, fällt der Schlussvorhang für dieses Turnier. Das wird's dann gewesen sein. Bis dahin wird es irgendwann eine letzte Verbeugung geben. Und Blumen.

© SZ vom 23.01.2020 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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