Ben Shelton bei den Australian OpenJeder Punkt ein Spektakel

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Tennis mit Karacho: Ben Shelton wird bei der Jagd nach einem Ball von der Bande aufgehalten.
Tennis mit Karacho: Ben Shelton wird bei der Jagd nach einem Ball von der Bande aufgehalten. (Foto: Ng Han Guan/AP)

Der US-Amerikaner Ben Shelton ist einer der Lieblinge in Melbourne – weil er auch verlorene Punkte feiert. Den ärgsten Rivalen ging er aus dem Weg, jetzt wartet im Halbfinale die Nummer eins im Tennis:  Jannik Sinner.

Von Jürgen Schmieder, Melbourne

Drippy. Rizzin. Clean. Das sind Worte, die junge Leute in Melbourne verwenden, wenn sie beschreiben wollen, was Ben Shelton so anstellt bei diesen Australian Open, im Viertelfinale am Mittwoch etwa gegen den Italiener Lorenzo Sonego. Die drei Begriffe sind reserviert für jemanden, der sich wegen seiner Fähigkeiten ein charismatisches Selbstbewusstsein leisten kann. Also für einen Mann, der im Tiebreak des vierten Satzes erfolglos einem Ball hinterherjagt, in die Bande stürzt und vor dem Aufstehen zwei Liegestütze macht. Der nach einem verschlagenen Aufschlag beim nächsten Punkt den zurückgespielten Ball mit dem Schlägerrahmen fängt und ihn locker zum Balljungen weiterleitet. Der die Eröffnung danach mit 221 km/h übers Netz jagt und die anschließende Vorhand mit 155 km/h ins Eck des Spielfeldes. Der nach dem Sieg, 6:4, 7:5, 4:6, 7:6 (4), im Alter von 22 zum zweiten Mal im Halbfinale eines Grand-Slam-Turniers steht.

Bei den US Open 2023 hatte der US-Amerikaner zum ersten Mal für Furore gesorgt. Shelton hatte das Publikum verzückt mit dem jugendlichen Wahnsinn, den die New Yorker so lieben und der sowohl bei seiner Spielweise als auch zwischen den Ballwechseln zu sehen ist: Jeder Punkt soll ein Spektakel sein, ob Aufschlag in Turnierrekordgeschwindigkeit (232 km/h), Topspin-Lob aus dem vollen Sprint oder ein erlaufener Stoppball des Gegners plus No-Look-Passierball.

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Danach nimmt Shelton die Zuschauer mit in seine Gefühlswelt – übrigens auf sympathische Weise auch nach verlorenen Punkten wie im zweiten Satz gegen Sonego. Ein Beispiel: ein Rückhand-Cross-Passierball aus vollem Lauf, den der Italiener nur per Hechtsprung erreicht und mit dem Rahmen so berührt, dass er wegen des Rückwärtsdralls nach dem Aufspringen zurück übers Netz auf Sonegos Seite hüpft. Andere würden sich aufregen oder verzweifeln, vor allem nach einem Breakball wie in dieser Situation. Shelton jedoch gratulierte dem jubelnden Rivalen lächelnd per Handschlag. Wie kann man so einen nicht drippy finden?

Daniil Medwedew und Taylor Fritz haben sich früh aus dem Turnier verabschiedet

Sein einziger Makel bislang: Er hat nicht gegen einen gespielt, der – letztes Jugendwort aus Melbourne – goated with the sauce ist: also mit so ziemlich allem gesegnet, was es für einen Grand-Slam-Sieg braucht. Denn Shelton hat im Melbourne von der Auslosung und dem Turnierverlauf profitiert. Er stand in jenem Viertel des ursprünglich 128 Spieler umfassenden Tableaus, in dem auch die Favoriten Daniil Medwedew (Russland) und Taylor Fritz (USA) angesiedelt waren; nur hat Fritz gegen Altmeister Gael Monfils verloren, der wiederum zwei Tage später so erschöpft war, dass er gegen Shelton nach drei Sätzen aufgeben musste. Medwedew unterlag in einer Zweitrundenpartie, die bis drei Uhr morgens dauerte, dem US-Teenager Learner Tien. Der junge Tien verlor dann gegen Sonego – der zuvor den ehemaligen Grand-Slam-Sieger Stan Wawrinka und das 16-jährige brasilianische Phänomen Joao Fonseca niedergerungen und bis zum Viertelfinale in Summe knapp 13 Stunden auf dem Platz verbracht hatte: Im Match gegen Shelton kam Sonego dann zum Schluss auf dem Zahnfleisch daher.

Das Schicksal also wollte es so, dass der höchst gesetzte Spieler, den Shelton auf dem Weg ins Halbfinale besiegen musste, der Italiener Lorenzo Musetti (Nummer 16) war.

Das ist nicht seine Schuld: Er hat jeden besiegt, dem er in Melbourne begegnet ist. Im Halbfinale am Freitag wartet allerdings der wohl schwierigste Gegner, den man vorgesetzt bekommen kann: Titelverteidiger Jannik Sinner aus Italien, Nummer eins der Tenniswelt, der im Viertelfinale den neuen australischen Volkshelden Alex de Minaur 6:3, 6:2, 6:1 humorlos abfertigte. Sinners Favoritenrolle kommentierte Shelton folgendermaßen: „Tolle Gelegenheit, gegen den Besten der Welt zu spielen – da sieht man dann mal, wo man wirklich steht.“

Sinner ist auch Liebling der Massen in Melbourne, und dazu wollte Shelton noch etwas loswerden, als er mit Journalisten sprach:„Schockierend, wie TV-Reporter hier mit Spielern umgehen“, sagte er verallgemeinernd: „Erst der Typ, der Novak beleidigt. Dann sagt mir einer, dass Monfils mein Vater sein könnte. Und heute fragt mich einer nach dem Match, wie es denn sei, dass mich im Halbfinale wohl keiner anfeuern wird.“ Das sei respektlos. Er habe gerade auf einer der größten Bühnen einen seiner größten Erfolge gefeiert. „Da muss doch nicht so was Negatives kommen.“ Auch dieses Auftreten ist etwas, das die Australier drippy finden.

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