Süddeutsche Zeitung

Australian Open:Annika Beck weckt Erinnerungen an 1988

  • Friedsam, Kerber und Beck: Bei den Australian Open stehen drei deutsche Frauen im Achtelfinale - das gab es zuletzt 1988.
  • Weil Beck und Kerber gegeneinander spielen, steht eine DTB-Athletin sicher im Viertelfinale.
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Von Gerald Kleffmann, Melbourne

Am Federation Square im Central Business District war das Gedränge am Morgen groß. Es regnete, und so quetschten sich die Menschen in die Trambahnen, um trocken zum Melbourne Park zu gelangen. Vor den Einlassschranken war erneut Geduld vonnöten, es war Samstag, Wochenende, da ist der Andrang stets am größten. Wie auf Knopfdruck riss schließlich zum Start des sechsten Turniertags der Himmel auf. Auch über Show Court No. 2 hinter der Margaret Court Arena blitzte die Sonne grell durch. Laura Siegemund hatte sich deshalb entschieden, eine Kappe zu tragen. Es sollte nichts nützen.

Die 27-Jährige aus Metzingen hatte in der zweiten Runde mit ihrer erfrischenden Art, frechen Angriffen und einem Sieg gegen die frühere Weltranglisten-Erste Jelena Jankovic begeistert. Doch an diesem Mittag sollte ihr Weg bei den Australian Open ein Ende finden. Ihr Trost immerhin ist, dass ihre gute Freundin Annika Beck im Achtelfinale beim ersten Grand-Slam-Turnier des Jahres steht; dort trifft sie auf Angelique Kerber, die die Amerikanerin Madison Brengle besiegte, mit 6:1, 6:3. Eine Deutsche steht also sicher im Viertelfinale. Das Duell mit Siegemund gewann die Bonnerin 6:0, 6:4.

Auf den Spuren von: Graf, Kohde-Kilsch, Hanika und Porwik

Die ansehnlichen Erfolgsgeschichten deutscher Spielerinnen aus der zweiten Reihe setzen sich damit fort. Zuerst überraschte Siegemund, die als Kind als großes Talent galt und später ihre Karriere beinahe beendet hatte. Dann stieß die 21-jährige Anna-Lena Friedsam ins Achtelfinale vor. Nun folgt ihr Beck, die nebenbei zu einer neuen Bestmarke beiträgt: Drei deutsche Frauen im Achtelfinale bei den Australian Open gab es seit 1988 nicht mehr; damals waren es sogar vier (Stefanie Graf, Claudia Kohde-Kilsch, Sylvia Hanika, Claudia Porwik).

Beck bewegt sich seit drei Jahren in einer Ranglisten-Region, die selten die Aufmerksamkeit der Öffentlichkeit auf sich zieht: in der zweiten Hälfte der Top 100. 55. ist sie derzeit in der Weltrangliste, 41. war sie immerhin schon mal, im Oktober 2014. Damals flossen ihre beiden Siege bei den kleineren WTA-Turnieren in Luxemburg (2014) und Quebec (2015) in die Wertung ein, die die Ergebnisse der zurückliegenden zwölf Monate berücksichtigt. Beck fehlte indes oft die Konstanz. Sie neigte zu oft dazu, zu passiv zu agieren, sich zu weit hinter der Grundlinie zu bewegen, den Gegnerinnen das Spiel zu überlassen. Auch fehlt ihr der eine brachiale Gewinnschlag. Etwa ein Vorhand-Schuss.

Als sie 13 Erstrundenniederlagen verkraften musste und im Frühjahr 2015 in eine Spirale des Haderns geriet, trennte sie sich "schweren Herzens", wie sie zugab, von Trainer Robert Orlik, nach sechs Jahren Zusammenarbeit. Der Niederländer Mark Derksen, 33, ein früherer Profi, übernahm. Manchmal ist es so, dass ein Trainerwechsel wenig verändert. Bei ihr veränderte er viel. Aus Beck wurde eine bessere Spielerin. Vor allem: eine andere.

"Viele Frauen haben Probleme, wenn sie Kritik bekommen"

Beck hat ihre Position auf dem Platz verändert. Sie steht näher an der Grundlinie. Sie versucht Druck auszuüben mit ihren soliden Topspin-Schlägen. Links und rechts, links und rechts, sie kann ihr Spiel relativ lange ohne viele Fehler durchziehen. Sie veränderte auch: ihre Mentalität vor und nach dem Wettkampf. "Natürlich geht es darum, wenn man sich verbessern will, mal über den Tellerrand zu schauen und neue Dinge auszuprobieren, die am Anfang noch ungewohnt sind", erklärte sie. "Letztlich geht es auch darum, sich als Persönlichkeit weiterzuentwickeln." Dass die oft übersehene Beck eine Person mit Tiefe ist, verdeutlichte sie, als sie von alleine über etwas sprach, das bei anderen Profis meist ein schwieriges Thema ist: die eigene Kritikfähigkeit.

"Viele Frauen haben Probleme, wenn sie Kritik bekommen", sagte sie und schmunzelte, aber nur kurz. Es war ihr ernst. "Letztendlich hat jede Tennisspielerin ja ihren eigenen Sturkopf und weiß es besser", sagte sie. Sie wollte aus diesem Verhaltensmuster ausbrechen. Um sich weiterzuentwickeln. "Ich glaube, ich habe in diesem Bereich einen Riesenschritt gemacht", befand Beck, weil sie lernte, "offen für Kritik zu sein". Derksens ruhige, analytische Art schätzt sie sehr, er vermittelt seine Gedanken so, "dass ich das auch gerne annehme".

Das Positive der neuen Beck war in ihrem Drittrunden-Match sichtbar. Während Siegemund anfangs nervös wirkte, was auch Beck auffiel, spulte sie "mit Tunnelblick" ihre Links-Rechts-Kombinationen runter. "Bis zum 6:0, 3:0 war es ein perfektes Match", urteilte sie richtig. Dann nahm Siegemund eine WC-Pause, was erlaubt ist, brach Becks Rhythmus, wagte mehr und glich zum 4:4 aus. Beck konterte. Und machte später nur sich Vorwürfe. "Es war mein Verschulden", sprach sie. Sie habe Siegemund ins Spiel zurückgelassen, die tatsächlich zuvor wie angekettet agiert hatte.

Abitur mit 17, ihr Vater ist Professor in Chemie

Gegen Spielerinnen mit mehr Möglichkeiten sind Becks Grenzen offensichtlich, es ist eher wahrscheinlich, dass sie nie ein Grand-Slam-Turnier gewinnen wird. Aber dass aus ihr eine Leistungssportlerin wurde, die bislang 1,3 Millionen Dollar Preisgeld eingespielt und noch viele Jahre vor sich hat, ist respektabel - sie hätte zudem ganz andere Wege gehen können. In der Schule übersprang sie eine Klasse und schaffte mit 17 das Abitur, Notendurchschnitt 1,4. Ihr Vater ist ein Professor in Chemie. Als Kind war Beck vielseitig interessiert und begabt, schwamm gut, tanzte Ballett, spielte Geige, was sie heute noch zur Entspannung tut. Und doch entschied sie sich fürs Tennisspielen, das sie mit fünf begonnen hatte. Als ihren größten Erfolg sah sie bislang ihren 2012 errungenen Juniorinnen-Titel bei den French Open an. "Das Achtelfinale hier ist mein größter Erfolg", sagte sie nun.

Jetzt hofft sie, dass der nächste Wunsch in Erfüllung geht - und "wir in einem der Stadien spielen". Das sollte so kommen gegen die Weltranglisten-Siebte Kerber. In jedem Fall gilt: Beck ist bei den Australian Open auf der großen Bühne angekommen - Achtelfinalistin bei einem Grand Slam war sie noch nie.

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