Süddeutsche Zeitung

Australian Open:Kerber muss die Puzzleteile zusammenfügen

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Von Barbara Klimke, Melbourne

Neues Jahr, neues Kleid. Ganz in Blau wird Angelique Kerber am Montag in Melbourne zum ersten Aufschlag an die Grundlinie schreiten. Ihre aktuelle Kollektion stellte sie am Samstag ihrem Anhang bei Twitter vor; das alte, schwarze Dress der vergangenen Monate wird in den Kleiderschrank der Erinnerungen gehängt. Blau also: wie der endlose Himmel, wie die Tiefe des Meeres und wie der Plexicushion-Belag, der in den Tennisarenen der Australian Open auf dem Boden ausliegt. Ein Ton, so behaupten die Farbendeuter, der Besonnenheit, Harmonie und Vertrauen ausdrückt, luftig, leicht und flüchtig. Die passende Wahl somit für eine Profitennisspielerin, die sich nicht neu erfindet, die aber im Alter von 30 Jahren ein paar neue Akzente setzen will.

Angelique Kerber hält nicht viel davon, die abgelaufene Saison mit den Erwartungen für die nun bevorstehende zu vergleichen, erklärte sie am Samstag vor dem Beginn des Melbourner Grand-Slam-Turniers. Nur so viel: Sie sei "ein bisschen reifer geworden" in dem Jahr, in dem sie Wimbledonsiegerin wurde. "Und ich weiß jetzt auch wieder ein bisschen besser, was mir guttut und wie ich mich am besten vorbereite." Wie schon im vergangenen Jahr reiste sie zunächst nach Perth zum Hopman-Cup, einem Teamwettbewerb, bei dem sie an der Seite von Alexander Zverev das Finale gegen das Duo aus der Schweiz bestritt. Dann flog sie quer über den Kontinent an die Ostküste zum Turnier in Sydney und kam dort bis ins Viertelfinale, wo sie ohne die letzte Gegenwehr der späteren Turniersiegerin Petra Kvitova unterlag.

Natürlich fand sie es schade, dass sie ihren Titel dort nicht verteidigen konnte. Aber der Ausflug war vor allem als ein letzter Formtest gedacht: "Man weiß ja nie, wo man nach zwei Monaten Vorbereitung steht. Jetzt bin ich froh, dass es losgeht."

Skeptiker zum Schweigen gebracht

Für Kerber ist dies nun das Jahr Nummer eins nach dem Wimbledonsieg: das Jahr, nachdem sie sich ihren Kindheitstraum auf dem Rasen des All England Clubs erfüllte; das Jahr, nachdem sie all die skeptischen Stimmen zum Schweigen gebracht hat - jene ihrer externen Kritiker, aber auch jene, die ihren eigenen Selbstzweifeln entsprangen. Alles, was danach kam, ist eine Zugabe gewesen: die Wahl zur Sportlerin des Jahres in Deutschland ebenso wie der Herbsttag in einem Mailänder Fotostudio, als sie, von Stylisten umgeben, in teure Roben schlüpfte und die Bildstrecke für die Vogue entstand. "Sehr aufregend" sei die Erfahrung gewesen, erzählte sie mit leuchtenden Augen.

Ihr Ehrgeiz als Tennisspielerin lodert auch als Vogue-Covergirl wie gewohnt; und doch haben sich die Perspektiven ein wenig verschoben. Angelique Kerber, die 2016 die Australian Open und die US Open gewann, dann in ein tiefes Formtief fiel, ehe sie noch einmal ihre Willenskräfte bündelte und in Wimbledon triumphierte, hat in ihrem 16. Profijahr ein Stadium erreicht, in dem sie nichts und niemandem mehr etwas zu beweisen hat. Das nächste große Ziel, das sie nun anstrebt, sei der Sieg bei den French Open in Paris, hat sie im Dezember bei der Sportler-Gala in Baden-Baden berichtet: Es ist der einzige Grand-Slam-Titel, der ihr in ihrer Trophäensammlung noch fehlt.

Trainer Schüttler als "Weltklassespieler-Versteher"

Zunächst jedoch wird sie am Montag in Melbourne in ihrem Auftaktmatch der Slowenin Polona Hercog gegenüberstehen. Für alle anstehenden Aufgaben hat sie sich Rainer Schüttler als Coach an die Seite geholt. Ein Experte, der als ehemaliger Profispieler und Melbourne-Finalist von 2003 dem Anforderungsprofil des modernen Trainers mit eigenen Grand-Slam-Erfahrungen entspricht. Das Engagement seines Vorgängers Wim Fissette ging im Herbst abrupt zu Ende. An Schüttler schätzt Kerber, dass er die Hexenkessel-Atmosphäre eines Turniers aus eigenem Erleben kennt, dass er den Sport so liebt wie sie und ähnlich hart auf dem Platz geschuftet hat: "Er weiß, wie es ist, unter Druck zu stehen, und er kennt die Gefühle auf dem Platz." Ein Weltklassespieler-Versteher, der den zusätzlichen Vorteil hat, dass Kerber mit ihm beim Bälleschlagen Deutsch reden kann.

Es gibt weitere Veränderungen zu bestaunen, eine XXL-Variante ihres Aufschlags beispielsweise, den sie jetzt mit mehr Wucht und Geschwindigkeit den Gegnerinnen um die Ohren fliegen lassen kann. An solchen Details, sagte Kerber, könne man im Tennis immer arbeiten; auch wenn klar sei, dass "ich nie so aggressiv spielen werde wie Serena Williams".

Ob sich all die neuen Puzzleteile - der Trainer, der Aufschlag, das Selbstbewusstsein - zu einem Bild fügen lassen, wird sich erst am Montag unter verschärften Wettkampfbedingungen auf dem Platz zeigen. Schon jetzt aber lässt sich auf den Grundton tippen, der ein stimmiges Gesamtkonzept annehmen könnte: ein luftig-leichtes, harmonisches Blau.

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Quelle:
SZ vom 13.01.2019
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