Australian Open:Abmarsch mitten im Match

Daniil Medvedev

Polyglott: Daniil Medwedew kann auf Russisch, Englisch und Französisch Beschwerde führen.

(Foto: Andy Brownbill/AP)

Der Russe Daniil Medwedew erreicht das Achtelfinale der Australian Open im Tennis und steigt zu einem Turnierfavoriten auf. Sein Zorn auf dem Platz vertreibt allerdings den eigenen Coach aus der Halle.

Von Barbara Klimke, Melbourne/München

Fünf Sätze dauerte das Match von Daniil Medwedew, Russlands bestem Tennisspieler, am Samstag. Für seinen Coach war es schon viel früher vorbei, im vierten Durchgang beim Stand von 1:4. Da schnappte sich Gilles Cervara seine Tasche, stand wortlos auf, marschierte die Treppen empor und verließ die Rod Laver Arena im Melbourne ohne einen Blick zurück. Medwedew, 25, einer der Favoriten der Australian Open, hat auch ohne seinen langjährigen Trainer das Achtelfinale erreicht. Hinterher gab er allerdings recht kleinlaut zu, dass eine Aussprache nötig sei.

Ob Cervara von sich aus ging, ob Medwedew ihn aus der Halle wies, darüber gab es nach dem 6:3, 6:3, 4:6, 3:6, 6:0 unterschiedliche Interpretationen. Boris Becker, der das Schauspiel als Experte des Senders Eurosport verfolgte, sagte jedenfalls verblüfft: "Das habe ich so noch nie gesehen."

Unüberhörbar hatte Medwedew, der ATP-Finals-Sieger, wiederholt seinen Trainer angeblafft - auf Französisch, der Sprache, in der sie sich normalerweise in zivilerem Ton unterhalten. Auch auf Englisch machte der multilinguale Russe seiner Wut Luft: Mal echauffierte er sich über die Kameras auf dem Platz, mal über die die famosen Schläge seines serbischen Gegners Filip Krajinovic ("unbelievable!"). Dann wiederum nahm er eine abrupte Auszeit, als der Kontrahent gerade in Schwung gekommen war nach dem dritten Satz, weshalb Krajinovic mit dem Schiedsrichter debattierte.

"Manchmal bin ich eben ziemlich temperamentvoll auf dem Platz", erklärte Medwedew ungerührt. Er besteht darauf, dass er schon sehr viel an Ruhe gewonnen habe, nun im gesetzten Alter von 25 Jahren: "Ich finde, ich habe bei der Arbeit für meine mentale Stärke große Fortschritte gemacht." Im Match gegen Krajinovic sei ihm allerdings nach den ersten beiden Sätzen die Kontrolle entglitten. In seiner Verärgerung habe er einen Blitzableiter gesucht und diesen in seinem Coach gefunden: "Ich brülle ihn an, bin aber sauer auf mich."

Medwedews Bilanz: Er ist seit 17 Matches ungeschlagen

Der Franzose Gilles Cervara, 40, ist derlei Psychospielchen offenbar gewöhnt. "Die Leute kapieren manchmal nicht, was in den Köpfen von Genies vorgeht", hat er vor einiger Zeit einmal gesagt. Er betreut den Russen seit mehr als sechs Jahren, hat ihn an die Weltspitze geführt und wurde 2019, als Medwedew das US-Open-Finale erreichte, von der Männer-Tour ATP sogar als "Trainer des Jahres" geehrt. Sein Abmarsch aus der Halle am Samstag in Melbourne jedenfalls zeigte den erhofften pädagogischen Effekt: Medwedew hatte seine aufwallenden Gefühle von da an im Griff und gewann den fünften Satz im Eiltempo 6:0.

Zwar hat Medewdew auch diesmal die Halle ohne Lächeln verlassen. Aber Tatsache ist: Mit dem Drittrundenerfolg bei den Australian Open ist er nunmehr seit 17 Matches nacheinander ungeschlagen. Ende letzter Saison hatte er zunächst das Masters in Paris gewonnen, dann die Londoner ATP-Finals, in diesem Jahr setzte er die Serie mit vier Siegen beim ATP Cup direkt vor den Australian Open fort. Zunehmend rückt er damit auch in Melbourne in die Favoritenrolle, zumal der Gesundheitszustand des achtmaligen Turniersiegers Novak Djokovic weiter Fragen aufwirft. Der serbische Weltranglistenerste hatte sich in seiner Partie gegen den US-Amerikaner Taylor Fritz eine Bauchmuskelverletzung zugezogen, aber weitergespielt und gewonnen. Das Training am Samstag ließ er ausfallen, unter welchen Voraussetzungen er am Sonntag gegen den Kanadier Milos Raonic antreten kann, blieb offen.

Medwedew trifft nun auf den Amerikaner Mackenzie McDonald, der in der Weltrangliste auf Platz 192 steht: Die Partie dürfte eine lösbare Aufgabe sein für die aktuelle Nummer vier. Ohnehin sind Russlands Tennisprofis in diesem Jahr als Trio ins Achtelfinale eingezogen - erstmals überhaupt in der Geschichte der Australian Open: Auch Andrej Rublew, 23, steht nach dem Sieg über den spanischen Routinier Feliciano Lopez 7:5, 6:2, 6:3 in der Runde der letzten Sechzehn; ebenso der ungesetzte 27-jährige Aslan Karazew.

Das große Rätsel wird sein, ob sich Medwedew rechtzeitig bis Montag mit seinem Trainer aussöhnt. Er selbst war da recht zuversichtlich. "Wir werden ein bisschen reden", sagte er in der Pressekonferenz: "Es ist kein großes Ding."

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