Es war interessant zu sehen, wie sich Paula Badosa und Aryna Sabalenka begegneten in ihrem Halbfinale bei den Australian Open. Die beiden sind Freundinnen, „Seelenverwandte“ gar, wie Badosa einmal sagte. Im Tennis ist so was freilich kompliziert, weil Seelenverwandte dann eben auch mal gegeneinander um den Einzug in ein Grand-Slam-Finale kämpfen; und in diesem Fall nicht um irgendeines: Sabalenka möchte die erst sechste Spielerin werden, die dreimal nacheinander in Melbourne gewinnt – zuletzt war dies der Schweizerin Martina Hingis (1997 bis 1999) gelungen.
Die Spanierin Badosa wartete auf dem Platz in diesem Dreieck, das sie zur Orientierung auf den Boden gemalt haben. Sie wartete und wartete, drei Minuten lang, und als Sabalenka kam, sah Badosa hinüber zur Seelenverwandten – doch die starrte grimmig in Richtung Eingang, als würde sie gegen eine Fremde antreten. Damit ist auch schon die Geschichte der Partie erzählt: Badosa spielte ordentlich, aber sie spielte wie eine, die gerne gegen ihre beste Freundin gewinnen will; Sabalenka trat auf, als würde sie die Person auf der anderen Seite vom Platz schießen wollen.

Djokovic gegen Zverev bei den Australian Open:Reine Kopfsache
Das Halbfinale zwischen Alexander Zverev und Novak Djokovic wird nur zum Teil auf dem Tennisplatz entschieden. Die Partie zwischen den beiden Kontrahenten hat schon lange begonnen – mit Witz und mentalen Spielchen.
Zum Beispiel das fünfte Spiel des ersten Satzes. 2:2 hieß es nach dem munteren, mutigen Beginn von Badosa und dem Ins-Match-Finden von Sabalenka mit grantigen Grundschlägen. Zehn Minuten dauerte das Aufschlagspiel von Badosa, die fünf Breakbälle abwehrte sowie eine Chance zum Spielgewinn vergab. Der 16. und letzte Ballwechsel war ein Grundlinienduell mit insgesamt zwölf Schlägen – und ja, das hört sich arg abgedroschen an, aber Sabalenka gewann diesen Punkt, dieses Spiel und die Kontrolle über diese Partie, weil sie das mehr wollte. Sie wurde immer unbarmherziger, schonungsloser in diesem Punkt, sie erzwang den Fehler der verzagten Badosa.
Iga Swiatek hatte vor dem Halbfinale in fünf Partien nur 14 Spiele abgegeben
Danach brüllte sie „Let’s Go!“, was wie ein zusätzlicher Schwinger in die Magengrube von Badosa gewirkt haben muss. Denn im Grunde war diese Partie von diesem Moment an vorbei. 40 Minuten hatten diese ersten fünf Spiele gedauert; Dauer der restlichen 13 Spiele bis zum 6:4, 6:2 für Sabalenka: 46 Minuten. „Nach diesem Break habe ich gutes Tennis gespielt“, sagte sie danach.
Ruthless war das, was Sabalenka da mit ihrer besten Freundin getan hat: Man kann das mit schonungslos oder unbarmherzig übersetzen. Der englische Begriff sei hier deshalb erwähnt, weil er in Melbourne häufig gesagt wurde über jene Spielerin, von der viele gedacht hatten, dass sie die Gegnerin von Sabalenka um den Titel und damit auch Platz eins der Weltrangliste sein würde. In fünf Partien hatte Iga Swiatek insgesamt nur 14 Spiele abgegeben. Urteil zweier Gegnerinnen: „ruthless“ sei das; die deutsche Eva Lys sagte nach dem Achtelfinale (0:6, 1:6), dass sie „von einem Zug überfahren worden“ sei.

Nur: Das zweite Halbfinale zwischen der Polin Swiatek und der Amerikanerin Madison Keys entwickelte sich zur hochklassigsten Frauentennis-Partie seit dem Australian-Open-Halbfinale 2018, das Angelique Kerber 7:9 im dritten Satz gegen Simona Halep verloren hatte. Es endete mit einem noch knapperen Ergebnis, weil mittlerweile Tiebreak gespielt wird im entscheidenden Durchgang. Keys gewann diesen im dritten Satz mit 10:8, und zwar deshalb, weil sie, nun ja, ruthless war. Sie hatte davor bereits einen Matchball bei Aufschlag Swiatek mit donnerndem Return abgewehrt; die Punkte vom 5:7-Rückstand im Tiebreak an: krachende Rückhand, krachende Vorhand – und nach Wahnsinnspunkt für Swiatek: Ass; harter Aufschlag, den Swiatek nur mit dem Rahmen touchierte; drei aggressive Grundschläge beim Matchball. Unbarmherzig war das und nervenstark, und zwar so, dass Kerber – inzwischen Expertin bei Eurosport – sagte, dass sie Tennisspielen jetzt doch sehr vermisse.
Der 29 Jahre alten Keys hängt ein Makel an - in Melbourne könnte sie ihn loswerden
Kerber weiß, wie sich das anfühlt, wenn man in diesen Momenten, wo es in einem Wahnsinnsmatch nur auf einige wenige Punkte ankommt, auf dem Platz steht. Keys auch, nur: Sie hat diese Partien oft verloren; gegen Sabalenka zum Beispiel, im Viertelfinale der US Open 2023, 5:7 im Tiebreak des dritten Satzes. „Sie hatte damals unglaublich gespielt und alles getroffen“, erinnert sich Sabalenka: „In manchen Momenten hat sie angefangen, sich zu hinterfragen. Das habe sie bemerkt und versucht, die Bälle einfach nur ins Feld zu spielen. Das hat das Match gedreht.“ Auch deshalb hängt der 29 Jahre alten Keys der Makel an: Ja, ins Halbfinale von Grand-Slam-Turniere kommt sie (siebenmal bislang) und auch mal ins Endspiel (US Open 2017); bei prägenden Ballwechseln in wichtigen Matches aber agiert sie, die sonst ultraaggressiv spielt, verzagt, zögerlich – und nicht ruthless.
Nun, ausgerechnet gegen die bislang unbarmherzige Swiatek, da war sie die Schonungslose, die mutig auf die Bälle prügelte und danach selbst kaum glauben konnte, was sie da gerade geleistet hatte. „Ich habe einen Matchball abgewehrt, oder?“, fragte sie auf dem Platz; auf die Glasscheibe der Kamera am Spielfeldrand kritzelte sie: „Oh mein Gott!“ Später sagte sie noch: „Bei 5:5 im Dritten gebreakt werden und nicht verzagen; im Tiebreak irgendwie dran bleiben: Fühlt sich schon anders an, die zu sein, die am Ende gewinnt.“
Was es für ein Finale werden wird am Samstag? Beide, Sabalenka und Keys, dreschen gern mit voller Kraft auf die Bälle ein, ohne Rücksicht auf Verluste. Auch Sabalenka galt lange als eine, die vor großen Triumphen verzagt – was sie mit ihrem ersten Australian-Open-Sieg vor zwei Jahren loswurde. Sie weiß also, wie das ist, wenn man sich plötzlich befreit von den Zweifeln, wie Keys das nun getan hat. Man konnte Sabalenka beobachten – überall auf der Anlage sind Kameras angebracht, die Bilder werden zum Presseraum geschickt –, wie sie von ihrer Pressekonferenz zur Umkleide schlenderte. Auf einem Fernseher sah sie den dritten Satz im zweiten Halbfinale; Keys donnerte eine Vorhand die Linie runter zum Spielgewinn. Sabalenka guckte verblüfft; als hätte sie keine Bekannte, sondern eine Fremde entdeckt.