Vor dem Spiel, als sie noch in der Kabine saßen, hörten sie schon die Trommeln und die Gesänge der Fans, lauter als sonst. Da sagte Dan Ratushny, der Trainer der Straubing Tigers, zu Bernie Englbrecht, seinem Co-Trainer: "Kannst du das glauben, was hier los ist?" Als die Straubing Tigers gut zwei Stunden später das Halbfinale der Deutschen Eishockey-Liga (DEL) erreicht hatten, sagte Ratushny erst einmal gar nichts mehr.
Mit der Schlusssirene blickte er nur vor sich auf den Boden und pustete kräftig durch die Backen, während die Fans seinen Namen sangen und die Spieler sich überlegten, was sie zur Feier des Tages noch Schönes aufs Eis zaubern könnten. "Ich freue mich. Aber es ist wichtig, dass wir jetzt nicht zu enthusiastisch werden", sagte Ratushny später.
Dan Ratushny ist einer, der sich eher ruhig bis gar nicht freut, er springt nicht herum und ballt die Faust wie Klinsmann oder Klopp. Abgesehen davon aber erinnerte das, was am späten Mittwochabend in Straubing passierte, doch an Szenen, die man sonst vor allem von großen Fußball-Turnieren kennt.
Gegen halb elf bewegte sich ein Autokorso vom Eisstadion am Pulverturm den Kinseherberg hinauf Richtung Altstadt, wo noch lange gefeiert wurde, sehr lange, es schien, als versänke die ganze, niederbayerische Kleinstadt mit ihren 45 000 Einwohnern in Euphorie. Die Straubinger hatten 7:3 gegen Wolfsburg gewonnen und damit die Viertelfinal-Serie 4:0, sie hatten den Favoriten aus den Playoffs geworfen, keinesfalls glücklich: Sie haben den Vorjahreszweiten dominiert.
Dafür gab es vor allem zwei Gründe. Der erste heißt Barry Brust: Der kanadische Torwart der Tigers war trotz siebenwöchiger Pause ein ruhiger und zuverlässiger Rückhalt; bis zum zwischenzeitlichen 1:0 für Wolfsburg im vierten Spiel lagen die Tigers in der Serie kein einziges Mal zurück. Im ersten Heimspiel gelang ihm sogar ein Shutout: Er kassierte keinen einzigen Treffer. Die Tigers selbst dagegen erzielten auch da schon sieben.
Zweitens schoss Straubing gegen die beste Abwehr der Punkterunde in vier Partien 19 Tore. Dass 14 davon zu Hause erzielt wurden, ist dabei kein Zufall, denn man bekommt hier schnell das Gefühl, dass Fans und Mannschaft zu einer Einheit geworden sind. Die Mannschaft ist bekannt für ihr schnelles und aggressives Spiel, die Fans für ihr lautes und gut gelauntes Auftreten.
Für Wolfsburg jedenfalls war diese Mischung Gift: "Wir waren kein Gegner für Straubing. Sie haben mehr Willen gezeigt und die Zweikämpfe gewonnen", sagte Wolfsburgs Trainer Pavel Gross. Weil seine Spieler oft nur hinterher fuhren, stellte sich bisweilen Frust ein: Im vierten Spiel hatte Wolfsburg 16 Strafminuten, Straubing sechs, das 1:1 durch Bernhard Keil fiel während einer doppelten Strafzeit zu Beginn des zweiten Drittels.
Und jetzt ist das Straubinger Frühlingsmärchen auch in der Stadt sichtbar. Viele Fenster sind mit Trikots und Schals geschmückt, die Autos sowieso, und beim Friseur wie beim Metzger gibt es kein anderes Thema mehr. Die Euphorie ist spontan und zugleich historisch begründet. Straubing war schon immer eine Eishockeystadt, in den 1940er Jahren war der zugefrorene Weiher neben dem Pulverturm das erste Spielfeld.
Die Sportart konnte sich dank vieler charismatischer Persönlichkeiten und trotz finanzieller Nöte über die Jahrzehnte als Nummer eins in der Stadt behaupten. In der höchsten Liga spielt man aber erst seit dem Aufstieg vor sechs Jahren. Bislang hatte man da noch nie die Playoffs erreicht, das Halbfinale ist natürlich der größte Erfolg der Klubgeschichte.
Gerade weil Straubing so lange fernab der großen Erfolge lag, hat sich hier eine bemerkenswerte Bindung zum Eishockey und seinen Spielern erhalten, die besonders in diesem ungewöhnlichen Stadion spürbar wird.
Siegestanz mit zu "Beat it" - mit freiem Oberkörper
Das Eisstadion am Pulverturm ist keine wohltemperierte Multifunktionshalle - der sportliche Leiter der Tigers, Jason Dunham, hat erst neulich bekräftigt, dass man daran auch nichts ändern wolle, dass der Verein sein Zuhause als Gegenkonzept zur Arena-Kultur versteht. Zwar wurde die offene Ostseite des Stadions geschlossen, weshalb es ein wenig seines ursprünglichen Charakters (Winter!) eingebüßt hat - aber nur, weil Auflagen es verlangten.
An der Atmosphäre hat sich wenig geändert, auch nicht am Image Straubings in der DEL, das dem des gallischen Dorfes ähnelt. Wobei in Straubing niemand verprügelt wird, vielmehr wirkt alles etwas putzig: Die Gäste werden vor dem Spiel mit Applaus begrüßt und nachher auf der Straße mit dem Ruf "gute Heimreise" verabschiedet. Das Tigers-Maskottchen hat sich für die Playoffs einen Bart angeklebt und fährt mit einem Schild in den Stoffpranken über das Eis, auf dem steht: "Wer rasiert, verliert."
Dann gibt es noch ein anderes Maskottchen, das nach Heimsiegen tanzt, es könnte auch Profi-Breakdancer sein. Sein Name ist Bruno St. Jacques, nebenbei wichtiger Spieler der Tigers; nach dem Sieg gegen Wolfsburg machte St. Jacques beim Tanz zu "Beat it" von Michael Jackson auch noch den Oberkörper frei. Die Grenzen zwischen Fans und Spielern, zwischen Klub und Stadt verschwammen am Mittwoch, und so wird es auch während des Halbfinales sein, wohl gegen den Titelfavoriten aus Berlin. Egal, wie es ausgeht.