Ausschreitungen in Ägypten:Schrotkugeln gegen Fußballfans
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Drei Jahre nach den Krawallen in Port Said wollte Ägyptens Fußball wieder vor Fans spielen - prompt sterben erneut mindestens 19 Menschen. Die Reaktionen schwanken zwischen Wut und Verschwörungstheorien.
Von Paul-Anton Krüger, Kairo
Eine neue Tragödie erschüttert den Fußball in Ägypten: Mindestens 19 Menschen sind nach Angaben des Gesundheitsministeriums am Sonntagabend bei schweren Zusammenstößen zwischen den Sicherheitskräften und Ultras des Kairoer Vereins Zamalek in einem Vorort der Hauptstadt ums Leben gekommen. Ärzte berichteten von mehr als 30 Toten, die Staatsanwaltschaft sprach von 22 Opfern. Sie leitete Ermittlungen ein und ordnete an, die Opfer zu obduzieren. Die meisten waren zwischen 17 und 23 Jahren alt. Über Auslöser und Verlauf des Vorfalls gibt es - wieder einmal - widersprüchliche Versionen.
Nach Angaben der Sicherheitskräfte hatten sich Tausende Zamalek-Anhänger, unter ihnen Mitglieder der Ultra-Gruppe "White Knights", ohne Eintrittskarten am Stadion der Luftverteidigungsstreitkräfte eingefunden, um das Erstliga-Spiel gegen den Engineering for the Petroleum and Process Industries Club (ENPPI) zu sehen. In einer Mitteilung des Innenministeriums hieß es, die Fans hätten mit Gewalt versucht, ins Stadion zu gelangen. Die Polizei habe "verhindern müssen, dass sie öffentliches Eigentum beschädigen". Ein Dekret von Ägyptens Präsident Abdel Fattah al- Sisi gibt der Polizei weitreichende Befugnisse beim Schutz staatlicher Einrichtungen.
Als die Polizisten angefangen hätten, die Menge mit Tränengas auseinanderzutreiben, sei es zu einer Panik gekommen, hieß es weiter, die Opfer seien niedergetrampelt worden. Die meisten seien erdrückt oder erstickt worden. Das Ministerium sprach von 10 000 Fans, die versucht hätten, die Zugangstore des Stadions zu stürmen. Zudem hätten die Ultras versucht, den Mannschaftsbus von Zamalek vor dem Stadion zu stoppen.
Die Fans berichteten dagegen im Internet und in Interviews mit ägyptischen Medien, die Polizei habe ohne Warnung begonnen, mit Tränengas und Schrotkugeln auf sie zu schießen. Für die Zamalek-Fans habe es nur ein einziges, vier Meter breites Zugangstor ins Stadion gegeben, der schmale Korridor dorthin sei mit Stacheldraht eingezäunt gewesen.
Als die Polizei zu feuern begonnen habe, seien die Menschen in Panik geraten und hätten versucht zu fliehen. Dabei seien die Opfer niedergetrampelt worden; andere seien an dem Tränengas erstickt. Es habe eine Stunde gedauert, bis Rettungswagen eingetroffen seien. In einer Erklärung warfen die White Knights der Polizei ein "geplantes Massaker" und eine "schmutzige Verschwörung" vor.
Zu dem Match waren nur 10 000 Zuschauer zugelassen, 5000 Tickets waren laut ägyptischen Medien im freien Verkauf erhältlich, 5000 seien über ENPPI verteilt worden. Die ägyptischen Behörden hatten erst in der vergangenen Woche eine Regelung gelockert, nach der Erstliga-Spiele aus Sorge vor Zwischenfällen vor leeren Rängen ausgetragen werden mussten. Diese war als Reaktion auf die Stadion-Tragödie von Port Said im Februar 2012 mit 72 Toten verhängt worden. Nun sollten die Fans im Laufe der Rückrunde nach und nach in die Stadien zurückkehren können.
Die Ultras von Zamalek gelten als gewaltbereit. Klubchef Mortada Mansour beschuldigte sie in der BBC, sie wollten die anstehenden Parlamentswahlen sabotieren und Ägypten vor dem Besuch des russischen Präsidenten Wladimir Putin in Kairo blamieren. Er brachte die Ultras in Zusammenhang mit der als Terrorvereinigung verbotenen Muslimbruderschaft. Mansour hatte das Innenministerium aufgefordert, alle Ultra-Gruppen zu verbieten.
Sein Sohn Ahmed, ebenfalls Mitglied des Vorstands, schrieb auf seiner Facebook-Seite: "Ihr versteht gar nichts. Ihr könnt euch nicht mit Gewalt Zugang verschaffen. Niemand wird die Spiele ohne Tickets sehen können." Fußball sei nur etwas für respektable Fans und nicht für Schläger.
Dem hielt der nach Saudi-Arabien ausgeliehene Zamalek-Verteidiger Mohamed Abdel Shafy entgegen, was vor dem Stadion geschehen sei, könne man nur als "weiteres Massaker" bezeichnen. Alle Schuld treffe die Spieler des Klubs. "Wie konnten sie zustimmen, das Spiel auf den Leichen ihrer Fans auszutragen?", fragte er. Die Partie war mit 40 Minuten Verspätung trotz der Vorfälle angepfiffen worden.
Der Verband schlug vor, die Liga unter Ausschluss der Zuschauer fortsetzen. Die Regierung entschied aber, den Spielbetrieb auf unbestimmte Zeit auszusetzen. Es wäre die dritte Saison seit dem Sturz des Autokraten Hosni Mubarak im Februar 2011, die nicht zu Ende gespielt oder annulliert wird.
Das Verhältnis zwischen Fußballfans und Polizei ist seit langem angespannt; mit der Revolution vor vier Jahren ist es in offene Feindschaft umgeschlagen. Die rivalisierenden Ultras der Kairoer Klubs al-Ahly und Zamalek hatten sich in den ersten Reihen an den Protesten gegen das Regime beteiligt und sich den Polizeiknüppeln entgegengestellt. Unter den etwa 840 Getöteten bei den Protesten vor dem Sturz Mubaraks waren etliche ihrer Mitglieder. Schon bei der Katastrophe in Port Said gab es Vorwürfe gegen die Polizei, sie habe nicht eingegriffen, als Anhänger des Klubs Masry nach dem Spiel die Fans des Gästevereins al-Ahly angriffen, der wohl populärsten Mannschaft aus Kairo. Manche gingen soweit, die Sicherheitskräfte der Mittäterschaft zu bezichtigen.