Rückzug von Ruderin Drygalla:Eine deutsche Frage

Enthüllungen über ihre private Nähe zu einem Rechtsradikalen zwingen die Ruderin Nadja Drygalla zum Rückzug aus dem Olympiadorf. 2011 verließ sie bereits den Polizeidienst. Auf Druck. Deshalb befremdet jetzt die Ahnungslosigkeit des deutschen Olympiasports.

Thomas Kistner

"Wir für Deutschland", lautet das Motto, mit dem der Deutsche Olympische Sportbund (DOSB) 392 Athleten nach London schickte. Jetzt sind es nur noch 391, Ruderin Nadja Drygalla hat das Olympische Dorf am Donnerstagabend fluchtartig verlassen; ähnlich flott verschwanden auch im Internet einschlägige Hinweise auf Drygallas Privatleben:

Ruderin Drygalla verlaesst Olympisches Dorf

Die Ruderin Nadja Drygalla, hier während ihres Rennens mit dem Achter, ist aus dem Olympischen Dorf abgereist.

(Foto: dapd)

Ihr Freund ist schließlich Auslöser der schwarzrotgoldenen Tumulte, die Michael Vesper, Chef de Mission des deutschen Olympia-Teams, am Freitag zu einem medialen Erklärungs-Marathon zwangen. Denn Drygallas Gefährte soll als Kaderführer der "Nationalen Sozialistischen Partei Rostock" mit rechtsextremen Auftritten auffällig geworden sein. Kontakte zur rechten Szene, das deutsche Team im Dunstkreis brauner Wirrköpfe?

Die Sportleitung verbrachte eine aufregende Nacht, nach einem 90-minütigen Gespräch mit Drygalla. Anderntags sagte Vesper, er glaube nicht, dass ein rechtsextremer Hintergrund bei der Athletin vorliege, auch zweifle er nicht, dass sie "auf dem Boden des Grundgesetzes und der olympischen Werte" stehe.

Drygalla habe sich von der rechtsextremen Szene distanziert, berichtete Vesper weiter. Den Entschluss, abzureisen, habe sie zur Entlastung des deutschen Teams getroffen. "In Deutschland gibt es Gott sei Dank den Grundsatz, dass jeder für seine eigenen Taten verantwortlich ist und nicht für die seines Umfeldes", sagte der DOSB-Generaldirektor und warnte ebenso wie der Chef des Deutschen Ruderverbandes (DRV), Siegfried Kaidel, vor einer Vorverurteilung der Athletin. Man werde nach den Spielen das Gespräch mit ihr fortsetzen.

Das Bemühen der deutschen Sportführung, das Thema schnell zu den Akten zu legen, ist nachvollziehbar. Aus London wurden ja bereits mehrfach Athleten heimgeschickt, die rassistische Tweets verbreitet hatten. Offiziell verfolgt Olympia hehre Ziele, die Völkerverständigung und die Erziehung der Weltjugend. Gerade deshalb lässt der Umgang mit der Causa Drygalla zentrale Fragen offen.

Denn ein hartes Gespräch mit der Rostocker Athletin hatte schon im Frühjahr 2011 ihr damaliger Arbeitgeber gesucht: Die Landespolizei von Mecklenburg-Vorpommern. Und am Ende stand Drygallas Abschied. Im März 2008 war sie Polizeianwärterin geworden, damals debütierte sie in der neu geschaffenen Sportfördergruppe. Sie durfte gar neben dem Innenminister Lorenz Caffier auf dem Titelbild des Polizei-Journals posieren.

Drei Jahre später das brisante Gespräch mit dem Dienstherrn. Ein Sprecher des Innenministeriums: "Es war bekannt geworden, dass sich offen rechtsextreme Personen im Umfeld von Frau Drygalla bewegten. Deshalb wurden intensive Personalgespräche mit ihr geführt. Dann stellte sie den Antrag auf Entlassung und schied mit Wirkung zum 30. September 2011 aus." Und damit auch aus der Polizeiförderung, so bestätigte der Sprecher. Muss das nicht umgehend am Olympiastützpunkt (OSP) in Rostock bekannt geworden sein?

Auch der Freund war Ruderer

Die Frage lässt das Ministerium offen, informell hieß es, der Sport sei informiert worden. Dafür konkretisierte das Ministerium in einer Mitteilung, dass "intensive Personalgespräche (...) dazu führten, dass Nadja Drygalla einen Antrag auf Entlassung stellte". Minister Caffier stellte zudem klar: "Entgegen Medienberichten zeichnet das Innenministerium für die Entsendung der Olympiateilnehmer nicht verantwortlich, sondern die jeweiligen Sportverbände."

Die haben nun ein Problem. Vor dem Hintergrund der polizeilichen Vorgänge irritiert die in London zur Schau gestellte kollektive Ahnungslosigkeit. Zumindest im nordostdeutschen Sport dürfte bekannt gewesen sein, dass und warum die London-Kandidatin den Job quittierte. Dennoch hielt man sich am OSP in Rostock strikt bedeckt. Auf SZ-Anfrage hieß es, "alle verantwortlichen Leute" seien in London, man könne keine Auskunft geben. So bleibt offen, warum Drygalla um ihre Entlassung bat - und wie der OSP und der Landesverband mit dem Fall umgingen. Was sagen die Laufbahnberater des nationalen olympischen Sports zu einer jungen Polizistin, die jäh ihre Beamtenlaufbahn beendet?

Im Polizei-Journal von März 2008 sah Drygalla ja voll Hoffnung in die Zukunft: "Ich kann jetzt eine Ausbildung zur Polizeibeamtin absolvieren und gleichzeitig im Olympischen Ruderclub Rostock trainieren. Mir bieten sich also zukünftige Perspektiven, um die mich manch andere Leistungssportler in Deutschland beneiden. Nach Beendigung der Sportlerlaufbahn habe ich auch eine berufliche Zukunft."

Drygalla hatte 2006 und 2007 bei den Junioren-Weltmeisterschaften Bronze und Silber gewonnen. Schon damals ruderte sie mit der Klubkollegin Ulrike Sennewald, im Londoner Achter waren die beiden Rostockerinnen jetzt wieder gemeinsam unterwegs. Sennewalds Vater Hans ist Präsident des Landes-Ruderverbandes, 1992 hatte er Bronze im Deutschland-Achter gewonnen. Aber auch Hans Sennewald war am Freitag für eine Stellungnahme nicht zu erreichen.

In London hat Vesper nun besonders betont, dass dem DOSB bekannt sei, dass "Rechtsradikale in vielen Vereinen versuchen, auf Posten zu kommen - wir sind hellwach auf diesem Gebiet". Ist das so?

"Das politische Mandat für den deutschen Sport nimmt der DOSB wahr", sagt Stefan Felsner, Justitiar des DRV. Auch vor London sind die Olympia-Fahrer wieder unter Stasi-Aspekten durchleuchtet worden. Gab es aus dem Innenministerium in Schwerin keinen Hinweis zu Drygalla?

Vom Sport in der Region durfte man das wohl eher nicht erwarten. In DRV-Kreisen heißt es, auch Drygallas rechtslastiger Freund soll früher im Rostocker Spitzensport tätig gewesen. Bei der Junioren-WM 2006 sogar als Schlagmann im - wie der Landessportbund damals stolz mitteilte - "Kleinen Deutschland-Achter".

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