Augsburg - Frankfurt (17.30 Uhr):Jesus, das Juwel

Augsburg - Frankfurt (17.30 Uhr): Doppelgrätsche: Frankfurts Verteidiger Vallejo (rechts), hier gegen Dortmund-Decker Sokratis.

Doppelgrätsche: Frankfurts Verteidiger Vallejo (rechts), hier gegen Dortmund-Decker Sokratis.

(Foto: Michael Probst/AP)

Der erst 19 Jahre junge Verteidiger Vallejo ist das wohl beste Leihgeschäft der Liga. Frankfurt hat seine helle Freude am Spanier.

Von Frank Hellmann, Frankfurt

Die Neugier dieses jungen Mannes ist verbrieft. Und dabei geht es längst nicht nur um die Banalitäten, die mit dem Fußball zu tun haben. Jesus Vallejo hat zum Beispiel schnell erkannt, dass Deutschland in Sachen Abfallbeseitigung anders tickt als Spanien. Während der Müll in seiner Heimat einfach in eine große Tonne kommt, trennt seine Wahl-Heimat aufwendig. Und so kam es vor einiger Zeit mit seinem Sprachlehrer Stéphane Gödde zu einem Exkurs zum Thema Recycling: Plastik und Kunststoff in den Gelben Sack, Papier bitte in den grünen Eimer, Kompost in den braunen. Was dann noch übrig bleibt, kann wie zuhause weggeworfen werden.

Der 19-Jährige wollte auch hier alles ganz genau wissen und verstehen. Selbst wenn sein Engagement bei Eintracht Frankfurt vermutlich im nächsten Sommer endet, hat der von Real Madrid ausgeliehene Fußballprofi wieder etwas fürs Leben mitgenommen. Zweimal die Woche setzen sich die "Hispanos", die spanisch sprechende Fraktion des hessischen Bundesligisten - neben Vallejo sind das noch sein Landsmann Omar Mascarell, der Mexikaner Marco Fabian, der Argentinier David Abraham und Guillermo Varela aus Uruguay - mit dem seit dieser Saison als hauptamtlichen Übersetzter tätigen Gödde zusammen.

Und dabei werden eben nicht nur Vokabeln gepaukt, sondern es wird auch Alltägliches angesprochen oder sogar nachgespielt. Seitdem die multikulturelle Komponente des Kaders so arg angestiegen ist - Frankfurt beschäftigt Kicker aus 17 Nationen - gilt rasche Integration als gewinnbringender Faktor. Der 36 Jahre alte Gödde ist bei jeder Trainingseinheit dabei, übersetzt die Ansprachen in der Kabine oder im Mannschaftshotel. Auch für den Sprachunterricht gilt bei Vallejo, was ohnehin alle über ihn sagen: lernwillig, intelligent, aufgeschlossen, wohlerzogen.

Abraham ist wie ein großer Bruder für ihn

Vallejo hat aber nicht nur beste Manieren mit an seine neue Wirkungsstätte gebracht - der spanische U21-Nationalspieler ist auch der sportliche Hauptgewinn des Überraschungsvierten, der am Sonntag (17.30 Uhr) beim FC Augsburg antritt. Vallejos Mitwirken stand kurzzeitig wegen eines grippalen Infekts auf der Kippe, doch am Freitag gab Trainer Niko Kovac Entwarnung: "Er fühlt sich wieder gut, es darf eigentlich keine Probleme geben." Sonst hätte seine Mannschaft nämlich ein Problem. Die Defensive ist ja seit dieser Saison nicht allein durch die Umstellung auf eine Dreierkette so stabil, sondern weil Vallejo und Abraham sich neben dem meist in der Mitte als "Anschieber" postierten Makoto Hasebe als zweikampf- wie sprintstarke Innenverteidiger gesucht und gefunden haben. Speziell der elf Jahre ältere Abraham sei für ihn "wie ein großer Bruder auf und neben dem Platz", verriet Vallejo jüngst nach dem 2:1-Coup gegen Borussia Dortmund.

Die Nummer fünf kam vergangene Woche bereitwillig in die Mixed Zone, um - mit Göddes Hilfe - mal seine Sicht der Dinge auf die erstaunliche Entwicklung der Eintracht preiszugeben. "Ich glaube, der Trainer hat einen entscheidenden Anteil daran, dass es so gut läuft im Moment. Er gibt uns immer wichtige Tipps mit." Er persönlich habe beispielsweise gelernt, "wie man ein Spiel liest, wie man Spielsituationen antizipiert oder wie man ins Risiko gehen kann". Und dann fügte Vallejo noch etwas an, was viel über seine Arbeitseinstellung verriet: "Ich versuche, jeden Tag ans Limit zu gehen. Die Bereitschaft, über sich hinauszuwachsen, ist nicht verhandelbar."

Der Defensivspezialist mit dem gepflegten Flachpass, dem seriösen Stellungsspiel und dem wachen Auge wächst indes so schnell an seinen Aufgaben, dass mit jedem Spieltag die Hoffnung ein bisschen mehr schwindet, dieses Toptalent längerfristig binden zu können. In Saragossa, seiner Heimatstadt, wo er bei Real auch fußballerisch ausgebildet wurde, trug er bereits mit 18 Jahren die Kapitänsbinde. Und weil das nicht reichte, begann er auch gleich noch ein Jurastudium. Real Madrid sicherte sich die Dienste des polyvalenten Spielers bis 2021, verlieh ihn zunächst aber wieder zurück nach Saragossa.

Läppische Leihgebühr von 300.000 Euro

Die nächste Ausbildungsstufe über den Bundesliga-Umweg erinnert ein bisschen an Daniel Carvajal, der vor vier Jahren bei Bayer Leverkusen genau diesen Zwischenschritt einlegte, um zum Stammspieler der Königlichen zu reifen. Frankfurts neuer Sportvorstand Fredi Bobic unterhält beste Kontakte in die Führungsetagen diverser Spitzenklubs - nur so war es überhaupt möglich, ein Juwel wie Vallejo ("Ein Talent, das Experten bekannt war, die gut im Thema drin sind") für läppische 300.000 Euro Leihgebühr zu locken. Dass der Musterschüler bei der erhofften Weiterentwicklung wohl nicht bleiben würde, ist allen klar, "so ist das Geschäft", sagt Bobic, "aber aktuell hilft uns seine sportliche Qualität". Sportdirektor Bruno Hübner sieht den Fall Vallejo ähnlich: "Wir dürfen uns nichts einbilden. Der Junge hat so ein Potenzial, dem steht Tür und Tor offen."

Selbst die Altgedienten in Frankfurt staunen über das Selbstverständnis und das -vertrauen ihres für sein Alter auf und abseits des Platzes früh gereiften Mitspielers. Vereinsikone Alexander Meier hat jede Kritik an der Einkaufspolitik im Sommer längst zurückgenommen. "Vallejo, zum Bespiel, der wird bei Real Madrid enden", sagte der 33-Jährige kürzlich, "der Junge ist Weltklasse mit seinen 19 Jahren." Und dann hat er noch angefügt, was eben auch zum Erfolgsgeheimnis gehöre, nämlich "dass alle gewillt sind, Deutsch zu lernen. Ich denke, es ist ein Riesenvorteil, dass die Spieler aus dem Ausland unsere Sprache lernen wollen und das respektieren." Bis hin zur deutschen Art, den Abfall zu entsorgen.

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