Süddeutsche Zeitung

Augsburg:Das fehlende Puzzleteil

Der FCA galt in der Bundesliga als ruhiger Standort - bis Martin Hinteregger streikte und nach Frankfurt wechselte. Nun kehrt der Österreicher mit der Eintracht erstmals zurück zu seinem früheren Verein.

Von Thomas Hürner

Neun Jahre spielt der FC Augsburg inzwischen erstklassig, eine ereignisreiche Zeit, da können auch einige vermeintlich traditionsreichere Fußball-Bundesligisten nicht mithalten: Europapokal an der Anfield Road in Liverpool, nur knapp ausgeschieden nach einer bemerkenswerten Leistung - wann hat eigentlich der HSV zuletzt so einen schillernden Fußballabend erlebt? Gegen den FC Bayern gewann Augsburg, zweimal sogar, nicht zuletzt deshalb erspielte sich der Klub zeitweise den Ruf als unangenehmster Gegner der Republik. Selbst Jens Lehmann war eine Zeit lang bei den Fuggerstädtern angestellt, wenngleich bis heute kaum jemand versteht, was das Engagement des früheren Nationaltorhüters eigentlich genau bezwecken sollte.

Beim FC Augsburg haben sie also in diesen Jahren viel erlebt und mindestens genauso viel gelernt. Eines hat es aber so noch nicht gegeben: Ein Wiedersehen wie das mit dem Verteidiger Martin Hinteregger, 27, der an diesem Samstag erstmals als Spieler von Eintracht Frankfurt in die Augsburger Arena zurückkehren wird. "Er hat etwas hinterlassen, was gefüllt werden muss, ein Vakuum", sagte Augsburgs Trainer Martin Schmidt am Donnerstag in der Pressekonferenz vor der Partie. Dieser Umstand sei aber auch als "Chance" zu begreifen. Und ganz Unrecht dürfte der Schweizer damit nicht haben.

Der Österreicher wurde auf Anhieb eine Stütze in der Eintracht-Abwehr

Zur Erinnerung: Im Januar wurde Hinteregger erst suspendiert und dann eilig nach Frankfurt verliehen, weil er den damaligen Trainer Manuel Baum öffentlich kritisiert hatte. Es gab auch Stimmen, die dahinter eine strategische List vermuteten, die dabei helfen sollte einen schon länger geplanten Wechsel zu forcieren. Hinteregger jedenfalls machte nie einen Hehl daraus, wie wohl er sich in Frankfurt fühlt. Der Österreicher wurde auf Anhieb eine Stütze in der Eintracht-Abwehr und spielte mit seiner neuen Mannschaft eine märchenhafte Europapokalsaison. Und als diese nach einem von ihm verschossenen Elfmeter im Halbfinale gegen den FC Chelsea vorbei war, da ließ er sich in den Armen einiger Eintracht-Fans trösten, es war eine Szene mit Symbolkraft: Hinteregger wollte nicht mehr weg, die Frankfurter wollten ihn unbedingt behalten. Blöd nur, dass er im Sommer zurück nach Augsburg musste, weil sich die Vereine zunächst nicht auf eine Ablösesumme einigen konnten. Er trainierte also solange beim FCA, bis seine Erlösung in Form eines Angebots über angeblich zwölf Millionen Euro kam.

Und damit zurück zur Bundesligageschichte des FC Augsburg: Der Kausalzusammenhang lässt sich zwar nicht beweisen, aber nach all den Geschehnissen um den Österreicher kann durchaus behauptet werden, dass Hinteregger damals sehr viel in Gang gesetzt hat. Augsburg hatte sich einen Namen als ruhiger Bundesligastandort gemacht, an dem alle Entscheidungen mit Bedacht getroffen werden. Und plötzlich war richtig was los: Das Standing des Trainers Baum hatte durch Hintereggers Aussagen gelitten, was wohl der Grund dafür war, dass man ihm in Lehmann einen neuen Assistenten zur Seite stellte. Dieser Plan ging dann aber ziemlich nach hinten los, weil das Ansehen des eigentlichen Chefs dadurch alles andere als besser wurde. Ab dem Winter wurden die Niederlagen immer heftiger, die Unruhe immer größer und beide Trainer schließlich entlassen. Mit Hinteregger hat es zwar eher nichts zu tun gehabt, dass der Angreifer Caiuby zwischenzeitlich seinen Urlaub eigenmächtig verlängert hatte, aber die Augsburger Defensive wackelt kontinuierlich, seitdem der Österreicher nicht mehr da ist.

Gegen Frankfurt wird Rechtsverteidiger Lichtsteiner aufgrund einer Sperre fehlen

Natürlich haben sie dieses Problem identifiziert beim FC Augsburg, im Sommer wurde in die Abwehr investiert, es kamen der kroatische Nationalspieler Tin Jedvaj, die erfahrenen Marek Suchy und Stephan Lichtsteiner sowie der dynamische Felix Uduokhai. Komplettiert durch den derzeit verletzten Jeffrey Gouweleeuw und den Linksverteidiger Philipp Max ergibt das eine Abwehrreihe, die in der Theorie gehobenen Ansprüchen genügt: Es sind Spieler mit Erfahrung, jugendlichem Esprit, Geschwindigkeit und strategischer Cleverness dabei. Trainer Schmidt sagte am Donnerstag, dass die Qualität sowohl in der Breite als auch in der Spitze höher sei als noch in der vergangenen Saison.

Bislang präsentierte sich die Augsburger Defensive aber noch nicht als ein stabiles Gebilde, sondern wirkte eher wie ein kompliziertes Puzzle, dessen einzelne Teile erst in die richtige Anordnung gebracht werden müssen. In jedem der bislang vier Pflichtspiele hat Trainer Schmidt seine Defensivformation verändert, auch weil einige der Zugänge erst spät ins Team gekommen waren. Gegen Frankfurt wird Rechtsverteidiger Lichtsteiner aufgrund einer Sperre fehlen, seine Position wird wohl Jedvaj übernehmen, für den wiederum Suchy ins Zentrum rücken dürfte. Man arbeite intensiv an "Abstimmung und Automatismen", versicherte Schmidt, aber das sei letztlich nur ein Teil der Lösung: Es fehle noch ein Erfolgserlebnis, endlich mal wieder ein Sieg wäre gut, "dieser Funke, der alles entzündet."

Es fehlt gerade also ein bisschen das, wofür Martin Hinteregger zweieinhalb Jahre lang in Augsburg stand: Ein eingespieltes und in sich stimmiges Innenverteidigerduo, wie es der Österreicher und Gouweleeuw waren, vor allem aber jemand, der mit seiner mitreißenden Art sowohl bei seinen Mitspielern als auch beim Publikum neue Kräfte freisetzen kann, wenn die Dinge auf dem Rasen in die falsche Richtung laufen. Andererseits stand Hinteregger zuletzt auch für genau das, was sie im Augsburg keinesfalls mehr wollen: Schon während Augsburgs Sommertrainingslager war er nach einer Kneipentour negativ aufgefallen, am Wochenende feierte er seinen Geburtstag so ausgiebig, dass er mit reichlich Verspätung ins Teamquartier der österreichischen Nationalmannschaft zurückkehrte. Das stieß bei Eintracht-Trainer Adi Hütter auf Kritik, dabei sein wird Hinteregger aber trotzdem. Beim neuen alten FCA müsste er wohl Zuhause bleiben.

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Quelle:
SZ vom 14.09.2019
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