Aufstiegsrennen der 2. Liga:Braunschweig liefert die groteske Pointe

DSC Arminia Bielefeld v Eintracht Braunschweig - Second Bundesliga

Domi Kumbela (li.) und seine Braunschweiger Kollegen schleichen vom Feld.

(Foto: Bongarts/Getty Images)
  • Eintracht Braunschweig könnte mit einem 0:6 gegen Bielefeld den Aufstieg verspielt haben.
  • Das Aufstiegsrennen der 2. Bundesliga nimmt unerklärliche Züge an.

Von Jörg Marwedel, Hannover

Fußballprofis, so sagen diese meist selber, kennen kein Mitleid. Schon gar nicht, wenn sie selbst aus dem Pech oder Unvermögen eines Konkurrenten einen Vorteil ziehen. Bei Hannover 96, dem 1:0-Sieger des Zweitliga-Spitzenspiels gegen den Tabellenführer VfB Stuttgart, gab es am Sonntag höchstens irritierte Fragen: "Was ist da passiert in Bielefeld?", rätselte etwa 96-Verteidiger Florian Hübner.

Beide Vorjahres-Absteiger, Hannover und der VfB, profitierten von der wunderlichen 0:6-Blamage des Aufstiegs-Mitbewerbers Eintracht Braunschweig, die diesen zur gleichen Zeit 110 Kilometer südwestlich von Hannover beim Abstiegs-Aspiranten Arminia Bielefeld ereilte. "Sechsmal Ekstase hintereinander - das hatte ich zuletzt mit 18", ulkte 96-Idol Dieter Schatzschneider später im NDR-Sportclub.

Tatsächlich war das Geschehen auf der Anzeigetafel, die immer neue Tore aus Ostwestfalen verkündete, bald spannender als das Duell auf dem Rasen des früheren Niedersachsenstadions. Dieses Szenario bildete ein fast etwas unwürdiges Ende für einen über Monate extrem spannenden Aufstiegskrimi der zweiten Liga, bei dem erst Union Berlin aus nervlichen Gründen ausstieg und sich nun Braunschweig auf fast unerklärliche Weise aus dem Rennen um die Plätze eins und zwei verabschiedete. Wochen-, fast monatelang hatte keine der vier Mannschaften locker gelassen, jeder Sieg eines Rivalen wurde meistens umgehend, spätestens aber am Wochenende darauf ebenfalls mit einem Sieg gekontert. Und jetzt also dieses groteske 0:6.

Hannover und Stuttgart wollen für die erste Liga ihr Kapital aufstocken

Während 96 und der VfB wegen des ruinierten Torverhältnisses der Eintracht mit drei Punkten Vorsprung also fast schon den Aufstieg feiern können und viele der 49 000 Zuschauer (etwa 7000 aus Stuttgart) in der ausverkauften Arena immer wieder "Bielefeld, Bielefeld" riefen, musste Eintracht-Trainer Torsten Lieberknecht eine schnelle Analyse des Versagens erstellen. Und das vor dem Hintergrund, dass sein Team nun mit höchster Wahrscheinlichkeit als Tabellendritter die zweite Liga in der Relegation vertritt - gegen den Hamburger SV, gegen den Nachbarn VfL Wolfsburg oder auch gegen den FC Augsburg.

"Bockmist" habe man gespielt, sagte Lieberknecht, verkniff sich aber weitere Schärfen. Er weiß: Er braucht diese Mannschaft noch. Also sagte der Trainer zwar, er habe so was in seiner Karriere noch nie erlebt, man sei "nicht existent" gewesen. Aber er hatte auch eine Erklärung für diesen Aussetzer: "Der Kopf hat nicht mitgespielt." Die Spieler hätten sich wohl zu sehr mit der Situation beschäftigt - und auch mit der Behauptung, die Eintracht habe das leichteste Restprogramm, was Lieberknecht ohnehin als tückisch empfand.

Nun werde er vor dem letzten Punktspiel gegen den Absteiger Karlsruher SC viele Einzelgespräche führen und nicht "den Stab über der Mannschaft brechen"; er habe "zu 1000 Prozent Vertrauen". Man werde in den letzten drei Saisonspielen - die Relegation offenbar bereits eingerechnet - wieder die Leistung zeigen, die man über weite Strecken dieser Spielzeit gezeigt habe.

Wie regelt Lieberknecht das noch?

"Vertrauen" war eines der zentralen Wörter dieses Zweitliga-Wochenendes, es fiel auch in Hannover oft. Denn Vertrauen hat sich offenbar auch der neue Trainer André Breitenreiter bei seinen Profis erarbeitet, in nur acht Wochen. In den acht Spielen seit seinem Amtsantritt hat es nur Erzgebirge Aue geschafft, die Hannoveraner Abwehr zu überwinden, beim 2:2 am 30.

Spieltag. "Kleine Veränderungen" habe er gegenüber seinem Vorgänger Daniel Stendel in der Defensive vorgenommen, sagte der Coach nur; es gehe, grob gesagt, um taktische Disziplin. Und wer hinten nicht mehr verwundbar ist, der steigt dann eben auf, wenn er nebenher Offensivspieler wie Martin Harnik, Niclas Füllkrug oder Felix Klaus beschäftigt.

Klaus erzielte gegen Stuttgart das entscheidende Tor, er wird in seiner Karriere zum zweiten Mal aufsteigen. Das erste Mal erlebte er als 19-Jähriger mit der SpVgg Greuther Fürth, die ein Jahr später aber wieder abstieg. Dieses Schicksal wollen die Hannoveraner unbedingt verhindern, und die 96er vertrauen dabei einer deutlich größeren Wirtschaftskraft als Erstligisten wie Mainz 05, der FC Augsburg oder der SC Freiburg. Präsident Martin Kind hat einen Etat von 85 Millionen Euro angekündigt.

Auch der VfB Stuttgart könnte demnächst über noch mehr Kapital verfügen. Sollten die Mitglieder am 1. Juni die Ausgliederung der Profiabteilung befürworten, würde der Daimler-Konzern 11,75 Prozent der VfB-AG erwerben - das brächte 41,5 Millionen Euro ein. VfB-Präsident Wolfgang Dietrich erklärte nach dem Spiel in Hannover, man wolle den Weg der Kontinuität weitergehen, gemeinsam mit Sportvorstand Jan Schindelmeiser und Trainer Hannes Wolf, dessen Vertrag bald über 2018 hinaus verlängert werden soll.

Schindelmeiser war indes der einzige Party-Killer an diesem Sonntag, an dem die Stuttgarter mit Bielefelder Hilfe praktisch aufgestiegen waren. Es gebe noch nichts zu feiern, meinte der Manager, das Spiel sei nicht gut genug gewesen, "um in Jubelstürme auszubrechen".

Mag sein. Nur: Was soll da erst der Braunschweiger Lieberknecht sagen?

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