Aufklärung im Dopingfall Lance Armstrong:Trickreiche Finten der UCI

Blockiert der Radsport-Weltverband die Aufklärung des Dopingfalls Lance Armstrong? Die amerikanische Anti-Doping-Agentur fühlt sich in ihrer Arbeit massiv behindert. Für Armstrong rückt unterdessen das Szenario näher, doch unter Eid vor einem US-Gericht aussagen zu müssen.

Von Thomas Kistner

Festlich warme Worte findet Travis Tygart für den Mann, den er jüngst zur Strecke brachte. Lance Armstrong könne "mit seiner einzigartigen Reichweite und Attraktivität" der Betrugsbekämpfung eine neue Integrität verleihen, er müsse nur gestehen. Natürlich ist dieses Lob nicht vorweihnachtlich, sondern strategisch motiviert. Tygart, Chef der amerikanischen Anti-Doping-Agentur Usada, will den seiner sieben Tour-Titel entledigten Armstrong in Position bringen gegen den Radsport-Weltverband UCI. Denn der ist das neue Zielobjekt. Tygart legt nun dar, wie die UCI jede Ermittlung gegen ihre Spitzenleute vereitelt: Sie hält heikle Papiere unter Verschluss, die klären können, ob die UCI einen positiven Epo-Test Armstrongs bei der Tour de Suisse 2001 vertuschte.

Diesen Vorwurf erhoben zwei Teamgefährten des Texaners unter Eid, und dass er ihnen gesagt habe, er werde das Problem lösen. Die Indizien, dass Armstrong dies tatsächlich gelang, sind stark: Der UCI spendete er insgesamt 125 000 Dollar, ein unerhörter, einmaliger Vorgang im Sport. Die UCI kann die Verwendung des Geldes bis heute nicht schlüssig darlegen. Ein Teil soll in die Ausrüstung des Labors in Lausanne geflossen sein. Das hatte Armstrongs Test analysiert und macht in der Affäre gleichfalls eine äußerst unglückliche Figur. Die UCI räumt ein, Armstrong-Tests bei der Tour de Suisse und dem Critérium du Dauphiné 2002 seien verdächtig gewesen, aber nicht so stark, um ein Verfahren zu eröffnen. Tygarts verriet jetzt im britischen Guardian, er fordere die Testpapiere schon seit Sommer 2010 vergebens an.

Auf der Flucht vor Usada treibt die UCI allerlei Finten: Sie will lieber ihre jüngst einberufene Prüfkommission mit dem Fall betrauen. Solche Rochaden erfreuen sich - siehe Fußball-Weltverband Fifa - großer Nachfrage bei in Bedrängnis geratenen Dachorganen. Auch der UCI-Reinigungstrupp hat laut Tygart wesentliche Schwächen. Sein Aufgabenbereich sei "zu eng", er "fesselt und blendet" die Prüfer, sagt Tygart. Diese Sorge teilt er mit John Fahey, dem Chef der Welt-Anti-Doping-Agentur.

Während die seit 22 Jahren herrschenden UCI-Bosse Pat McQuaid und Vorgänger Hein Verbruggen mit fromm vorwärts gerichteten Reformen denselben Dreh zum persönlichem Machterhalt anwenden wie ihr Fifa-Kollege Sepp Blatter, hat Tygart noch Asse im Ärmel. Die Chancen, Armstrong mittelfristig zum Reden zu bringen, stehen ziemlich gut. Gerade machte eine Bezirksrichterin in Washington Akten publik, die bisher unter Verschluss waren und Armstrongs Kampf gegen Ermittlungen des US Postal Service dokumentieren.

Landis peilt eine Belohnung von fünf Millionen an

Die Post war Teamsponsor bei sechs seiner sieben Tour-de-France-Titel, ihre Gesamtzahlung von 40 Millionen Dollar band sie vertraglich daran, dass die Fahrer nicht dopen. An diesem Punkt geklagt hatte 2010 zunächst Armstrongs Ex-Teamkollege Floyd Landis. Der finanziell ruinierte Doping-Kronzeuge, der noch 500 000 Dollar an Spender zurückzahlen muss, die ihm frühere Prozesse finanzierten, peilt nun auf der Grundlage eines besonderen amerikanischen Informantengesetzes eine Millionen-Belohnung an: Der Federal False claims act erlaubt Bürgern, im Namen der Regierung Betrug gegen staatliche Einrichtungen zu verfolgen - wie die Post eine ist.

Der Staat USA kann die Causa an sich ziehen, das Justizministerium prüft das noch. Strafrechtlich war der Fall ja schon im Februar eingestellt worden, unter dubiosen Umständen vom kalifornischen Bundesanwalt Andre Birotte. Jetzt wird geraunt, Washington zögere, in Landis' Zivilstreit einzutreten, weil die überwältigenden Beweise den früheren Rad-Fitnesscoach Birotte ganz schlecht aussehen ließen. Allerdings: Winkt die US-Justiz ab, macht Landis eben allein weiter, Anwälte findet er zuhauf. Im Erfolgsfall streicht er bis zu 30 Prozent der Summe ein. Er wäre der große Gewinner.

Armstrong aber landet dann wohl an dem Ort, den er scheut wie der Teufel das Weihwasser: im Zeugenstand. Lügen unter Eid ist im Sport unpopulär geworden, seit die US-Sprintheldin Marion Jones deshalb hinter Gittern landete. Insofern liegt die große Brisanz der Washingtoner Akte in der Offenbarung, wie sich Armstrong gegen die Forderung gewehrt hatte, gewisse Papiere vorzulegen, als noch die Bundesermittlung zum Post-Betrug lief: Er wollte Zusatzartikel 5 zur Verfassung anwenden. Der besagt, dass niemand gezwungen werden darf, sich selbst zu belasten. Als Birotte den Fall abblies, brauchte Armstrong Artikel 5 nicht mehr; nun kam er der Vorladung nach und übergab die verlangten Papiere. Zwar blieben die bisher unter Verschluss, bei einer Wiederaufnahme spielen sie aber eine so zentrale Rolle wie Armstrongs Bezug auf Artikel 5: Wie kann sich der Mann, der stets vorgab, er habe aus Respekt vor allen Krebskranken nie gedopt - wie kann der sich selbst belasten? Seine Anwälte toben. Sie fühlen sich ausgetrickst.

Kein Wunder, zum Aktenfundus sollen auch Belege für Armstrongs Verbindung zum italienischen Arzt Michele Ferrari gehören. Der sieht seinem nächsten Dopingprozess entgegen, zuhause ist er auf höchster Ebene vernetzt. Die Ermittler haben allerlei Geldflüsse über Schweizer Firmen gefunden, weshalb die Ferrari-Affäre ähnlich staatstragend werden könnte wie die Armstrongs. Gleich nachdem dessen Akte in Washington publik wurde, gab Ferrari ein Interview: Er beteuerte, niemals Fahrer gedopt und auch nie Betrug bei Armstrong mitgekriegt zu haben. Das Interview gab er Al-Dschasira. Der arabische Sender wusste nicht einmal, dass gegen Armstrong wissenschaftlich klare Epo-Tests vorliegen.

Nun läuft der Großversuch, die Allianz der Doping-Vertuscher im Radsport aufzubrechen. Im Zentrum steht die UCI, der nicht nur droht, dass Armstrong in einem US-Zeugenstand umfallen könnte. Auch der Prozess mit Sponsor Skins kommt in Gang, der zwei Millionen Dollar Schadenersatz fordert und den Rückzug der Sport- bosse McQuaid und Verbruggen. Skins-Chef Jaimie Fuller teilte am Freitag mit, er erwarte in Kürze einen Schlichtungs-Termin. Von seiner Forderung aber rückt er nicht ab: "Wie die UCI alles blockt, ist völlig unentschuldbar." Dies zeige, wie gering der Wunsch sei, Doping auszulöschen.

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