Aufklärung der WM-Affäre:Der Kaiser muss auspacken

Franz Beckenbauer

Franz Beckenbauer hatte eine Schlüsselrolle bei der Vergabe der WM 2006 nach Deutschland.

(Foto: AP)

DFB-Chef Wolfgang Niersbach steht im Zentrum der WM-Affäre, doch er ist eher ein Nebendarsteller. Die Hauptrollen sind mit ehemaligen Fußballgrößen besetzt - und einer von ihnen sollte endlich reden.

Kommentar von Thomas Kistner

Der Präsident kann gehen, er hat seine Schuldigkeit getan. Wolfgang Niersbachs Dilemma ist, dass er es zuließ oder nicht merkte, wie ihn die wahren Akteure als Schild gebrauchten. Tapfer fuhr der DFB-Chef zu Franz Beckenbauer, um sich die Sache mit den 6,7 Millionen Euro darlegen zu lassen, die noch immer im Dunkeln liegt.

Statt dass er den Privatier zu sich zitiert, um ihm Klartext zu einem Geldfluss abzuringen, den wohl nur Beckenbauer kennt - und der den DFB und das als "Sommermärchen" etikettierte Nationalgut schon jetzt beschädigt hat. Klar ist ja: Hätte es sich beim damaligen WM-OK-Chef nicht um die Lichtgestalt, sondern um einen Fritz Maier gehandelt, hätte dieser Herr Maier bis heute, Tag elf der Affäre, ein so enormes öffentliches, politisches und womöglich juristisches Sperrfeuer durchlitten, dass er ganz flott ausgepackt hätte.

Niersbachs Erklärungen erwiesen sich als Luftblasen

Aber auf dem Schuldschein des Geldgebers Robert Louis-Dreyfus stand nicht Fritz Maier, sondern offenbar Franz Beckenbauer. Also erfüllt Niersbach loyal bis in den eigenen Untergang den Part, der dem Funktionär im Kaiserreich zufällt: Er hat ganz vorsichtig nachgefragt. Und sich dann, obwohl an den Kernvorgängen nicht beteiligt, in Beckenbauers Namen mit Erklärungen vors Volk gesetzt, die sich als Luftblasen erwiesen. Allein daran bemessen, ist er nicht haltbar an der Spitze einer Sieben-Millionen-Mitglieder-Organisation. Da braucht es auch keine weitere Peinlichkeit bezüglich der Frage, was Niersbach wann wusste.

Franz Beckenbauer. Günter Netzer. Theo Zwanziger. Das sind die Haupt- akteure. Weshalb es müßig ist, eingedenk der Gesamtgemengelage länger zu eruieren, wer wann welchen Betrag wohin verschob. Immer klarer wird ja, wo die 6,7 Millionen Euro gelandet sind: dort, wo es niemand mitkriegen durfte. Verwendet für etwas, das auch heute niemand wissen darf. Was sonst sollen all die wirren Statements, was soll die Verrechnungsakrobatik im einstigen WM-OK?

Die Rolle der Hauptakteure

Da ist Zwanziger. Das leuchtende Bild. Dass er sagt, ihm ginge es nur um die Wahrheit, entlarvt schon sein kalkuliertes Vorgehen: Im Gepäck hat er Anwaltsschriften, Gesprächsprotokolle und wohl auch Verjährungsfristen. Der Streit des einstigen DFB-Präsidenten mit Nachfolger Niersbach ist episch, womöglich ist er die Ursuppe, aus der diese Affäre hochkochte. Zu klären ist auch, ob Zwanziger aus dem Schneider ist, der die Millionen 2005 an die Fifa überwies. Dieser Frage dürfte der DFB mit Sorgfalt nachgehen.

Dann ist da Beckenbauer, der weiß, wofür die Millionen waren und wohin sie flossen, für die er gegenüber Robert Louis-Dreyfus geradestand. Im Zweifel könnte er auch Fedor Radmann fragen, der ihn wie ein Schatten durch die WM-2006er-Jahre begleitete. Und der das Business hinter den Kulissen so intim kennt, dass seine Berateraktivitäten im Zuge anderer Vergaben, für die WM-Turniere 2018 und 2022, vom Fifa-Ethikkomitee unter die Lupe genommen wurden.

Netzer wurde in der Rolle des Maklers kaum wahrgenommen

Dann ist da Netzer. Der tummelt sich seit Jahrzehnten im schillernden Schweizer Sportmarketing, wurde aber in dieser Rolle bisher kaum wahrgenommen. Im Endspurt der deutschen Bewerbungsphase schloss er üppig dotierte TV-Verträge für quasi wertlose Freundschaftskicks in Ländern von Fifa-Wahlleuten ab. Später saß er mit Louis-Dreyfus im Eigentümerkreis der Agentur Infront. Die wird seit 2006 von Philippe Blatter geführt, Neffe des Affären-Präsidenten. Sie ist klein, die Welt der Fußball-Entscheider.

Zunächst aber muss sich Franz Beckenbauer plausibel zur Millionenfrage äußern. Das ist vielleicht keine Forderung, die juristisch haltbar wäre, es ist aber Wichtigeres: der Anspruch all der Fest- und Fußballfreunde, die bisher an ein Sommermärchen geglaubt haben. Ihr Anspruch wächst von Tag zu Tag.

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