TennisRückenwind in der spektakulärsten Klage der Tennisgeschichte

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Auf Seiten der ATP: Alexander Zverev sitzt auch im Spielerrat der Männer-Tennistour.
Auf Seiten der ATP: Alexander Zverev sitzt auch im Spielerrat der Männer-Tennistour. (Foto: Clive Mason/Getty Images)

Ein New Yorker Gericht untersagt der ATP-Tour, Spielern zu drohen, die sich an einer Sammelklage der Vereinigung PTPA beteiligen. Auch Alexander Zverev soll unter Druck gesetzt worden sein.

Von Gerald Kleffmann

Mitte April beim ATP-Turnier in München wurde Alexander Zverev, 28, auf einer Pressekonferenz gefragt, welche Position er in der juristischen Auseinandersetzung zwischen der Spielervereinigung PTPA und der ATP-Tour der Männer einnehme. Er machte deutlich, auf welcher Seite er stehe: „Ich habe mit der PTPA nichts zu tun“, betonte der deutsche Tennisprofi und verwies darauf, dass er im Spielerrat der ATP sitze. Neue Details zu diesem Streit, der im März aufgrund einer Klage der PTPA vor drei Gerichten landete, wollte oder konnte er nicht preisgeben. Nur so viel deutete Zverev an: „Die ATP hat ein Riesenverfahren am Hals jetzt.“ Und: „Natürlich ist es ein Riesenthema. Und es wird ein Riesenthema bleiben, bis das Verfahren beendet ist. Aber wer weiß, wie lange das dauert.“

In der Tat ist ein zeitnaher Abschluss in dieser wohl spektakulärsten Klage der Tennisgeschichte nicht in Sicht. Zu vielschichtig und umfassend sind die Anklagepunkte, die in den jeweils 163 Seiten langen Anklageschriften stehen, die von der PTPA sowie zwölf aktiven und ehemaligen Profis in New York, Großbritannien und in der EU eingereicht wurden. Welche Spieler genau der PTPA angehören, hat die Organisation nicht offengelegt, mehrere Spitzenspieler wie Carlos Alcaraz und Iga Swiatek haben sich von ihr distanziert. Im Kern prangert die Professional Tennis Players Association, 2020 von dem 24-maligen Grand-Slam-Sieger Novak Djokovic aus Serbien und dem früheren Doppelspezialisten Vasek Pospisil aus Kanada gegründet, die vier maßgeblichen Institutionen ATP, WTA (Frauentour), ITF (Weltverband) und Itia (Aufsichtsbehörde) an, ein Kartell zu bilden.

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Leidtragende, so der Vorwurf, seien die Profis. Sie würden unverhältnismäßig wenig an den Einnahmen der Turnierveranstalter partizipieren. Sie müssten sich dem überlangen Turnierkalender von ATP, WTA und ITF unterwerfen. Oft unter wettbewerbswidrigen Bedingungen spielen, etwa nachts oder bei größter Hitze. Sie dürften nur an von den Institutionen genehmigten Turnieren teilnehmen, was ihre Verdienstmöglichkeiten einschränke. Sie würden keinen Einblick in die Entscheidungsprozesse der Institutionen erhalten, die laut Anklageschrift Wettbewerbsabsprachen getroffen hätten mit dem Vorhaben, „zu ihrem eigenen Nutzen die Athleten auszubeuten“. Schwere Vorwürfe sind das, und wie hart hinter den Kulissen gekämpft wird, offenbarte nun ein jüngstes Urteil einer Richterin in New York, das vergangenen Mittwoch publik geworden war.

Die PTPA hatte der ATP vorgeworfen, dass die Männertour Spieler unter Druck setzen wollte, vorgefertigte Erklärungen zu unterzeichnen. In diesen sollten sie versichern, keine Kenntnis von den im März eingereichten PTPA-Klagen gehabt zu haben. Die Vereinigung beantragte daher eine gerichtliche Verfügung, die der ATP die „unzulässige, zwanghafte oder bedrohliche Kommunikation“ mit Spielern zu diesem Fall untersagen sollte. Tatsächlich erhielt die PTPA Recht zugesprochen, auch wenn nicht allen ihrer Forderungen stattgegeben wurde.

Richterin ordnet an: Die Tour dürfe niemanden bestrafen, der die Klage unterstützt

Distriktrichterin Margaret M. Garnett resümierte laut New York Times, dass das bisherige Verhalten der ATP, unabhängig von der Absicht, „als potenziell zwanghaft, irreführend oder anderweitig missbräuchlich“ angesehen werden konnte. Garnetts Erlass: Die ATP-Tour dürfe keine Vergeltungsmaßnahmen gegen Spieler ergreifen, die die Tour verklagen oder sich einer Klage gegen die Tour anschließen. Ferner ordnete sie an, dass die Tour den Spielern schriftlich versichern müsse: Die Tour bestrafe niemanden, der sich an der Klage beteilige.

Mit welch harten Bandagen gerangelt wird, belegt eine weitere Anordnung der Richterin: Die ATP müsse sämtliche bisherige Kommunikation mit den Profis über den Rechtsstreit aufbewahren. Die PTPA wollte zudem durchsetzen, dass jeder Austausch zwischen Tour und Spielern offengelegt werden müsse. Und die Vereinigung wollte, dass sich die Tour generell nicht mehr zu dem Fall äußert. Beides lehnte Richterin Garnett ab. PTPA-Geschäftsführer Ahmad Nassar wertete dieses Ergebnis als Sieg und sagte: „Die Entscheidung spricht für sich.“ Ein ATP-Sprecher erklärte laut BBC durchaus kleinmütig: „Die ATP nimmt das Urteil des Gerichts zur Kenntnis und wird den Anweisungen umgehend Folge leisten.“

Ein kleiner Fingerzeig: Die Sicht der Richterin stützt die Sicht der PTPA

Im Urteil wurde im Detail aufgeführt, dass explizit ein ATP-Funktionär versucht habe, Spieler dazu zu bringen, vorgefertigte Briefe, in denen sie die Klage ablehnten, zu unterzeichnen. Zwei betroffene Spieler wurden namentlich genannt, Alexander Zverev und US-Profi Ben Shelton, 22. Dem Vernehmen nach soll sich der Vorfall während der Miami Open Ende März ereignet haben. Das Management des Weltranglistenzweiten Zverev ließ eine SZ-Anfrage dazu vorerst unbeantwortet. Wie die Plattform Sportico berichtete, wollte ein Spieler, der seine Unterschrift verweigerte, die Erklärung fotografieren. Dies wurde ihm untersagt. Darüber hinaus habe die ATP Spielern mitgeteilt, sie plane, Rentenbezüge, die die Profis erwirtschaften, im Falle einer Klagenbeteiligung zu kürzen. Garnett maß diesem Vorwurf aufgrund nicht stichhaltiger Beweise „wenig Gewicht“ bei. Und doch verrät auch diese Fußnote, wie vergiftet das Klima ist.

Ein erster Fingerzeig, dass die PTPA durchaus weitere Rundensiege erlangen könnte, ist auch eine andere Feststellung der Richterin. Sie konstatierte, dass die Spieler „anfällig für wirtschaftlichen Druck“ seien, da die Turniere, auf denen sie ihren Lebensunterhalt verdienen, „fast ausschließlich“ von der Tour organisiert würden. Ihnen gebühre ein gewisser Schutz. „Wenn ein Spieler bei der ATP in Ungnade fällt und die ATP seine Mitgliedschaft kündigt“, würde diesem Spieler „faktisch“ die Chance genommen, seinen Lebensunterhalt als Profi zu verdienen. Diese Sicht stützt die Argumentation der PTPA in der großen Klage. Garnetts Urteil richtete sich nur an die ATP.  WTA, ITF und Itia in Sippenhaft zu nehmen, hielt die Richterin für „übertrieben“ und angesichts der vorgelegten Beweise und Zeugenaussagen für ungerechtfertigt.

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