ATP-WM in London:Jahr der Vintage Boys

ATP-WM in London: So sehen erfolgreiche Tennisspieler aus: Federer (links) und Nadal nach dem Finale in Shanghai

So sehen erfolgreiche Tennisspieler aus: Federer (links) und Nadal nach dem Finale in Shanghai

(Foto: AFP)
  • Rafael Nadal und Roger Federer stehen zum Saisonende an der Spitze der Tennis-Weltrangliste.
  • Nach zwei Grand-Slam-Triumphen in diesem Jahr peilt Nadal seinen Premierenerfolg bei den ATP-Finals an.
  • Aufgrund der vier bisherigen Saisonniederlagen gegen Roger Federer erhofft sich der Spanier eine Revanche.

Von Gerald Kleffmann, London

In Paris, vor gut zwei Wochen beim Hallenturnier, hatte Rafael Nadal in einem kleinen Moment erlebt, dass er offenbar noch immer nicht oft genug in diesem Jahr gewonnen hat. Nicht jeder kannte ihn. "Wer sind Sie?", fragte ein Sicherheitsmann am Eingang. Das Videofilmchen, das sofort durchs Internet sauste, offenbarte dann weiter, wie der Tennisprofi aus Mallorca reagierte. "Rafael Nadal", sagte Nadal höflich - da machte es klick bei dem Mann. Nadal durfte passieren.

Sich aufzuplustern, war eben noch nie die Art dieses Ausnahmesportlers, der 2017 wahrlich Gründe hätte, sich mehr in den Vordergrund zu drängen. An diesem Montag steigt Nadal bei den ATP Finals in London mit seinem ersten Gruppenmatch gegen den Belgier David Goffin ins Saisonfinale ein; gespielt wird in zwei Vierergruppen, die Erst- und Zweitplatzierten bestreiten über Kreuz das Halbfinale. Nadals Bilanz seit Januar: zwei Grand-Slam-Triumphe, bei den French Open im Frühsommer darunter La Décima, der zehnte Erfolg. Bei den US Open im Spätsommer der dritte. Dazu vier weitere Turniersiege, Monte-Carlo, Barcelona, Madrid, Peking.

Im nächsten Jahr dürfte er, als dritter Profi nach dem Schweizer Roger Federer und dem Serben Novak Djokovic, die Marke von 100 Millionen Dollar Preisgeld übertreffen, circa acht Millionen fehlen. Wenig in seiner Dimension. Was sein Jahr anschaulich krönt: Seit dem 21. August ist er wieder Weltranglisten-Erster. Zum vierten Mal nach 2008, 2010 und 2013 beendet er vorne das Jahr. "Das ist eine sehr besondere Leistung, vor allem in meinem Alter", gab sogar Nadal zu und verwies auf seine "31,5 Jahre".

Wiederkehr vergangener Glanzzeiten

Zu erwarten war seine Dominanz in dieser Art tatsächlich nicht, 2015 und 2016 waren verletzungsgeplagte Zeiten für ihn. Als er vor einem Jahr seine Akademie in Manacor einweihte und mit Federer plauderte, rätselten die zwei Vintage-Boys, wie sie getauft wurden, angeschlagen und unsicher über ihre Zukunft. Ob sie noch Durchschlagskraft entwickeln könnten? "Wir beide haben ein solches Jahr nicht erwartet", gestand vor wenigen Wochen Federer, der seinerseits, nach sechs Monaten Pause, mit dem Sieg bei den Australian Open im Januar die Tennisbranche berauscht und in Wimbledon, seinem Wimbledon, gar den 19. Grand-Slam-Titel geholt hatte.

2017 wird im Almanach zweifellos als jene Saison eingehen, in der eine Zweiteilung stattfand: Federer und Nadal, Fedal genannt, setzten sich vom Rest ab. In der Weltrangliste wiederum ist Nadal, eine Überraschung auch dies, Federer leicht enteilt, was daran liegt, dass er auf mehr Matches bei mehr Turnieren kam: 76 Partien - Federer absolvierte 23 weniger, so hatte er etwa die Sandplatz-Serie ausgelassen. Auch dies macht einen Teil der Faszination aus, die beide weltweit ausüben: Sie haben mit gänzlich unterschiedlichen Ansätzen zu ihrem Ü30-Höhenflug angesetzt und vorgeführt, dass Alter keine Kategorie sein muss. Vielmehr geht es darum, Karrieren richtig zu dosieren und zu komponieren.

Wenn es so etwas wie einen Makel in Nadals Arbeitsnachweis 2017 gibt, sind es wohl jene vier Niederlagen, die er gegen Federer erlitten hatte, in Melbourne in einem packenden Fünfsatzduell, glatt in Indian Wells, Miami, Shanghai. "Wir sollten nicht vergessen, dass wir jedes Mal auf einem Belag gespielt haben, den er bevorzugt", rief Nadal jetzt in Erinnerung, es klang ein wenig, als ärgere ihn doch diese Statistik ein wenig. Er kann diese verlorenen Matches immerhin einordnen. "Ich akzeptiere das und versuche, andere Wege zu finden, wie ich diese Matches bestreite."

Saisonfinale im Zeichen der Revanche

Seine Überzeugung, in London Federer noch eine Niederlage beifügen zu können, speist sich aus einer Gewissheit, die für den Nadal 2017 steht: "Wenn ich gesund bin, habe ich meine Chancen." Zuletzt hatte ihn nach langer Zeit das rechte Knie geschmerzt, Basel ließ er aus, in Paris passte er im Viertelfinale. Kurz wurde ein Verzicht für London diskutiert, "ein großer Verlust" wäre das gewesen, hatte Federer vorsorglich betont; es fehlen ja bereits die verletzten Djokovic, Andy Murray, Stan Wawrinka. Das Schmuckstückturnier der Männertour wäre nach einer weiteren Absage dieses Kalibers angeknockt gewesen. Nun heißt es aber: Er ist fit. Im Training am Sonntag wirkte er energiegeladen wie immer.

Für Nadal, kein Geheimnis, ist die Fitness mehr als für Federer ein Erfolgsfaktor. Er ist der Arbeiter, der sich seiner Zweifel, wie er es oft bekannte, nur durch das permanente Fühlen der eigenen Stärke entledigen kann. Nadal ist ein Getriebener, was ihn umso mehr als kompatiblen Gegenpart zu Federer erscheinen lässt. Der trägt ja Flügel, so federleicht meistert er Tennis- wie Privatleben als A-Promi. Ein stets ersichtlicher Indikator der Nadal'schen Schaffenskraft ist dabei sein Bizeps, dessen Umfang beträchtlich variierte im Verlauf seiner Karriere. Status quo: dick wie ein Rohr. Er braucht die Power im Arm, um seinen berüchtigten Topspin in den Schlägen zu generieren. 2017 agierte er prompt offensiver denn je.

Gerüchten, er könne unlauter nachgeholfen haben, trat er stets entschieden entgegen, wie er auch konkrete Vorwürfe gar juristisch verfolgte. Aktuell verlangt er, hieß es jüngst, von der ehemaligen französischen Sportministerin Roselyne Bachelot 100.000 Euro Schadenersatz; Bachelot hatte ihm vorgeworfen, eine positive Dopingprobe mit einer Verletzungspause vertuscht haben zu wollen.

Nadal ist längst in Sphären, in denen er nichts beweisen müsste, und doch steckt er sich ständig Ziele. In London fällt ihm dieses nicht schwer. Noch nie hatte er in 13 Jahren das ATP Finale gewonnen. "Das ist in meinem Kopf", räumte Nadal ein. Hunger zeichnet die Großen aus.

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