Süddeutsche Zeitung

ATP-Turnier in München:Prestigefrage

Alexander Zverev, 18, ist beim Münchner ATP-Turnier chancenlos gegen Philipp Kohlschreiber, 31, der sich am Aumeister fast unwirklich locker und ruhig präsentiert.

Von Philipp Schneider

Wer das Turnier verstehen möchte, muss Carlo Thränhardt erleben. Thränhardt ist nämlich überall und kennt auch jeden, Thränhardt sitzt vor dem Klubhaus und trinkt Kaffee, Thränhardt nimmt Platz in einer Box auf dem Center Court, fährt dort seine langen Beine aus und schaut Tennis. Kaum ist das Spiel zu Ende, sitzt Thränhardt schon wieder auf der Tribüne von Court 1, auch da schaut er: Tennis. Seit fast 20 Jahren geht das so. Seither kommt er zum Turnier am Aumeister, auch wohnt er gleich um die Ecke, "nur fünf Minuten entfernt", sagt Thränhardt. In all den Jahren hat der ehemalige Weltklassehochspringer einige Qualifikanten erlebt, die sich hier ins Hauptfeld gespielt haben, die weit kamen oder gar das Turnier gewannen, wie Martin Klizan im vergangenen Jahr. Thränhardt sagt: "Es geht darum, die Dynamik des Turniers im Kontext der ganzen Woche zu erleben. Und den Moment, wenn einer seine Weltklassekarriere einleitet."

Kohlschreiber scheuchte Zverev von der Grundlinie nach Belieben übers Feld

Am Mittwoch saß Thränhardt mal wieder in der zweiten Reihe des Centre Courts, fuhr dort seine Beine aus, und durch die getönten Gläser seiner Brille erlebte er: "Ein schönes Duell, jung gegen schon etwas älter." Thränhardt sah noch nicht: den Moment, in dem der 18-jährige Alexander Zverev seine Weltklassekarriere einleitete.

Zverev verlor 2:6, 4:6, er war chancenlos gegen den schon etwas älteren Philipp Kohlschreiber. Den 31-jährigen, zweimaligen Gewinner der BMW Open, der jetzt schon wieder im Viertelfinale steht, wo er auf den Belgier David Goffin trifft. Und der seit ein paar Monaten sowohl privat als auch im Davis-Cup-Team von einem neuen Fitness- und Mentalcoach betreut wird: Carlo Thränhardt.

Offenbar hätte es in dieser Zweitrunden-Partie um so etwas wie eine Wachablösung im deutschen Tennis gehen können. Das fand zumindest der siegreiche Kohlschreiber, der seine Begegnung mit Zverev, Nummer 119 der Welt, anschließend tatsächlich als "Prestigeduell" bezeichnete, "wo man sich selber zeigen will, dass man mit der Erfahrung doch noch eine gute Klasse hat". Er, Kohlschreiber, habe "nur verlieren", Zverev hingegen "nur gewinnen" können: "Man kann sich schon zusammenspinnen, dass es darum ging, wer die deutsche Nummer eins ist."

Weniger hochgehängt hatte Thränhardt diese Partie, als er prognostizierte, Kohlschreiber habe schon das nötige Spiel, "um diesen Riesenkerl richtig ärgern zu können, mit seinen vielen Winkelbällen". Exakt so entwickelte sich das Treffen der Generationen auch: Zverev, 1,98 Meter groß, hatte Schwierigkeiten mit seinem Aufschlag. An guten Tagen serviert er mit 220 Kilometern in der Stunde, vor allem aber: bringt er seine Aufschläge ins Feld. Im ersten Satz gelang ihm das nicht einmal bei jedem zweiten Versuch. Kohlschreiber nahm ihm schon den Service zur 2:1-Führung, Zverev begann erstmals leise zu maulen. Auch bewegte er sich nicht gut. Er kam oft zu spät, traf den Ball nur mit dem Rahmen.

Informationen zum Turnier

Ansetzungen und Hinweise zu den BMW Open

Centre Court: ab 11 Uhr: XXX (Deutschland) - Rosol (Tschechien), nicht vor 13.20 Uhr: Kohlschreiber (Deutschland) - Vesely (Tschechien), im Anschluss Fognini (Italien) - Trinker (Deutschland).

Court 1: ab 11 Uhr: Pospisil (Kanada) - Thiem (Österreich), im Anschluss: Brown (Deutschland) - Bolelli (Italien), im Anschluss: Mayer/Moser - Becker/Meffert (jeweils Deutschland).

Court 2: ab 11 Uhr: Tipsarevic (Serbien) - Tomic (Australien), im Anschluss: Struff - Zverev (beide Deutschland), im Anschluss: Stakhovsky (Ukraine) - Ledovskikh (Russland).

Court 3: ab 11 Uhr: Dustov (Usbekistan) - Stepanek (Tschechien).

Die Ansetzungen für Freitag werden erst am Donnerstag bekannt gegeben.

Gespielt wird beim MTTC Iphitos am Aumeisterweg 10, zu erreichen mit der U6 (Haltestelle Studentenstadt, nur fünf Gehminuten entfernt).

Kohlschreiber dagegen servierte wie eine Maschine, er war es, dem das erste Ass der Partie gelang. Und er scheuchte Zverev mit viel Übersicht und einigen mutigen Stopps von der Grundlinie über das Feld, als sei sein Gegner ein ferngesteuertes Auto. "Ich habe im Training oft gegen ihn gespielt", sagte Kohlschreiber. Bei diesen Anlässen sei ihm auch aufgefallen, dass Zverev "sehr oft zu weit hinter der Linie parkt". Parkt. Das war ja auch schon wieder lustig.

Es ist nämlich so: Kohlschreiber zeigt in München nicht nur das beste Tennis seit Langem, er hat auch eine Humoroffensive gestartet. Am Dienstag, nach seinem lockeren Sieg gegen den Tschechen Jiri Vesely, sagte er im Hinblick auf sein Match gegen Zverev: "Ich erwarte einen sehr viel größeren Menschen, der sehr viel jünger ist." Und nach seinem Spiel gegen Zverev lief er ohne seinen Manager oder einen Sprecher der ATP (der die Pressekonferenzen üblicherweise ankündigt) ins Pressezentrum und rief den Journalisten zu: "Pressekonferenz mit Kohlschreiber beginnt jetzt!"

"Wenn er weiter so geil auf Tennis ist, wird er seinen Weg schon gehen."

Kohlschreibers fast unwirkliche Ruhe und Lockerheit auf und neben dem Platz trieb Zverev in die Verzweiflung. Schon nach dem zweiten Break, das er kassierte, begann er wieder zu maulen. Diesmal auf Russisch. Und nach dem dritten schlug er, innerlich inzwischen wilder geworden, mit seinem Schläger auf den Boden des Centre Courts ein. Viermal. Das ungewohnte Geräusch mochte die Hasen im nahegelegenen Englischen Garten aufgeschreckt haben, seinen Schläger zerbrach er allerdings nicht. Vermutlich, weil eine höhere Instanz verfügte, dass Zverev an diesem Tag einfach nichts gelingen sollte. "Ich kann das nachvollziehen", sagte Kohlschreiber, "er hat sich sicherlich viel vorgenommen. Aber wenn er weiter so geil auf Tennis ist, wird er seinen Weg schon gehen." Dann lächelte Kohlschreiber, der sich auf bestem Wege zu seinem dritten Turniersieg befinden könnte. Das glaubt zumindest Thränhardt, der sagt: "Wenn nächste Woche Davis Cup wäre und wir würden auf Sand spielen, dann könnte man fast so arrogant sein und sagen: Philipp holt zwei Punkte. Egal gegen wen."

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Quelle:
SZ vom 30.04.2015
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