Sturm-Joker Alexander Sörloth:Atléticos Edelreservist mit den Kranichbeinen

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Als Torschütze häufig gefeiert von den Mitspielern: Atlético-Stürmer Alexander Sörloth (Mitte).
Als Torschütze häufig gefeiert von den Mitspielern: Atlético-Stürmer Alexander Sörloth (Mitte). (Foto: Pierre-Philippe Marcou/AFP)

Die gute Saisonleistung von Atlético Madrid liegt auch an einer starken Ersatzbank. Herausragend dabei: der frühere Leipzig-Stürmer Sörloth. Jetzt möchte er auch den Nachbarn Real ärgern.

Von Javier Cáceres, Madrid

Der Niederländer Marc Overmars, inzwischen 51 Jahre alt und einst ein erfolgreicher Flügelstürmer, war mit angeblich 1,72 Metern nicht der größte aller Angreifer der Fußballgeschichte. Aber er hat mal einen schönen Satz gesagt: „Große Spieler“, so Overmars, „mögen es nicht, Ersatzspieler zu sein.“

Nur wenige Fußballer sind größer als der Norweger Alexander Sörloth, der Stürmer von Atlético Madrid verteilt sein Kampfgewicht von 90 Kilo auf 1,94 Meter. Auch wenn man ihm kaum unterstellen kann, dass er die Rolle des Reservisten liebt, so lässt sich doch sagen, dass er sich gut mit ihr arrangiert hat. Seine persönlichen Statistiken belegen dies. Derzeit gibt es in den fünf wichtigsten Ligen Europas keinen Joker, der in dieser Saison öfter ins gegnerische Tor getroffen hat als Sörloth. Das macht ihn wohl auch am Mittwochabend (21 Uhr, Dazn), im Champions-League-Achtelfinalderby gegen Real Madrid, zu einer der wichtigsten Waffen Atléticos, um im heimischen Estadio Metropolitano das 1:2 aus dem Hinspiel noch zu drehen.

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Auch am vergangenen Wochenende traf der frühere Leipziger Sörloth als Einwechselspieler, in Getafe steuerte er per Elfmeter Atléticos Führung bei. Für einen Sieg reichte das nicht, der Meisterschaftsanwärter unterlag beim Nachbarn aus der Vorstadt überraschend mit 1:2. Doch Sörloth steigerte seine persönliche Ausbeute in Pflichtspielen in dieser Saison auf 14 Tore. Neun davon erzielte er in Spielen, bei denen er nicht in der Startelf stand. Der – so sein Spitzname – „King of the North“, der vor gut 29 Jahren in der winterlichen Dunkelheit Trondheims zur Welt kam, hat längst José Mari als besten Joker in der Geschichte Atléticos übertroffen. Der Spanier war 1997/98 auf sechs Treffer als Bankspieler gekommen.

Dass Sörloth gegen Real zum Einsatz kommt, daran ist kaum zu zweifeln – zumal er den madridistas etwas Angst einflößt. Die Zeitung As fühlt sich durch den Norweger gar an den furchterregenden „Koloss“ erinnert, den Francisco de Goya zu Beginn des 19. Jahrhunderts malte – „nur in blond“. Im Mai 2024 machte sich Sörloth weltweit einen Namen, als er gegen Real Madrid vier Treffer in einem Spiel erzielte – damals für den FC Villarreal. Auch seine aktuellen Zahlen lassen aufhorchen. In Atléticos klubinterner Liga-Torjägerliste teilt er sich den ersten Platz mit dem argentinischen Weltmeister Julián Álvarez, beide kommen auf je zehn Treffer. Aber: Sörloth weist mehr Effektivität auf.

Er hat häufig die Klubs und die Länder gewechselt – sobald er irgendwo kein Vertrauen spürte

Álvarez hat mehr als 1700 Minuten in 27 Ligaspielen auf dem Tacho, Sörloth kaum mehr als 1000 (24 Partien). Insofern kommt Álvarez „nur“ alle 176 Minuten auf ein Tor, Sörloth alle 100 Minuten. Sörloth ist auch aktuell in vortrefflicher Laune. In den jüngsten acht Spielen, von denen er nur eines von Beginn an absolvierte, gelangen ihm vier Treffer. Beim erwähnten Startelfeinsatz (1:0 gegen Bilbao, 1. März) ging Sörloth allerdings leer aus, ebenso in allen sieben Champions-League-Spielen der laufenden Saison. Allein deshalb ist es fraglich, ob er gegen Real startet.

Gewiss ist dafür, dass der Angreifer einen Wandel vollzogen hat. In den vergangenen Monaten gab Sörloth nie ein öffentliches Murren von sich, er akzeptierte seine Rolle im Schatten von Álvarez und Antoine Griezmann – so, wie er sich auch in Norwegens Nationalelf hinter Erling Haaland (Manchester City) einreiht und diesem die Rückennummer 9 diskussionslos überlässt. Vor vier, fünf Jahren hätte Sörloth mit der Rolle des Komparsen noch Schwierigkeiten gehabt, wie er vor ein paar Monaten beim US-Sender ESPN offen zugab. In einem anderen Interview sagte er, dass er im Zweifelsfall die Flucht ergriff, wenn er bei einem Klub nicht ausreichend Vertrauen spürte. Das zeigt auch seine unstete berufliche Vita.

90 Kilo schwer, 1,94 Meter groß: Alexander Sörloth glänzt mit guter Ballbeherrschung, auch beim Elfmeter, wie hier kürzlich in der spanischen LaLiga.
90 Kilo schwer, 1,94 Meter groß: Alexander Sörloth glänzt mit guter Ballbeherrschung, auch beim Elfmeter, wie hier kürzlich in der spanischen LaLiga. (Foto: Denis Doyle/Getty Images)

Der Linksfuß begann seine Karriere bei den Heimatklubs Rosenborg Trondheim und Bodö/Glimt, über Groningen (Niederlande) und Midtjylland (Dänemark) landete er bei KAA Gent (Belgien), Crystal Palace (England) und Trabzonspor (Türkei), ehe ihn 2020 RB Leipzig in die Bundesliga lotste. Bei den Sachsen war Sörloth als Ersatz für Timo Werner (zum FC Chelsea) vorgesehen. In seinen Empfehlungsschreiben standen nicht nur viele Tore, sondern auch all das, was ihn auszeichnet: physische Durchsetzungsfähigkeit, Schnelligkeit (32,65 Km/h) und eine, gemessen an der Länge seiner Kranichbeine, eigentümlich gute Ballbeherrschung. Seine Geschmeidigkeit, gab Sörloth selbst einmal zu Protokoll, führe er auf seine Zeit als Eisschnellläufer zurück.

In Leipzig allerdings fasste Sörloth nie richtig Fuß, in 29 Spielen erzielte er nur fünf Tore. Er zog weiter, zunächst zur Leihe nach San Sebastián, 2023 verpflichtete ihn Villarreal. Eine Saison und 23 Tore später zog er zu Atlético weiter – für eine Ablöse von 30 Millionen Euro, rund das Dreifache des Preises, den Villarreal an Leipzig gezahlt hatte. Bei Atlético ist Sörloth nun Teil einer Reserve, die viel zur vorzüglichen Zwischenbilanz in dieser Saison beigetragen hat. Dass Atlético noch in allen Wettbewerben vertreten ist, hat auch damit zu tun, dass 30 von 82 Pflichtspieltoren von Eingewechselten erzielt wurden. Zum Vergleich: Die Ersatzspieler von Real Madrid kommen auf nicht mal zehn Prozent der mehr als 100 Saisontore.

„Ich stelle mir die Partien wie ein Kartenspiel vor: Ich brauche alle Karten, um zu gewinnen“, hat dazu neulich Atlético-Trainer Diego Simeone gesagt. Damit hat er in anderen Worten wiederholt, was er Sörloth zuvor unter vier Augen gesagt hatte. Dies verriet der Stürmer selbst in einem Interview mit dem norwegischen Sender TV2: „In unserem ersten Gespräch sagte er mir, dass er mir einen Spitznamen gegeben habe: ‚Sicario‘.“ Simeone habe gesagt, dass er, Sörloth, nichts anderes tun solle, als den Ball über die Linie zu drücken, wann immer der Ruf erfolge  im Stile eines Auftragskillers. Sollte ihm das auch gegen den großen Nachbarn Real gelingen, dann wäre Sörloth in einem Teil der spanischen Hauptstadt der Größte.

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