Atlético Madrid vor dem Spiel gegen Leverkusen:Er trainiert sogar seinen Sohn

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Immer ganz in Schwarz: Diego Simeone bleibt seinem Stil treu, auch wenn seine Mannschaft dieses Jahr sogar öfter ein freundliches Gesicht zeigt. (Foto: Denis Doyle/Getty Images)

Diego Simeone ist bei Atlético im 14. Dienstjahr. In dieser Saison wirkt sein Team besonders konkurrenzfähig, der Respekt bei Leverkusens Trainer Xabi Alonso vor dem Duell ist groß.

Von Javier Cáceres, Madrid

Es gibt Schmerzen, die gehen nicht vorbei, mögen auch noch so viele Jahre vergehen. Und wenn es doch einmal so sein sollte, dass man meinen könnte, der Schmerz gerate in Vergessenheit, dann kommt der liebe Nachbar um die Ecke. Und kramt in der Wunde wieder  herum.

Eine halbe Woche ist es her, da kam Real Madrid im spanischen Pokal unter anderem durch die großzügige Assistenz des Schiedsrichterteams gegen Celta de Vigo weiter. Diego Simeone, 54 und Trainer von Stadtrivale Atlético Madrid, erklärte anderntags, dass er das Spiel nicht gesehen hatte - dass ihm aber die Geschehnisse in groben Zügen zugetragen worden seien.

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Überrascht? Ach was, sagte Simeone: „Das passiert seit hundert Jahren.“ Es war eine unmissverständliche Anspielung darauf, dass Real schon legendär häufig von Referees in Watte gepackt worden ist. Die Quittung für diese Aussage lieferte Carlo Ancelotti keine 24 Stunden später: „Es müssen die Stacheln sein, die schmerzen“, raunte Simeones Real-Kollege. Am Montag, dem Vorabend der Champions-League-Partie Atléticos gegen Bayer Leverkusen, war das in Madrid immer noch ein Thema. Und Simeone antwortete erneut, diesmal mit einer Anekdote: Als Ancelotti 2017 das Bernabéu-Stadion als Bayern-Trainer besuchte und mit den Münchnern verpfiffen wurde („Wir wurden beschissen!“, wütete damals der Vorstandsvorsitzende Karl-Heinz Rummenigge), da habe der Kollege, so Simeone, noch anders geredet. Und nicht in fremden Wunden gewühlt.

Simeone selbst feierte am vergangenen 29. Dezember sein dreizehntes Dienstjubiläum bei Atlético, kein Trainer war in Spanien je länger bei einem einzigen Klub als er. Simeone, genannt „El Cholo“, war überdies von 1994 bis 1997 Spieler Atléticos gewesen und hinterließ einen derart bleibenden Eindruck, dass die Fans selbst dann nach ihm schmachteten, als er nicht mehr auf dem Platz stand und noch nicht auf der Bank saß: „Ole, ole, ole ... Cholo Simeone“, riefen sie, bis er 2011 tatsächlich wieder da war, den Klub auf links drehte, zweimal das Champions-League-Finale erreichte – und beide Endspiele verlor. Jeweils gegen Real, das mit den Stacheln ist also nicht so weit hergeholt: 2014 unterlag Simeone in Lissabon gegen Ancelotti, 2016 in Mailand gegen Zinédine Zidane. Einer der Stachel hat mittelbar auch mit Leverkusens Trainer Xabi Alonso zu tun: Unvergessen ist, wie der damals gesperrte Alonso beim Finale 2014 in Anzug und Krawatte von der Tribüne aufs Feld sprang, um Reals Erfolg mit seinen Kameraden zu feiern.

Dass Ancelotti daran erinnerte, war vielleicht auch ein Adelsschlag für das moderne Atlético. Selten hatte sich im Laufe der mehr als 700 Spiele währenden Amtszeit Simeones bei einem Jahreswechsel abgezeichnet, dass Atlético an allen Fronten ein Gegner für Real sein würde. Diesmal schon: Atlético steht im Pokal-Viertelfinale, in der Liga wurde die in Spanien sogenannte Wintermeisterschaft gefeiert, und auch in der Champions League läuft es gut. Im wichtigsten Klubwettbewerb steht Atletico auf Rang elf, aber nur einen Zähler hinter Leverkusen (Tabellenvierter). Dabei zeigt Atlético häufig ein freundlicheres Gesicht als in der Vergangenheit. Der Gegner verfüge über einen der „vielleicht besten Kader, die sie in den letzten zehn Jahren hatten. Ich erwarte ein top, top Spiel“, sagte Xabi Alonso.

Carlo Ancelotti und Xabi Alonso feiern den Champions-League-Sieg 2014 gegen Simeones Atlético in Lissabon. (Foto: Gribaudi/ImagePhoto/Imago)

Das liegt an umsichtigen Transfers, die vor allem Atléticos Offensivspiel belebt haben, und an einem offenbar vorzüglichen Personalmanagement. Simeone hat es vermocht, eine Anomalie zu moderieren: Sein Sohn Giuliano, 22, hat sich nach Leihen bei Saragossa und Alavés den Nimbus des Stammspielers erarbeitet, ohne dass bei Atlético deshalb jemand murren würde. Der Norweger (und frühere Leipziger) Alexander Sörloth ist in der Liga mit acht von 38 Toren der treffsicherste Angreifer Atléticos, aber er kommt meist von der generell gut besetzten Reservebank. Sörloth muss hintanstehen, weil der von Manchester City geholte Julián Álvarez und Antoine Griezmann sogar besser harmonieren als einst Fred Astaire und Ginger Rogers. Sie kommen allein in der Liga zusammen auf 13 Tore und sechs Vorlagen.

Am Sonntag ging zwar beim Vorortklub CD Leganés die längste Siegesserie in der Geschichte Atléticos zu Ende (0:1 nach zuvor 15 gewonnenen Spielen), Atlético verlor damit auch Platz eins in La Liga. Aber, sagte Simeone nur: „Fußball!“ – denn er wusste, dass sein Team eigentlich erneut hätte siegen müssen: Atlético traf dreimal den Pfosten, am Ende vergab Griezmann einen Elfmeter. Das war erstaunlich, weil Atlético im bisherigen Saisonverlauf auf Last-Minute-Treffer spezialisiert war. Wettbewerbsübergreifend erzielte man 58 Tore, 21 davon fielen nach der 80. Minute. Wobei nicht alle so dramatisch gekonnt gesetzt wurden wie der Treffer zu Simeones erstem Sieg überhaupt beim FC Barcelona (2:1), der in der sechsten Minute der Nachspielzeit erkontert wurde.

Simeone schwärmt von der Arbeit Alonsos in Leverkusen

Die Lust an späten Grausamkeiten gegenüber dem Gegner weckt Erinnerungen an das Alonso-Leverkusen der Vorsaison, das sich die Pointen gern bis zum letzten Augenblick aufhob. Es wäre verwegen zu behaupten, dass Simeone das abgekupfert habe. Aber die Lobeshymnen, die Simeone am Montag auf Alonso hielt, waren alles andere als nur so dahingesagt. Im Gegenteil. Alonso habe eine „hervorragende Arbeit geleistet“ und bei Bayer „ein extraordinäres Team geformt“, an dem ihm vor allem die Geschwindigkeit, die Umschalt-Aktionen und das Positionsspiel gefallen, sagte Simeone.

Man wolle die Leverkusener „mit unseren Werkzeugen“ schlagen, fügte er an. Denn das Ziel ist, erneut das Champions-League-Finale zu erreichen, das in diesem Jahr für Atlético die Chance auf den Exorzismus schlechthin bereithält. Denn es wird in München ausgetragen, vor der Haustür von „Katsche“ Schwarzenbeck, der 1974 im Finale von Brüssel allen Atlético-Fans mit dem späten 1:1 für die Bayern einen Stachel ins Fleisch rammte – und einen vielleicht wirklich unvergänglichen Schmerz bereitete.

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