Süddeutsche Zeitung

Athlet des Tages (5):Zu schnell für eine Frau?

Ein Geschlechtstest soll klären, ob 800-Meter-Weltmeisterin Caster Semenya überhaupt bei den Frauen mitlaufen darf. Nach dem Sieg zog der Weltverband die 18-Jährige erstmal aus dem Verkehr.

Thomas Hummel

Nach dem Vorlauf über 800 Meter hatte Caster Semenya noch über ihr Leben erzählt. Nachdem sie in 1:58,66 Minuten die schnellste Zeit gerannt war, gab sie den Interessierten aus aller Welt Auskunft darüber, dass sie aus armen Verhältnissen in Südafrika stamme, fünf Schwestern und einen Bruder habe und schon sehr überrascht sei von ihren Zeiten. Sie sprach unbelastet und etwas unsicher, wie ein 18-jähriges Mädchen eben spricht, die zum ersten Mal in der Öffentlichkeit auftritt.

Die Zuhörer hätten sich wundern können über die recht tiefe Stimme und die ziemlich definierten Muskelpartien an Schultern und Oberarmen. Sie hätten sich fragen können, warum Caster Semenya so ein ausgeprägtes Kinn hat. Doch bei einer Leichtathletik-WM gibt es einige weibliche Körper mit ungeheuren Muskeln, und so dachte sich zunächst niemand etwas in Berlin. Bis am Mittwochnachmittag kurz vor dem Endlauf die Meldung ins Stadion platzte, dass Caster Semenya auf Veranlassung des Weltverbands IAAF einen Geschlechtstest absolviert. "Es besteht Zweifel, dass sie eine Frau ist", sollte IAAF-Geschäftsführer Pierre Weiss später erklären. Da war Caster Semenya gerade mit Weltjahresbestzeit von 1:55,45 Minuten Weltmeisterin über 800 Meter geworden.

Schnell, zu schnell?

Caster Semenya war in diesem Finale dem Rest der Welt einfach davongelaufen. Mit kraftvollen Schritten zog sie in der zweiten Runde das Tempo an, legte 200 Meter vor dem Ziel die ersten Meter zwischen sich und die Konkurrenz, auf der Zielgerade hechelten die anderen nur noch um Silber und um Bronze. Als Semenya im Ziel war, lächelte sie nicht, sondern wischte mit der Hand vor ihrem Gesicht, als wolle sie fragen, ob nun alle verrückt geworden seien.

Weiss erklärte, die Verdächtigungen beruhen alleine auf den enormen Leistungssprung der Läuferin und ihre physischen Statur. Im vergangenen Jahr hatte der Weltverband für die Südafrikanerin eine Bestzeit von 2:04,32 Minuten notiert, bei den afrikanischen Jugendmeisterschaften im Juli lief sie plötzlich 1:56,72 und war die schnellste Frau der Welt in diesem Jahr. Die Drittplatzierte Britin Jennifer Meadows wunderte sich: "Ich habe sie heute zum ersten Mal gesehen." Niemand außer ihr könne derzeit eine 1:55 laufen, sie habe heute die Welt gestürmt.

"Vor zwei Monaten war sie noch völlig unbekannt und dann solche Zeiten", sagte Geschäftsführer Weiss. Zuerst wurde Semenya auf Dopingmittel getestet, als diese negativ ausfielen, ordnete der Weltverband eine Geschlechts-Prüfung an. Dieser Vorgang läuft nach Auskunft von IAAF-Sprecher Nick Davis seit einiger Zeit, Semenya sei sowohl in Südafrika wie auch in Berlin untersucht worden. Weiss referierte, dass es Tage oder Wochen dauern könne, bis ein Ergebnis vorliege. "Sollte sich aber herausstellen, dass Semenya keine Frau ist, wird sie von der Siegerliste gestrichen."

Der Vorgang blieb so lange geheim, bis am Dienstag eine australische Zeitung darüber berichtete, woraufhin "150 Anrufe auf mein Handy eingingen, ob das stimme", so Davis. Daraufhin habe sich der Verband entschlossen, an die Öffentlichkeit zu gehen.

Manipulationen bei den Junioren

"Es stehen bei Jugend- und Junioren-Weltmeisterschaften Vermutungen im Raum, dass Manipulation in dieser Richtung staatlicherseits begünstigt werden", sagte IAAF-Councilmitglied Helmut Digel der dpa. Nach Verdachtsmomenten vor allem bei osteuropäischen Frauen waren bei Olympia 1968 Geschlechtstests eingeführt, Ende der neunziger Jahre aber wieder abgeschafft worden, "weil sie nicht verlässlich waren", wie Weiss erklärte.

Im 800-Meter-Wettbewerb bei den Asienspielen 2006 in Doha gab es einen ähnlichen Fall. Dort musste die Inderin Santhi Soundarajan die Silbermedaille zurückgeben, als ein Geschlechts-Test ergab, dass sie von der Chromosomen-Konstellation her männlich ist. Anschließend versuchte Soundarajan, sich das Leben zu nehmen.

Normalerweise weisen Frauen zwei X-Chromosomen (XX) in ihren Zellen auf, Männer ein X- und ein Y-Chromosom (XY). Manche mit einem Y-Chromosom geborenen Menschen entwickeln alle körperlich charakteristischen Merkmale einer Frau - ausgenommen der inneren Sexual-Organe. Sie leiden unter dem Androgen Insuffizienz Syndrom (AIS). Diese Frauen sind XY, allerdings kein Mann, weil ihr Körper nicht auf das produzierte Testosteron reagiert.

Keine weiteren Statements

Bei der üblichen Pressekonferenz der Medaillengewinner erschien Semenya nicht. Der Weltverband sah sich gezwungen, die 18-jährige Südafrikanerin zu schützen. Auf ihrem Platz saß Pierre Weiss und entschuldigte das Fehlen der Siegerin mit dem Hinweis, dass Semenya "nicht darauf vorbereitet ist, auf ihre Fragen zu antworten".

Und so bleiben als letzter Eindruck die Interviews nach dem Halbfinale. Darin erzählte sie auch, dass sie nach einer schlechteren Phase zuletzt drei Monate Pause gemacht habe, bevor sie auf die WM trainierte. Und dass sie nach der WM wieder drei, vier Monate zu Hause sitzen und nichts tun werde, "um mich zu erholen". Sie könnte das nun nötiger haben, als ihr lieb ist.

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