Keine halbe Stunde blieb Ivan Juric, um sich von seinem Arbeitsplatz im Stadio Olimpico zu verziehen. 27 Minuten nachdem die Partie gegen Bologna zu Ende gegangen war, sandte die AS Rom eine Mitteilung aus, deren wesentlicher Inhalt vielen schon bekannt war: Juric musste nach nur 53 Tagen im Amt gehen. Wie schon im September im Fall des geschassten Trainers Daniele De Rossi dankte der Verein höflich und wünschte alles Gute für die Zukunft – zurück blieb ein Scherbenhaufen, der noch einmal angewachsen war.
Zwei Trainer in einer Saison zu verschleißen, ist an sich bereits eine beachtliche Leistung – das allerdings schon zu einem Zeitpunkt zu bewerkstelligen, an dem noch nicht einmal die ersten Weihnachtsmärkte aufgebaut sind, ist selbst im impulsiven italienischen Fußball eine Seltenheit. Die Aufregung in Rom ist dementsprechend groß und erzählt von einer entscheidungsfreudigen, aber unglücklich agierenden Eigentümerfamilie aus den USA, einem führungslosen Verein, einem Trainer mit fragwürdigen Personalentscheidungen – und nicht zuletzt von einem Innenverteidiger, der seine Karriereentscheidung inzwischen kritisch hinterfragen dürfte.
Nominell kommt Mats Hummels eine untergeordnete Rolle zu im römischen Chaos, das sich eher auf Ebene der Milliardäre abspielt, die nach einem CEO und einem Trainer suchen. Dabei lässt sich an der Personalie Hummels einiges erklären. Im besten Fall nämlich hätte man den Römern damals am Ende des Transfersommers zu klugem Opportunismus gratulieren können: In Mario Hermoso (ehemals Atlético Madrid) und Hummels (Champions-League-Finalist mit Dortmund) fanden sich zwei ablösefreie, herausragende Verstärkungen für den Teil des Spielfelds, auf den Trainer De Rossi so viel Wert legte.
Die Defensive, sie funktionierte weitgehend unter der Trainer gewordenen Vereinsikone. De Rossi konnte auf eine monströse Dreierkette bauen und hätte mit seinem langweiligen, aber soliden Fußball sicherlich mehr Zeit verdient gehabt.
Trainer Juric habe Hummels bei der Roma gedemütigt, schreibt die „Gazzetta dello Sport“
Hummels jedenfalls bekam keine Gelegenheit mehr, unter De Rossi zu spielen. Die erste Trainerentlassung setzte stattdessen eine beachtliche Kettenreaktion in Gang: Wenige Tage später folgte der Rücktritt der CEO Lina Souloukou, die mit massiven Anfeindungen aus der römischen Fanszene zu kämpfen hatte und am Ende gar unter speziellen Schutz gestellt wurde. Und schließlich wurde mit Juric kein großer Name, sondern eine eher kleine, pragmatische Lösung für die Trainerbank gewählt. Der Kroate zeichnete sich vor allem durch fehlende Veränderung aus.
Mats Hummels:Brat Mats Summer
Seit Monaten verlebt Mats Hummels einen sogenannten Gören-Sommer in Europa und teilt auf Instagram der Welt mit, wie schön das aussehen kann. Bleibt die Frage: Findet sich auch noch ein Fußballverein für den Herbst?
Die Stimmung in der Mannschaft habe sich zwar auf menschlicher Ebene durchaus verbessert, berichtete zuletzt der Corriere dello Sport, allerdings war auf dem Feld kein Fortschritt zu erkennen. Juric spielte weiterhin einen biederen, identitätsbefreiten Fußball und erklärte diesen auf Pressekonferenzen in einem meist griesgrämigen Ton. Die Anhänger entfernten sich von der ersten Minute an vom Trainer, spätestens nach dem 1:1 am vergangenen Donnerstag in der Europa League gegen Union Saint-Gilloise schien auch Juric aufgegeben zu haben: Dass die Römer sich längst gegen ihn entschieden hatten, war daran zu erkennen, dass sich ein Statement wie das vom Sonntagabend nicht innerhalb von einer halben Stunde nach einer 2:3-Niederlage gegen Bologna erstellen lässt.
Die Personalie Hummels steht nun an einer der Top-Positionen in der Aufarbeitung der kurzen Schaffenszeit des geschassten Coaches in Rom. 23 Minuten hatte Juric seinem Innenverteidiger innerhalb seiner 53 Tage gegeben. Angesichts der teils katastrophalen Defensivleistungen grenzte es an eine Mischung aus Hohn und Trotz, Woche für Woche dieselbe Defensive aufzustellen und ausweichende Vorträge zu halten, warum Hummels den Ansprüchen nicht genüge. Einige Rom-Anhänger hatten sich vorige Woche bereits online beim deutschen Weltmeister entschuldigt, für den respektlosen Umgang mit ihm in der italienischen Hauptstadt. „Gedemütigt“ habe Juric Hummels über die Zeit, schrieb die Gazzetta dello Sport und nannte das einen entscheidenden Fehler seiner kurzen Amtszeit.
Inmitten des römischen Chaos liegt für Hummels aber auch eine mögliche Lösung: So wie die Roma ihn im Spätsommer opportunistisch verpflichtete, so könnte er nun den Spieß umdrehen. Etwa zwei Monate wird er Gelegenheit bekommen, um sich bis zum Winter-Transferfenster das neue Konstrukt anzusehen, das sich die Eigentümer-Familie Friedkin derzeit ausdenkt, dann kann er entscheiden. Verschiedene Optionen liegen für die Trainerbank wohl auf einem Tisch in einem Römer Luxushotel bereit, in dem sich die Familie derzeit aufhalten soll. Angefragt wurde laut Medienberichten der vor Kurzem in Saudi-Arabien entlassene Roberto Mancini, bei dem man allerdings über eine Vergangenheit als Spieler und Trainer bei Lazio Rom hinwegsehen müsste. Auch eine internationale Lösung – Frank Lampard etwa – scheint eine Option zu sein, allein schon, weil Lampard von einer Agentur aus Los Angeles betreut wird.
So oder so: Die Römer finden sich in einer Situation wieder, in der sie seit 20 Jahren nicht mehr waren, als zuletzt ein Trainer für solch kurze Zeit das Training in Trigoria leiten durfte. Rudi Völler blieb damals nur 26 Tage und fünf Spiele im Amt, bevor er sich wieder verabschiedete und der Verein seinen Weg durch eine chaotische Saison suchte, mit weiteren Trainerwechseln und einer unzureichenden sportlichen Bilanz. Die Parallele zu damals wird dieser Tage wieder öfter vorgetragen, der Trainer Völler ist historisch gesehen ein kleiner Baustein im über Jahrzehnte gepflegten Image des chaotischen Klubs AS Rom, Juric nun ein weiterer. Ob Mats Hummels überhaupt noch Gelegenheit bekommt, in dieser Geschichte eine Rolle auf dem Platz zu spielen und nicht nur auf der Bank zu sitzen, zeigt sich nun bis Jahresende.