Europa League:Der Geist hat sich gedreht

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"The Smart One" Daniele De Rossi hat die Apathie unter seinem Vorgänger José Mourinho vergessen lassen. (Foto: Daniele Mascolo/REUTERS)

Daniele De Rossi lebt bei der AS Rom seinen Traum, er ist Trainer und Tifoso in einer Person. Weil er mit seiner Art die Fans, die Spieler und die Klubbesitzer für sich eingenommen hat, trauen sie sich am Tiber nun zu, sogar Leverkusen das Verlieren zu lehren.

Von Oliver Meiler

Daniele De Rossi lebt im historischen Zentrum von Rom, gegenüber von der Engelsburg, dem Castel Sant' Angelo. Und wer nun denkt, es sei ja wohl nebensächlich, wo der frühere Spieler und heutige Trainer der Associazione Sportiva Roma genau wohnt, der kennt Rom nicht. Die meisten Lieblinge der Romanisti leben am Rand der Stadt: im EUR, in Axa, in Casal Palocco. Entrückt, für etwas Ruhe und für einen kurzen Arbeitsweg zum Trainingszentrum draußen in Trigoria. De Rossi aber wohnt schon lange mittendrin im Trubel der Stadt, ohne Furcht vor der stets drängenden Nähe der Fans. Vor ein paar Jahren lud er ein Fernsehteam, das ihn interviewte, auf die Terrasse seiner Wohnung ein: unten der Tiber und die laute Uferstraße. Spätestens dann wussten alle Bescheid.

De Rossi, Rom, die Roma - mehr Symbiose geht nicht. Er sagte einmal, die Roma sei für ihn wie eine zweite Haut, er habe für sie eine "reine Liebe". Romantischer Kitsch? Oh, nein. Damit er nach dem Karriereende Derbys gegen Lazio in der Curva Sud erleben konnte, ließ er sich von seiner Frau, der britischen Schauspielerin Sarah Felberbaum, auch mal zum greisen Mann umgestalten, mit grauem Haar und Falten.

Nun ist DDR, wie sie ihn der Einfachheit halber rufen, schon seit bald vier Monaten Coach seines Vereins, Trainer und Tifoso in einer Person, was natürlich immer schon sein großer Traum gewesen war - selbst zu Zeiten, da er noch aktiv war und die Mannschaft aus dem tiefen Mittelfeld herumdirigierte: von 2001 bis 2019, 459 Spiele. Er war damals schon ein bisschen Trainer, ein Kämpfer und Motivator, eine Spielintelligenz auf dem Feld, einer auch, für den gut getimte Grätschen mindestens so wertvoll waren wie Tore.

Doch als die Friedkins, die texanischen Besitzer der Roma, ihn im Februar als Coach holten, haben sich in Rom alle gefragt, ob das gut gehen könne, ob das nicht viel zu viel sei: zu viel Druck, zu viel Emotion, zu viel alles. De Rossi hatte erst einmal die Verantwortung für eine erste Mannschaft getragen, von der Spal aus Ferrara, Serie B damals, 16 Spiele nur, und es ging nicht gut aus. Er sagt das selbst bei jeder Gelegenheit: Ein Flop war das.

Und nun sollte er auch noch die Hälfte der Anhängerschaft der Roma, die seinem Vorgänger José Mourinho nachtrauerte, von sich überzeugen. "Mou" hatte am Ende die Gunst einiger Spieler verloren, das Spiel sowieso, in der Tabelle der Serie A war man auf den neunten Platz abgerutscht. Doch mit ihm hatte die Roma ihren ersten europäischen Titel überhaupt gewonnen, die Conference League 2022. Viele hielten den Rauswurf deshalb für Verrat.

Früher nannten sie ihn etwas spöttisch "Capitan Futuro", Kapitän der Zukunft

Nach etwas mehr als hundert Amtstagen ist die Wehmut nachhaltig verflogen. Die Roma spielt nun doch noch um einen Platz in der Champions League, was bis vor Kurzem niemand für möglich gehalten hätte. Und um den Finaleinzug in der Europa League spielt man auch, gegen das bisher ungeschlagene Bayer Leverkusen. In Rom traut man sich sogar zu, die nimmer verlierenden Leverkusener das Verlieren zu lehren.

Der Geist hat gedreht. Müde gewordene Stars haben zu alter Frische gefunden, sie laufen, sie kämpfen: Lorenzo Pellegrini, Stephan El Shaarawy, Leonardo Spinazzola, Leandro Paredes, alle zurück. Sogar Chris Smalling genas mal schnell von einer langen, mysteriösen Unpässlichkeit, kaum dass Mourinho weg war. Es kommt nun vielen Römern so vor, als hätten die Spieler mit ihrer zwischenzeitlichen Apathie die Entlassung des Portugiesen befördern wollen.

Doch selbst diese böse These vermag die Gemüter nicht mehr zu bewegen. In der Südkurve des Stadio Olimpico wehen jetzt Fahnen mit De Rossis Konterfei drauf, auch alte sind dabei, solche von früher. Er ist nun mal, was die Italiener eine "bandiera" nennen, eine personifizierte Vereinsstandarte, auf ewig gepflanzt.

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Früher nannten sie ihn etwas spöttisch "Capitan Futuro", Kapitän der Zukunft, weil De Rossi immer im Schatten von Francesco Totti gestanden hatte, seinem Freund, einem König der Stadt, dessen Karriere fast parallel zu seiner verlief und dem die Fans immer zuriefen: "C'è solo un capitano", es gibt nur einen Kapitän.

Ganz zum Schluss seiner Karriere, als Totti nur noch selten spielte, wurde aus der Zukunft dann doch noch für eine Weile Gegenwart, und De Rossi trug kurz die Binde am Arm. Das reichte ihm wohl. Intelligenter als der König war er immer schon, ein Intellektueller des Calcio, ein Prädestinierter für die Trainerbank.

Vorgänger Mourinho war ein Volksbezirzer in eigener Sache

De Rossi, inzwischen 40 Jahre alt, "mit einem Bart wie ein altrömischer Senator", wie es eine Zeitung kürzlich beschrieb, zeigt das in jeder Pressekonferenz. Er spricht schnell, mit römischer Kadenz und Tonfarbe, doch er verhaut keinen Konjunktiv. Vor allem weiß er genau, wie er die Römer nehmen muss, sie sind ein schwieriges Publikum, immer bereit zur Fundamentalkritik. Er zügelt den Enthusiasmus, auch wenn ihm das als Fan schwerfällt: Er war auch schon zwei, drei Mal unter der Kurve, um einen Sieg zu feiern. Gleich darauf besinnt er sich dann aber der Nüchternheit.

Neulich sagte ein Kommentator, De Rossi habe bisher keine einzige falsche Silbe gesagt. Und Fabio Capello, der mit der Roma 2001 Meister wurde und De Rossi dann zu dessen Debüt verhalf, sagt von seinem früheren Spieler, der sei schon als Trainer geboren: "Er ist 'The Smart One'." Die Anspielung auf Mourinho, der sich bekannterweise mal als "The Special One" beschrieb, war gewollt.

Teil einer "grandiosen Mannschaft": Der Argentinier Paulo Dybala steht für den mutigen Stil seines Teams. (Foto: Gregorio Borgia/AP)

Mourinho war ein Demagoge in Rom, ein Volksbezirzer in eigener Sache. Nach Niederlagen stahl er sich gerne aus der Verantwortung und klagte über den angeblich dürftigen Kader. Nur die Fans, das Volk also, hielt er für erstklassig, eine billige Nummer. De Rossi dagegen sagt ständig, er habe eine grandiose Mannschaft, voller Campioni, und das stimmt ja auch: Wie viel besser kann es werden als mit dem Argentinier Paulo Dybala und dem Belgier Romelu Lukaku in der Offensive?

De Rossi spricht auch nie von "meinem Fußball", wie das andere Trainer schon nach ein paar gewonnenen Spielen tun, als hätten sie ihn neu erfunden. Wäre auch vermessen. Der Weltmeister hat den Spielern das horizontale, fast nur defensive Gekicke ausgetrieben, das "Mou" immer eingefordert hatte. Mit De Rossi dürfen sie nun auch direkt spielen, steil, mal etwas riskieren. Wenn einem Verteidiger der Sinn nach einem Sturmlauf steht, dann soll er seiner Lust folgen. Immer funktioniert die Spielidee nicht, meistens gelingt so nur eine Halbzeit. Aber in der Europa League, da war die Roma bisher gegen zwei starke Gegner erstaunlich dominant, zunächst gegen den FC Brighton und dann im Viertelfinale gegen die AC Milan.

Wenn De Rossi am Spielfeldrand steht, steckt er seine Hände fast immer tief in die Taschen seiner dunkelblauen Hose, er vergräbt sie, wohl um die Nervosität zu bändigen, die Emotionen. So deutet man das in Rom, als drohe eben doch immer, dass dem Chef das Herz überlaufe, das Herz des Römers und Romanista.

Die Friedkins sind dermaßen angetan von der Art und Weise, wie der neue Trainer die Stimmung im Team und im gewogenen Teil der Stadt prägt, dass sie ihm bereits einen neuen Vertrag versprochen haben. Der laufende sollte nur bis Juni dauern. Nun redet man über ein Langzeitengagement, aus lauter, reiner Liebe.

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